Freitag, 11. November 2011
Alltäglicher Antisemitismus
Die taz berichtet über einen Bericht zum Antisemitismus in Deutschland:

"Nach einem Rückgang Mitte des vergangenen Jahrzehnts seien antisemitische Einstellungen in den letzten Jahren wieder angestiegen, heißt es in dem Bericht. Von einer "tiefen Verwurzelung von klischeehaften Judenbildern und antisemitischen Einstellungen in der deutschen Kultur und Gesellschaft" ist dort die Rede. Man beobachte eine "bis weit in die Mitte der Gesellschaft verbreitete Gewöhnung an alltägliche judenfeindliche Tiraden und Praktiken". Bis zu 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland seien zumindest latent antisemitisch, heißt es in der Expertise."

Zudem berichtet die taz, dass es wenig belastbares Material gibt, um die These zu stützen, dass 'Muslim_innen' in Deutschland besonders antisemitisch seien (Islamist_innen hingegen schon).

Leider bebildert die Print-taz die Antisemitismus-Artikel aber mit Bildern von antisemitischen 'Muslim_innen' und nicht mit Bildern aus der Mitte der Gesellschaft.

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Rezension: Rassismus auf gut Deutsch
Chandra-Milena Danielzik hat den Sammelband Rassismus auf gut Deutsch. Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen (Hrsg. Nduka-Agwu und Hornscheidt, Brandes & Apsel, 2010), in dem auch ich mit zwei Kolleginnen einen Artikel zu Integration veröffentlicht habe, rezensiert. Ihre Zusammenfassung ist vernichtend (und durchaus berechtigt, wenn auch meine Kritik etwas anders formuliert wäre):

"Ernüchtert bleibt festzustellen, dass bezüglich anti-rassistischer Kämpfe in Deutschland Intention und Effekt des Sammelbandes auseinanderzufallen scheinen: Anstelle von Empowerment von und Solidarität mit Menschen, welche den alltäglichen Rassismus der Weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft erfahren und erleiden müssen und der Überwindung von Identitätsschubladen verlangen die Herausgeber_innen nach einer eindeutigen Trennschärfe, und dies, obwohl es im Beitrag „Schwarze, Schwarze Deutsche“ von Adibeli Nduka-Agwu und Wendy Sutherland heißt, Bezeichnungen von Menschen könnten nur dann ihr emanzipatorisches Potential entfalten, wenn sie jeweils von der benannten Person selbst als Eigenbezeichnung und Identität gewählt wurden (90). Es erscheint verwunderlich, worin dann das emanzipatorische Moment liegen soll, wenn Menschen ihre Rassismuserfahrungen abgesprochen werden, das Buch neue Identitätsschubladen schafft und mit einem reduzierten und statischen Rassismusbegriff operiert."

Quelle: PERIPHERIE Nr. 124, 31., Jg. 2011, Verlag Westphälisches Dampfboot, Münster, S. 526-9.

PS: Für unseren Artikel nehme ich natürlich an, dass er unter Chandra-Milena Danielziks Einschätzung:

"Vereinzelte Beiträge dieses Sammelbandes sind durchaus lesenswert und nicht so sehr geprägt von der kritisierten Grundausrichtung des Buches."

fällt. :-)

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Montag, 7. November 2011
Ganz wie die Mutter
Am Freitag die Beerdigung eines Großonkels, heute ein 75. Geburtstag in der Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Lauter Menschen, die mich zuletzt vor 10, 20 oder mehr Jahren gesehen haben. Mehrere sagen mir unabhängig voneinander: Eine Ähnlichkeit zum Vater, aber Du siehst vor allem aus wie Deine Mutter.

Ist ja jetzt auch nicht so überraschend, dass die Tochter der Mutter ähnelt. So bin ich etwas überrascht, dass die anderen überrascht wirken. Liegt es daran, dass mein Vater aus Indien stammt und ich nicht so ganz dominanzdeutsch aussehe?

