Donnerstag, 30. März 2006
Hilferuf der Schule
Aus dem Brief der LehrerInnen der Neuköllner Schule wird so einiges zitiert. Und dabei dekontextualisiert, vereinfacht, islamophob skandalisiert. Dabei ist der Brief sehr viel differenzierter als es in den Medien erscheint. Die LehrerInnen fordern auch nicht schlicht die Auflösung der Schule, sondern eine Umgestaltung des Schulsystems, um Probleme konstruktiv zu bearbeiten:

"In den meisten Familien sind unsere Schüler/innen die einzigen, die morgens aufstehen. Wie sollen wir ihnen erklären, dass es trotzdem wichtig ist, in der Schule zu sein und einen Abschluss anzustreben? Die Schüler/innen sind vor allem damit beschäftigt, sich das neueste Handy zu organisieren, ihr Outfit so zu gestalten, dass sie nicht verlacht werden, damit sie dazugehören. Schule ist für sie auch Schauplatz und Machtkampf um Anerkennung. Der Intensivtäter wird zum Vorbild. Es gibt für sie in der Schule keine positiven Vorbilder. Sie sind unter sich und lernen Jugendliche, die anders leben, gar nicht kennen. Hauptschule isoliert sie, sie fühlen sich ausgesondert und benehmen sich entsprechend.

Deshalb kann jede Hilfe für unsere Schule nur bedeuten, die aktuelle Situation erträglicher zu machen. Perspektivisch muss die Hauptschule in dieser Zusammensetzung aufgelöst werden zu Gunsten einer neuen Schulform mit gänzlich neuer Zusammensetzung. Kurzfristig brauchen wir eine Erhöhung der Lehrer/innenausstattung, um Ruhe in den Schulalltag zu bringen, der, wie oben erwähnt, geprägt ist durch Unterrichtsausfall und Vertretungsunterricht...

Wir brauchen die tägliche Präsenz einer Fachkraft, die uns bei Deeskalation und Krisenintervention hilft... "


Bei den 'schwierigen' SchülerInnen an dieser Schule handelt sich überwiegend um solche mit 'Migrationshintergrund'. Die Probleme, die hier dargestellt werden, sind aber nicht 'kulturell' bedingt, sie liegen nicht daran, dass in diesem Fall vorwiegend 'Muslime' betroffen sind. Es sind Handlungen von sozioökonomisch Marginalisierten, die zusätzlich noch aufgrund von zugeschriebener Herkunft diskriminiert werden.

Eine Lösung der Probleme wird sicher nicht gefunden, wenn wieder auf den herbeigeschriebenen fehlenden 'Integrationswillen' der 'Muslime' hingewiesen wird. Die Realität ist viel komplexer und verlangt komplexere Lösungsstrategien. Die LehrerInnen und SchülerInnen haben es verdient, dass man sie ernst nimmt und angemessene Veränderungen vornimmt. Wissenschaftliche Ansäzte dafür gibt es. Die Medienreaktionen bisher versprechen das allerdings nicht.

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Hakenkreuz
Ein Hakenkreuz, durchgestrichen:

mensch

Frau könnte meinen, dass dies ein eindeutiges Zeichen gegen 'Nazis' ist. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft sieht das anders. Heute in der taz:

"Die Staatsanwaltschaft will mit ihrer Anklage gegen Jürgen Kamm, den Betreiber des schwäbischen Punk-Versandhandels, Grundsätzliches klären lassen. Ist das Verwenden und Vertreiben eines deformierten Hakenkreuzes strafbar? Die Behörde sorgt sich, dass ausländische Touristen die Symbole missverstehen könnten. Außerdem könnte durch ihre massenhafte Verbreitung das Hakenkreuz langfristig wieder salonfähig werden."

