Sonntag, 29. April 2012
Deutschland und der Völkermord an den Armenier_innen
Die taz berichtet, dass auf einem Berliner muslimischen Friedhof zwei Täter des Völkermords an den Armenier_innen geehrt werden (und ihre Taten verschwiegen werden). Der SPD-Abgeordnete Özkaraca fragt nach, was Deutschlands Rolle im Schutz dieser Täter war:

"„Warum sind diese Männer hier begraben?“, fragt Özkaraca, „warum hat Deutschland diesen Menschen damals Unterschlupf gegeben?“"

Eine solche kritische Frage will sich der CDU-Politiker Dregger nicht stellen. In Verleugnung der lückenhaften deutschen Erinnerung behauptet er:

"Diese Frage stellt sich Burkhard Dregger, integrationspolitischer Sprecher der CDU, nicht. Seiner Ansicht nach kann die Türkei beim Thema Aufarbeitung viel von Deutschland lernen: „Es gibt keine andere Nation, die sich ihrer Geschichte so verantwortungsvoll und selbstkritisch stellt wie die deutsche Nation.“ Die Türkei solle auch hier Deutschland als Vorbild nehmen, so Dregger. "

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Gedacht
Aus Deutschland werden ständig Menschen abgeschoben. Meistens ohne viel Öffentlichkeit. In ein paar Einzelfällen kommt es zu öffentlichkeitswirksamen Interventionen. Wenn Schwule abgeschoben werden sollen, dann schaltet sich der LSVD ein, wie jetzt im Fall von Herry H., der nach Indonesien abgeschoben werden soll.

Marina Mai schreibt in der taz:

"Jörg Steinert vom Lesben- und Schwulenverband sitzt H. gegenüber, während dieser erzählt. „Ich habe lange gedacht, Herry stamme aus einer muslimischen Familie“, sagt er. Aber H. ist Katholik. Der Fall zeige, so Steinert, dass sich der Lesben- und Schwulenverband stärker für asiatische Kulturen öffnen müsse. "

Was will uns Steinert damit sagen?
Repression muss muslimisch sein?
Er spricht nicht mit Herry über dessen Herkunft?
Macht es einen Unterschied, dass Herry Katholik ist? Wenn ja, was für einen?
Wieso zeigt der Fall, dass der LSVD sich für "asiatische Kulturen offnen müsse"?
Was bedeutet es, sich für asiatische Kulturen zu öffnen?
Was sind asiatische Kulturen?

So viele Fragen und so wenige Antworten.

PS: Natürlich bin ich gegen die Abschiebung von Herry. So wie ich gegen jede Abschiebung bin.

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Teure Festung
Die taz berichtet:

"Insgesamt gibt die EU nach Angaben der Europa-Grünen bereits jetzt mindestens 400 Millionen Euro im Jahr für Grenzsicherung aus. Damit könnten über 23.000 Flüchtlinge eine dauerhafte Perspektive in Europa finden"

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Mittwoch, 25. April 2012
Für Fans von Statistiken
Die taz berlin berichtet, dass durch ungenaue Übertragungen von einer Datenverarbeitung in die andere die Statistiken über 'ausländische' Täter_innen einige Prozentpunkte zu hoch lagen.

„Bei korrekter Erfassung der Staatsangehörigkeiten läge der Anteil der Nichtdeutschen an allen Tatverdächtigen zu Straftaten insgesamt seit 2005 um 3 bis 5 Prozentpunkte unter den bisher ausgewiesenen Werten.“

Aber Statistiken lügen natürlich nicht.

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Film: Schildkrötenwut
Gestern habe ich auf dem Achtung Berlin-Filmfestival den Dokumentarfilm Schildkrötenwut (auch auf Facebook) von Pary El-Qalqili gesehen und war sehr beeindruckt. In dem Film setzt sich Pary El-Qalqili mit ihrem palästinensischen Vater und ihrem Verhältnis zu ihm auseinander - sowohl in Berlin wie auf Fahrten nach Palästina. Ein sehr persönlicher Film zu Migration, Exil und Tochter-Vater-Beziehung, der es schafft Ambivalenzen darzustellen bzw. Stehen-zu-lassen.

Im Vorfeld war ich mir unsicher, ob ein solch persönlicher Zugang gelingen kann, durch die Montage des Filmes fand ich es dann aber sehr gelungen (und viel besser als der Trailer den ich oben verlinkt habe).

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Montag, 23. April 2012
weit hergeholt
Die taz hat Stefan Redlich von der Berliner Polizei zu Polizei und Rassismus interviewt.

Auf die Frage: "Hat die öffentliche Debatte über die Morde der Neonazi-Zelle NSU eine polizeiinterne Diskussion über den Umgang mit solchen Vorwürfen, über Rassismus angestoßen?" antwortet Redlich mit: "In diesem Zusammenhang das Wort Rassismus zu benutzen, ist weit hergeholt." Und dem bleibt er im Rest des Interviews auch treu.