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Sonntag, 6. November 2011
Internetillusion
Die taz berlin hat die Piratinnen Alexandra Alt und Jessica zum Thema Frauen und Piraten-Partei interviewt. Arlt thematisiert dabei durch Diskriminierung (in der Gesellschaft und damit auch in der Partei), die zu bekämpfen sind. Zinn gehört zu jenen Frauen, denen das ganze Gerede über Frauen zu weit geht. Sie gehört auch zu denen, die sich ziemliche Illusionen über die Kommunikation im Internet machen:

"Ein Punkt, warum die Geschlechterzugehörigkeit bei den Piraten eine geringere Rolle spielt als bei anderen Parteien, ist auch, dass bei uns ein großer Teil der Kommunikation über das Internet abläuft. Dort kann man anonym auftreten. Man lernt sich kennen, ohne zu wissen, wie der andere aussieht und welches Geschlecht er hat. Das, was zählt, ist, was man sagt und was man macht. "

Dass virtuellen Identitäten unabhängig von den physischen Realitäten (und ihren Diskriminierungs-/ Privilegierungserfahrungen dort) agieren können, wird von kritischen Internetstudien schon lange in Frage gestellt. Auch wenn ich online anonym agiere, bin ich dabei immer noch von meinen Erfahrungen in der physischen (und auch in der virtuellen) Welt geprägt. Mein Kommunikationsverhalten ist dadurch geprägt und so wirken sich die Diskriminierungsverhältnisse der physischen Welt auch online aus (wenn auch nicht 1:1, sondern viel komplexer).

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Exklusiv
Ich war heute bei der Beerdigung meines Großonkels. Dabei bin ich natürlich mit in den Gottesdienst gegangen, auch wenn ich in keiner Weise religiös bin. Während des Gottesdienstes fand ich es aber schon erschreckend, wie sehr Nicht-Christ_innen wie ich von diesem Gedenken an den Verstorbenen durch den Pastor ausgeschlossen wurden. Immer wieder sprach er von "uns Christen", betonte, dass wir "Christen und nicht Atheisten oder Budhisten" sind und sofort.

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Freitag, 4. November 2011
Keiner Schuld
Der Berliner Wissenschaftssenator weiss laut taz, warum so wenige Medizinerinnen Professorinnen werden:

""Wenn Sie Professorin in der Chirurgie werden wollen, können Sie das nicht in Heimarbeit machen", sagte der Senator, "da müssen Sie Dienst im OP schieben.""

(Dank an katunia für den Hinweis.)

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Selbst Schuld
In einem taz-Artikel schreibt Marina Mai:

"Viele vietnamesische Hochschulabsolventen bekommen keinen Job - trotz hervorragender Noten."

Damit aber die Leser_innen jetzt nicht auf die abwegige Idee kommen, dass könnte an rassistischen Strukturen liegen, zitiert sie Son Thach vom Verein Verinigung der Vietnamesen:

"Wir haben aber keine Indizien, dass es wegen des ausländischen Namens oder des asiatischen Aussehens schwer ist, einen Job zu finden"

und lässt Dietrich Lederer vom Interkulturellen Bildungszentrum Berlin-Lichtenberg vermuten:

"zu hohen Ansprüche an einen Job als Grund: "Ich weiß, dass Bezirksämter und Wohnungsbaugesellschaften händeringend Auszubildende mit vietnamesischen Sprachkenntnissen gesucht haben. Es fanden sich kaum Bewerber - weil die Eltern ihre Kinder lieber auf Eliteunis sehen.""

und das wird dann gleich nochmal kulturalisiert:

"Berufswahl ist in Vietnam oft eine Entscheidung der Großfamilie. "

Also, Ihr 'vietnamesischen Mustermigrant_innen' mit gutem Hochschulabschluss: Wenn Ihr keinen Job findet, dann macht doch eine Ausbildung bei einem Bezirksamt oder einer Wohnungsbaugesellschaft und arbeitet als Sprachmittler_innen. Da könnt Ihr Euch auch mal von den Eltern emanzipieren, um so eine tolle Stelle anzustreben. Das ist wahre Integration.

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Doppelpass
In der Regierung hat es Rot/Grün 1998/99 nicht geschafft, den Doppelpass umzusetzen. Sie wurden von Roland Kochs Kampagne dagegen überrollt und haben dann nur eine halbherzige Staatsbürger_innenschaftsreform durchgeführt. In der Opposition startet die SPD nun laut taz einen 'neuen Anlauf zum Doppelpass'.

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Mittwoch, 2. November 2011
Vortrag: Hannover, 8.11.11
Nächste Woche halte ich in Hannover meinen Vortrag "Kopftücher, Homophobie und deutsche Leitkultur" zur Verflechtung von (antimuslimischen) Rassismus und Heteronormativität.

Mehr zu der Veranstaltung auf schwulissimo.de.

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Dienstag, 1. November 2011
Neue Bezirksbürgermeister in Berlin
Heinz Buschkowsky - Helmut Kleebank - Christian Hanke - Stefan Komoß - Matthias Köhne - Norbert Kopp - Reinhard Naumann - Andreas Geisel - Oliver Igel - Franz Schulz - Frank Balzer (Quelle: taz, 28.10.11)

Ausgeschieden sind unter anderem: Gabriele Schöttler und Dagmar Pohle.