Ja, die 'Ausländer' sind halt ein bisschen dumm. Die verstehen nicht, dass es sich bei dem durchgestrichenen Hakenkreuz um ein Verbotsschild handelt. Und die 'Nazis' sind bestimmt genauso dumm und verstehen die 'Antifas' als Verbündete. Und was versteht die Stuttgarter Staatsanwaltschaft?

Vielleicht sollten staatliche Institutionen sich lieber über Eine neue Qualität rechter Alltagskultur sorgen, die von Heike Kleffner von der mobilen Opferberatung heute in der taz für Sachsen-Anhalt beschrieben wird:

"Wir sehen flächendeckend eine neue Qualität rechter Alltagskultur. Und wir sehen auf der kommunalpolitischen Ebene beim Umgang mit Neonaziaktivitäten noch immer die Tendenz, das als Imageproblem zu behandeln und deshalb lieber den Mantel des Schweigens darüber zu breiten oder es zu verharmlosen. ... Und dann gibt es Kommunalpolitiker, die meinen, mit der NPD könne oder müsse man ja noch reden. Damit sorgen sie für eine Stimmung, in der sich Opfer und potenziell Betroffene rechter Gewalt völlig ausgegrenzt und schutzlos fühlen müssen."

Nachtrag 13.06.06: Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft verfolgt weiter antifaschistische Symbole, diesmal wird gegen Claudia Roth ermittelt.

Nachtrag 29.06.06: Die Fifa darf das verfassungsfeindliche Symbol benutzen ....

Nachtrag 13.07.06: Die Farce geht weiter:

"Die "Nix gut"-Mitarbeiter denken auch nicht mehr, schrieben sie Mitte Juni, in einem offenen Brief an Ministerpräsident Oettinger, dass es der Staatsanwaltschaft nur um eine generelle juristische Klärung der Auslegung des Paragrafen 86 gehe. Deren Sprecherin habe ihnen zwar gesagt, sie wisse, "dass wir die Falschen bestrafen, und das tut mir im Herzen weh". Dies aber könnten sie längst nicht mehr glauben. Und das anfängliche Gelächter über die absurde Justizkampagne sei ihnen mittlerweile vergangen. Kamm: "Das ist nicht mehr zum Lachen, das ist sehr traurig.""

Nachtrag 16.09.06: Auch im hohen Norden versteht die Polizei keine Symbolik.

Nachtrag 24.09.06: Durchgestrichene Hakenkreuze sind verfassungswidrig, selbstgemachte Hakenkreuz-Fahnen kann man aber schon mal vom Balkon hängen lassen, ohne dass das weiter einen stört.

Nachtrag 30.09.06: Wie die taz berichtet, hat das Landgericht Stuttgart nun ein Urteil gefällt:

"Die 18. Strafkammer des Landsgerichts Stuttgart verurteilte ihn gestern wegen gewerbsmäßiger Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen. ...

Der kommerzielle Vertrieb des Symbols sei durch die Ausnahmen, die Paragraf 86a des Strafgesetzbuchs für Aufklärung, Forschung, Lehre, Kunst und Meinungsfreiheit vorsehe, nicht gedeckt. Und ein Hakenkreuz bleibe auch dann ein solches, wenn es gegen den Rechtsextremismus verwendet werde. Das gelte auch für durch Halteverbotszeichen durchgestrichene oder sonstwie "verformte oder zerteilte" Symbole. Der Gesetzgeber wolle, so die Überzeugung der Kammer, "die grundsätzliche Tabuisierung" des Hakenkreuzes und andere Zeichen Rechtsextremer im öffentlichen Raum. Sonst könne durch "massives und ständiges Verwenden" ein Gewöhnungseffekt entstehen, den sich auch die Neonazis wieder zunutze machen könnten. Mit dem Urteil schloss sich das Gericht der Anklage von Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler an, der die generelle Tabuisierung in seinem Pladoyer gefordert hatte. Er zeigte sich mit dem Urteil "zufrieden". Unter dem Hakenkreuz sei zu "Schreckliches geschehen", als dass es als "modisches Accessoire" verwendet werden dürfe."