Rassismus(reproduktionen) bei der Polizei scheint kein Thema, schliesslich werden Polizist_innen in interkultureller Kompetenz ("Wissen über Regeln und Bräuche aus anderen Kulturen") geschult und damit ist alles gut.

Immerhin gibt er zu, dass die Polizei kein Spiegel der Gesellschaft ist, da viel zu wenig "Ausländer" und Frauen in ihr arbeiten.

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Syrische Aktivist_innen vor Gericht
Razan Ghazzawi und etliche andere im Syrian Center For Media And Freedom Of Expression Festgenommene mussten gestern vor Gericht erscheinen. Laut Facebook-Nachricht wurden nun auch die Frauen, die aus dem Gefängnis entlassen waren und sich täglich melden mussten, wieder infhaftiert. Von einigen der Männer gibt es noch keine neuen Nachrichten.

Nachtrag 28.04.12: Es scheinen jetzt wieder alle im Gefängnis zu sein. Es gibt wenige Nachrichten über twitter und in facebook. Das meiste in Arabisch.

Nachtrag 29.04.12: Mehr Informationen bietet das International Press Institute.

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Samstag, 21. April 2012
subtil? wie sexualität rassisiert wird
Internationaler Workshop des institute of queer theory am 23./24. März 2012 in Berlin mit Nana Adusei-Poku, Antje Barten, Zülfukar Cetin, Tülin Duman, Henriette Gunkel, Urmila Goel, Anja Michaelsen, Thoralf Mosel, Saideh Saadat-Lendle, Leticia Sabsay.

Programm als pdf

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Mittwoch, 18. April 2012
Eastgate
Der Westen verschiebt den Rassismus gerne in den Osten. In der Anklage der Anderen lässt sich der eigene Rassismus verdecken. In Berlin werden von West-Berliner_innen die ost-berliner Plattenbausiedlungen häufig pauschal als No-Go-Areas beschrieben. Jene, die meist noch nie in diesen gewesen sind, imaginieren sie gerne als homogen weiß und überhaupt frei von jeglichen Abweichungen der Norm (außer in Bezug auf Klasse natürlich).

Auch ich habe meine Bedenken gegen Marzahn, verstärkt durch einen Osterspaziergang dort vor ein paar Jahren. Auch ich habe Marzahn als weiß, heterosexuell, etc. imaginiert.

Die Mall Eastgate in Marzahn.


Allerdings war ich Anfang des Jahres häufiger im Eastgate und wurde eines besseren belehrt. Marzahn ist nicht weiß. Einige Vertragsarbeitenden aus Vietnam haben verhindern können, in der Wendezeit abgeschoben zu werden, und sind noch immer da. Ihre Kinder sind inzwischen Jugendliche und im Stadteil unterwegs. Weitere Migrant_innen aus Vietnam sind dazu gekommen. Eine sichtbare nicht-weiße Bevölkerung ist entstanden.

Im Eastgate fallen mir auch immer wieder Frauenpaare auf, die sehr klar als Paar zu erkennen sind.

Marzahn entspricht also nicht dem homogenen Bild, dass aus einer Westperspektive gezeichnet wird. Unproblematisch ist der Stadteil aber nicht. Ein paar Straßen weiter vom Eastgate fand ich diesen Zeitungsständer:

Zeitungsständer in Marzahn mit allerhand rechten Zeitungen.


Soviele rechte Zeitungen auf einmal habe ich (so weit ich mich erinnern kann) noch nie öffentlich angeboten gesehen.

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Montag, 16. April 2012
Polizeilicher Antiziganismus
Die taz berichtet, dass nach dem NSU-Polizistinnen-Mord gegen Roma und Sinti ermittelt wurde, da einige in der Nähe des Tatorts gewohnt hatten, und weil die Phantom-DNA ganz verschiedene Tatorte zusammengebracht hat:

"Dass man unter anderem wegen der wild auf der Landkarte verstreuten Tatorte auf Sinti und Roma als Tatverdächtige kam, hält der Zentralratsvorsitzende Romani Rose im Rückblick für ein „rassistisches Klischee, das sehr tief in den Köpfen drinsitzt“. Er sagt heute: „Hier wurde eine Minderheit unter den Generalverdacht gestellt, eine Polizistin hingerichtet zu haben.“ "

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma fordert deswegen eine Entschuldigung - vergeblich.