Ausgewählt und gewählt für den Posten der Bezirksbürgermeister(_innen) wurden sicher nur die Besten. Geschlecht, Herkunft, etc. haben sicher keine Rolle gespielt. Quoten brauchen wir nicht. Und die Jungen haben auch ihre Chance bekommen: So übernimmt der 33jährige Igel den Posten von Schöttler.

Dank an katunia für den Hinweis.

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Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention
Die taz berichtet, dass Deutschland mit seiner Behandlung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen immer wieder gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstösst. (Deutschland hat die Konvention allerdings auch erst vor einem Jahr anerkannt.)

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Definitionssache
Wenn ich 'Ehrenmord' so definiere, dass er nur von einer bestimmten Bevölkerungsgruppe begangen werden kann:

""Ehrenmörder" sind Personen, die ihre angeblich verletzte Wertevorstellung durch Gewalt wiederherstellen wollen. Frauen müssen sterben, weil sie aus Sicht der Familie traditionelle Normen verletzt haben, vor der Ehe eine sexuelle Beziehung haben, sich scheiden lassen wollen oder ein an westlichen Normen orientiertes Leben führen. " (Quelle: taz-Interview mit Jan Ilhan Kizilhan/ meine Hervorhebungen)

dann können natürlich nur Mitglieder dieser Bevölkerungsgruppe dieses Verbrechen begehen. Dann muss die Rückfrage der taz "Wenn ein Deutscher aus Eifersucht seine Frau umbringt, wird von einer "Beziehungstat" gesprochen. Warum wird der Begriff "Ehrenmord" immer im Zusammenhang mit Muslimen verwendet?" auch abgewehrt werden, denn die Definition des 'Ehrenmordes' ist ja speziell für 'Nicht-Deutsche' (oder spezifischer für 'Muslime'?) gewählt worden.

Wenn ich nur verurteilte Täter befrage, dann ist es auch klar, dass ich aus meinen Daten nur Informationen über Täter bekomme (und keinen Vergleich ziehen kann zu Personen der gleichen Bevölkerungsgruppe, die keine Taten begehen). Ganz einfach scheint es aber nicht gewesen zu sein, die richtigen Täter zu finden:

"Es war sehr schwierig, diese Personengruppe zu finden und anhand der Aktenlage zunächst auszusortieren, wer tatsächlich aus geglaubter Ehrverletzung getötet hat und wer es aus anderen Motiven nur behauptet. "

Den Satz verstehe ich zwar nicht wirklich, aber es erscheint mir, dass die Datensammlung so erfolgt ist, dass die Annahmen sich auch in den Daten widergespiegelt haben.

Hilfreicher fände ich es, wenn bei der Analyse von 'Beziehungstaten', 'Ehrenmorden', etc. die Perspektive auf unsere heterosexistischen Geselllschaftsstrukturen allgemein geworfen würde und versucht würde, diese zu verändern. Dabei sollten dann durchaus auch unterschiedliche Ausprägungen heterosexistischer Gewalt geschaut werden, aber nicht um rassistische Ausgrenzung zu legitimieren sondern um gegen heterosexistische Gewalt anzugehen. (Dafür wäre dann zum Beispiel ein von der Ehe unabhängiges Aufenthaltsrecht wichtig. Es würde aber auch helfen, wenn die Gesellschaft weniger rassistisch wäre, denn dann könnten Opfer eher Vertrauen in zum Beispiel Institutionen fassen.)

Warum die taz dieses Interview auf der Titelseite ankündigt, verstehe ich nicht.

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Dienstag, 1. November 2011
Klarer Standpunkt
Die taz hat Nuran Yigit und Serdar Yazar vom (Antidiskriminierugnsnetzwerk des) TBB interviewt. Die beiden machen klare und differenzierte rassismuskritische Aussagen. Ein sehr lesenswertes Interview.

Sehr gut hat mir gefallen, dass sie sich nicht auf eine Hierarchisierung von von Rassismus Marginalisierten einlassen. Auf die taz-Frage "Sind Türkeistämmige stärker als andere betroffen?" antwortet Yigit:

"Auf diese Diskussion wollen wir gar nicht eingehen. Natürlich hat jede rassistisch diskriminierte Gruppe ihre eigene Geschichte, Sinti und Roma oder auch schwarze Menschen sind noch mal von ganz anderen Problemen betroffen. Aber wir wollen keine Opferkonkurrenzdiskussion, sondern den Solidaritätsaspekt betonen. Jede Diskriminierung ist schlimm. "

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