Was für eine Verdrehung von Tatsachen.

Nachtrag 02.10.06: Laut tagesschau.de erwägt die Justizministerin eine Gesetzesänderung, um solche absurden Urteile in der Zukunft zu verhindern. Die taz fügt hinzu, dass in Berlin keine Strafverfolgung bei durchgestrichenen Hakenkreuzen zu erwarten ist:

"Aus Protest gegen das Urteil hängten die Grünen am Wochenende ein entsprechendes Transparent aus ihrer Bundesgeschäftsstelle in Berlin. Strafrechtliche Konsequenzen müssen sie laut Berliner Staatsanwaltschaft nicht fürchten: Verfremdete Hakenkreuz-Abbildungen, die ausdrücklich im Kampf gegen Neonazis eingesetzt werden, sollen nicht strafrechtlich verfolgt werden, sagte Oberstaatsanwalt Jörg Raupach dem Tagesspiegel."

Nachtrag 09.03.07: Es scheint doch noch Vernunft in die Rechtsprechung einzuziehen.

Nachtrag 14.03.07: In Baden-Württemberg ist Antifaschismus offensichtlich von staatlicher Seite nicht wohl gelitten. Aber auch der Lehrer, der in einer antifaschistischen Initiative aktiv ist scheint nun vor Gericht zu gewinnen.

Nachtrag 15.03.07: Der Bundesgerichtshof hat klar gestellt, die "Verwendung durchgestrichener Hakenkreuze ist nicht strafbar, wenn die Distanzierung zum Nationalsozialismus eindeutig ist."

Nachtrag 16.03.07: Die taz hat zusammengestellt, was erlaubt und was verboten ist.

Zur Reaktion des Versandhändlers schreibt die taz:


"Jürgen Kamm zeigte sich gestern nicht nur erleichtert, sondern auch wütend. Gemeinsam mit seinem Bruder reichte er gestern noch eine Strafanzeige wegen "Verfolgung Unschuldiger" gegen die Stuttgarter Staatsanwälte ein, Justizminister Ulrich Goll (FDP) wird der Beihilfe beschuldigt. Die baden-württembergische Justiz sei das "eigentliche Problem", sagte Kamm. Die Anzeige wird aber von den Behörden kaum weiterverfolgt werden, weil sich die Staatsanwaltschaft auf den Wortlaut des Gesetzes stützen konnte (Az.: 3 StR 486/06)."

Zum

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Integrationsdruck
Heute im Tagesspiegel:

"Sie [die CDU, ug] will aber den Integrationsdruck erhöhen: „Wer sich nicht integrieren will, soll auf Dauer auch keine Sozialhilfe mehr erhalten, sondern in sein Heimatland zurückkehren. Schluss mit Multikulti“, sagte Schmid."

Wer so willkommen ist, 'integriert' sich sicher gern.

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Mittwoch, 29. März 2006
Der 'Pole' klaut
der 'Togolese' trommelt und trägt Baströckchen, der 'Araber' hat zu viel Geld, die 'Französin' denkt immer nur an Sex, und so weiter. Und der Mediamarkt ist nicht blöd, und macht deshalb gerne Werbung mit rassistischen und diskriminierden TV- und Radiospots. Der trommelnde 'Togolese' ist immer noch auf der Mediamarktseite und auch im Radio zu hören, die meisten anderen auch noch, nur die 'Polen' nicht mehr. In der taz erklärt der sagte Mediamarkt-Sprecher Bernhard Taubenberger den teilweisen Rückzug:

"Wir wollen mit unserer Werbung bewusst an Grenzen stoßen, diese Grenzen aber nicht überschreiten. Das ist uns bei den polnischen Spots gründlich misslungen."