Es gab auch noch andere durch Rassismus bedingte Spuren, die verfolgt wurden:

"So wird an einer Stelle spekuliert, dass Russen hinter der Tat stecken könnten, den es sei „bekannt, dass in russischstämmigen Kriminellenkreisen der Polizistenmord eine statusaufwertende Tat darstellt“. Außerdem hatte ein Zeuge in der Nähe des Tatorts einen Mann gesehen, der hektisch in einen Audi hechtete und dem Fahrer „dawei, dawei“ zurief (russisch für „Los, los“). Andere vermeintliche Fährten führten in angebliche Kreise kirgisischer Drogenschmuggler und serbischer Juwelendiebe. "

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Sonntag, 1. April 2012
Macho o Macho!
Genderkritisches Theaterstück über tamilische Politik: Aanmaiyo Aannmai!:

In Gurgaon wurde ich zur Bollywood-Live-Show Zangoora mitgenommen. Auch wenn ich kein Hindi verstehe, war die Geschichte einfach genug zu verstehen: Prinz wird als Kleinkind versteckt und wird später wieder Prinz, bekommt die Prinzessin und lässt seine Freundin sitzen.

Gestern nun hatte ich die Gelegenheit eine Aufführung der Theatertruppe Marappachi aus Chennai von V. Geethas Theaterstück Aanmaiyo Aannmai! (Macho o Macho!) in Bangalore zu sehen.



Vorher hatte ich die Zusammenfassung des Stücks in Englisch bekommen und auch das Skript in Englisch. Und trotzdem war es schwierig für mich zu verstehen. Nicht nur, dass ich kein Tamil verstehe, ich kenne mich mit tamilischer Politik nicht aus. Das Stück nimmt eine genderkritische Perspektive auf tamilische Politik im 20. Jahrhundert und betrachtet dabei auch die Frage von Kaste. Sehr politisch und sehr komplex. Heute morgen habe ich das Skript nochmal gelesen und verstehe etwas mehr.

Das ich viel weniger verstanden habe als in Gurgaon halte ich für ein Qualitätszeichen. Und es zeigt natürlich auch, dass ich nicht sehr theatererfahren bin und die Performance nicht so gut entschlüsseln kann.

Nachtrag 02.04.12: und über die tägliche Anmache im öffentlichen Raum:

Sich als Frau im öffentlichen Raum in Indien zu bewegen, ist in meiner Beobachtung kein Spaß. Männer nehmen keinerlei Rücksicht. Respekt gegenüber Frauen scheint - wenn überhaupt - auf den privaten Raum, dort wo Frauen laut heteronormativer Gesellschaftsordnung hingehören, beschränkt. Wenn sich Frauen öffentlich bewegen, dann scheint mann ihnen keinen Respekt entgegen bringen zu müssen. Dann muss auch keine körperliche Distanz gewahrt werden.

Die Steigerung des fehlenden Respekts ist der tatsächliche Übergriff durch Worte, Blicke und auch körperlich. Wahrscheinlich weil ich Ausländerin und ziemlich groß bin, passiert mir nicht ganz so viel. Vor ein paar Tagen habe ich einen Typen auf Deutsch beschimpft, weil er eine Freundin von mir einfach angerempelt hat.

Gestern habe ich mich dann mit einigen von der genderkritischen Theatertruppe Marappachi über die alltäglichen männlichen Übergriffe und was dagegen zu machen sei unterhalten. Eine meinte, dass sie eine zeitlang alles bei der Polizei angezeigt habe. Das aber nicht sehr erfolgreich gewesen sei, weil die Polizei den Frauen tendentiell die Schuld gebe. Eine andere meine, dass sie vor ein paar Tagen einen Typen geschlagen habe. In der Regel aber würden sie nichts machen. Die eine meinte: Frau kann nicht zehnmal am Tag einen Mann anschreien, sich wehren, etc. Da es vorallem auch nichts helfen würde, da die Männer dadurch nicht vor weiteren Übergriffen abgeschreckt würden. Frauen müssten mit ihrer Energie haushalten.

Um so wichtiger ist das feministische Engagement der Truppe.

Nachtrag 08.04.12: Und zum Abschluss noch was über das westliche Interesse an queeren Aktivist_innen:

Eine Freundin hat sich bei mir beschwert, dass immer mehr Westler_innen kommen und queere Aktivist_innen in Indien befragen wollen. Sie meinte, sie hat dafür keine Zeit. Ausserdem brauche sie deren Rat nicht. Den Down Read der Section 377 haben die Queer Natives in Indien selber geschafft, dazu brauchen sie keine Westler_innen. Und von einer 22jährigen will sie sich mit 47 Jahren auch nicht sagen lassen, wie sie richtig queer zu sein hat und wie ihr Engagement auszusehen hat.

Als ich 2004 eine Recherchereise zu lesbischen Aktivistinnen in Indien gemacht habe, habe ich schon gemerkt, dass sich die Westler_innen die Tür in die Hand geben und alle meine Interviewpartnerinnen schon mehrfach die Fragen beantwortet haben. Ich habe gemerkt, dass meine Reise viel mehr mit mir zu tun hat, als mit den Leuten hier. Ich habe davon profitiert und ganz viel dazu gelernt - und gemerkt, dass die Aktivist_innen hier mich nicht brauchen.

Seit dem Downread 2009 scheint das Interesse der Westler_innen noch mehr gestiegen zu sein. Das Interesse der queeren Aktivist_innen an den Westler_innen ist aber eher zurück gegangen.

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