Gründlich misslungen ist noch sehr gelinde ausgedrückt. Der Spot ist absolut unmöglich. Glücklicherweise gab es genug Menschen, die sich dagegen gewehrt haben.

In der taz wird auch die Reaktion des polnischen Botschafters wiedergegeben:

"In einem Brief an Mediamarkt hatte schließlich am Montag auch der polnische Botschafter in Deutschland, Andrzej Byrt, protestiert. In den Spots, heißt es in dem Schreiben, das der taz vorliegt, bediene sich die Firma "eines der Deutschen unwürdigen und falschen Stereotyps, laut dem polnische Kunden Diebe wären". Würden die polnischen Kunden nicht ehrlich zahlen, heißt es in dem Schreiben weiter, "hätte Mediamarkt kein Interesse daran, in Polen zu bleiben"."

Warum der polnische Botschafter so defensiv argumentiert ist mir schleierhaft. Es geht nicht um 'falsche' Stereotypen. Stereotypen sind immer 'falsch'. Daher sollten sie auch niemals in einer solchen Werbekampagne benutzt werden. Insbesondere dann wenn sie entwürdigend sind. Und es muss auch nicht begründet werden, dass 'Polen' nicht alle Diebe sind. Das ist selbstverständlich.

PS: Das es auch einen Spot mit dicken versoffenen 'Deutschen' gibt, entschuldigt die anderen Spots nicht.

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Strukturelle Diskriminierung
Sicher, in diesem Beitrag geht es um eine andere Form der Diskriminerung als sonst in diesem Blog. Diesmal geht es um Diskriminierung aufgrund von Verhalten und nicht von zugeschriebener 'Essenz'. Der geschichtliche Hintergrund ist ein anderer, und die verschiedenen Formen lassen sich nicht gleichsetzen. Aber es geht auch um strukturelle Diskriminierung, und deshalb dieser kurze Exkurs:

Fahrradfahren in Berlin ist gefährlich. Die Verkehrsführung ist auf AutofahrerInnen ausgerichtet. Die Ampeln sind für sie geschaltet. Die Radwege sollen ihnen den Weg freihalten (und nicht die Fahrradfahrerinnen schützen oder gar ihnen einen schnelleren Weg bieten). Viele Auto-, Taxi-, Bus- und LKW-FahrerInnen scheinen die RadfahrerInnen, primär als Hindernis zu verstehen. Sie ignorieren, übersehen, schneiden sie. Gefährden sie immer wieder. Und machen sie auch gerne auf Regelüberschreitungen (sprich Missachtung der eingebauten Vorfahrt der Autos) aufmerksam.

Heute wurde ich wieder diverse male von Taxis und Bussen geschnitten, Autos standen im Weg rum, die Ampeln hatten rote Welle für mich. FussgängerInnen liefen auf den Radwegen rum. Und dann radelte ich in eine Polizeikontrolle hinein. Ich war ein kurzes Stück auf dem Fussweg (der an dieser Stelle ein weiter offener Platz ist) gefahren. Da ist eine Verwarnung fällig. Eine Regelübertretung habe ich begangen, und daher zahle ich auch die Verwarngebühr. Aber es leuchtet mir nicht ein, warum fünf PolizistInnen mit drei Wagen diese Kontrolle an dieser Stelle durchführen. Das konnte mir der nette Polizist, der meine Daten aufnahm, auch nicht erklären. Nein, hier sei kein besonderer Unfallschwerpunkt. Aber Regel ist Regel.

Da die Regeln aber ausschliesslich auf AutofahrerInnen ausgelegt sind, die Bedürfnisse von RadfahrerInnen so gut wie gar nicht berücksichtigen, kommt die Radfahrerin, die das Fahrrad als Verkehrsmittel benutzt und von einem Ort an den anderen muss, kaum drumrum immer wieder diese Regeln zu übertreten. Da stimmt etwas strukturell in der Strassenverkehrsordnung und in der Stadtplannung nicht.

PS: Für eine nachhaltigere und gerechtere Verkehrspolitik setzt sich zum Beispiel der Verkehrsclub Deutschland ein. Mehrere Jahre war ich da aktiv, und habe mich dort für Vielfalt im Verkehr eingesetzt.

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Göhl
Ich bin heute in eine Polizeikontrolle geradelt, musste den Personalausweis zücken, habe dann den netten Polizsten korrigiert: "Mein Name ist Go-el". Er hatte - wie üblich in Deutschland - "Göhl" gesagt. Das ist ok. Kann eine Deutschsprachige auch nicht sehen, dass es nicht Göhl ist, sondern Go-el. Deswegen sage ich es ja. Der Polizist guckte aber ganz irritiert. Wollte mir nicht so recht glaube. Da stand doch was ganz anderes, als ich gesagt hatte.

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Montag, 27. März 2006
'Deutsches' Blut
Das 'deutsche' Blut ist ein ganz besonderes. Deswegen darf es auch nicht aussterben. Deswegen müssen 'wir' wieder mehr Kinder bekommen. Claudia Pinl greift diese neokonservative Sichtweise heute in der taz sehr berechtigt aus feministischer Sicht an.

Bei diesem Diskurs geht es aber um mehr. Es ist klar auch ein rassistischer. 'Wir' brauchen nicht einfach Kinder, wir brauchen 'deutsche' Kinder. (Es ist daher auch nicht schlimm, dass ich als Akademikerin keine Kinder habe - sie würden das 'deutsche' Blut sowieso nicht retten können.)

Rassismus, also die hierarchische Einteilung der Menschheit in unterschiedliche 'Menschenrassen', scheint alles andere als überwunden. Die Begriffe werden nicht mehr genutzt, aber die Ideen werden gedacht. Sogar die Tagesschau gibt ihnen unkommentiert Raum:

"Es sei ein Gesetz der Geschichte, dass das militärische Lager mit dem größeren IQ gewinne."

Damit ist dann auch gleich noch der ganze Kolonialismus legitimiert.

Nachtrag: Mehr zum IQ in der englischen Version.

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Rechtsstaat?
Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Rechtsstaat. Wer dort wohnt, dessen Rechte sind geschüzt. Und die Menschenrechte sowieso. Denn die sind universell. Ohne Verfahren darf hier keine eingesperrt werden. Solange die Schuld nicht bewiesen ist, gilt die Unschuldsvermutung. Und so weiter.

Ich dachte immer, in einem Rechtsstaat gelten die (Menschen-)Rechte für alle. Ich weiss wohl, dass in Deutschland 'Deutschen' (jenen mit der deutschen Staatsbürgerschaft) Sonderrechte eingeräumt werden. Ich weiss auch, dass manche Rechte nur für sie gelten. Andere StaatsbürgerInnen sind häufig genug BürgerInnen der zweiten Klasse. Aber das es soweit geht, dass hatte ich dann doch nicht gedacht.

Wenn der Spiegel Recht hat, dann wurde ein 'deutscher' Inländer, dem Bremer Murat Kurnaz, nicht nur mit Wissen der 'deutschen Regierung sondern sogar durch ihr Handeln bedingt unter völkerrechtswidrigen Verhältnissen jahrelang inhaftiert. Er hätte freikommen können, weil er unschuldig verhaftet wurde. Aber die Regierung wollte ihn nicht wieder einreisen lassen, in das Land, in dem seine Familie lebt, in dem er aufgewachsen ist. Welche Begründung kann es dafür geben?

Nachtrag 30.08.06: Der Bremer Murat Kurnaz ist inzwischen frei gelassen worden und wieder in Deutschland. Die Fragen darüber, ob er nicht früher hätte frei gelassen werden können und warum die deutsche Regierung, das verhindert hat bleiben. Siehe dazu die taz-Artikel Ein kaltes Doppelspiel und Berlin hatte Angst vor Kurnaz:

"Als Erster ergreift der BND-Präsident Hanning das Wort. Er plädiert für Abschiebung in die Türkei, nicht nach Deutschland. Er regt zudem eine Einreisesperre für Kurnaz an, die sicherstellen soll, dass Kurnaz nicht mehr zurück in sein altes Umfeld kann. Das Kanzleramt, dessen Vertreter der heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist, und das Innenministerium schließen sich dieser Meinung an: Ein Guantánamo-Heimkehrer könnte als Märtyrer ein Sicherheitsproblem, vielleicht auch ein Propaganda-Desaster werden.

Soweit die Darstellung des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, das sich auf schriftliche Aufzeichnungen der Sicherheitsbehörden beruft. Die Bundesregierung hat den Bericht von Ende März 2006 bis heute nicht dementiert."


Nachtrag 21.01.07: Je mehr Einzelheiten über das Handeln der deutschen Behörden bekannt werden, umso grausiger wird es.

Nachtrag 23.01.07: Dass sich auch die türkischen Behörden, nicht für Kurnaz eingesetzt haben, zeigt in welch prekärer Situation 'Andere Deutsche', mehrfach Zughörige und Ausgegrenzte leben.

Nachtrag 24.01.07: Steinmeier versucht auszusitzen, hoffentlich gelingt es ihm nicht.

Nachtrag 25.01.07:Das Bildblog zeigt auf, wie die Bild die Fakten verdreht, um Kurnaz zu verdächtigen.

Nachtrag 29.01.07: Aus der taz zum Fall Kurnaz: ""Man muss sich ja nur vorstellen, was geschehen würde, wenn es zu einem Anschlag gekommen wäre, und nachher stellte sich heraus: Wir hätten ihn verhindern können", so Steinmeier."

Lieber Generalverdacht gegen Muslime und rechtswidriges Einsperren inklusive Folterung. Wenn das kein Rechtsstaat ist.

Nachtrag 19.09.08: Die taz berichtet:

"Ob der türkische Bremer Murat Kurnaz 2002 von Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Afghanistan misshandelt worden ist, bleibt auch nach der Untersuchung durch den Verteidigungsausschuss des Bundestags offiziell ungeklärt. Der Vorsitzende der Untersuchung Karl Lamers (CDU) erklärte am Donnerstag: "Die Mehrheit des Ausschusses ist der Meinung, dass der Nachweis für die von Kurnaz erhobenen Vorwürfe ebenso wenig erbracht werden konnte wie der Nachweis des Gegenteils.""

Für die KSK-Kräfte gilt also (im Gegensatz zu Kurnaz) die Unschuldsvermutung.

In der Printausgabe bebildert die taz den Artikel übrigens mit einem anderen Foto von Kurnaz: rassiert und frisiert.

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Samstag, 25. März 2006
Mein Indien
'Andere Deutsche' werden immer wieder mit Bildern über das ihnen zugeschriebene Herkunftsland konfrontiert. Bilder der Eltern, der Verwandten, der Mehrheitsgesellschaft, etc. Vielfältige Bilder. Bilder mit denen sich die 'Anderen Deutschen' auseinandersetzen müssen. Sie sollen Stellung dazu nehmen, sie sollen ihnen gerecht werden, sie sollen sie vermitteln, und so weiter. Häufig aber sind es Bilder mit denen sich die 'Anderen Deutschen' nicht identifizieren können oder wollen. Häufig sind es Bilder, die das 'Othering' noch verstärken.

Auf dem Internetportal Indernet habe ich heute mal wieder so ein Bild gefunden. Ein Bild bei dem mir ganz anders wird. Ein Bild, das nichts mit meinem 'Indien' zu tun hat. Ein Bild, bei dem ich sofort vermute, dass eine 'Weisse' es formuliert hat. Ein Bild, das wunderbar zu dem passt, was katunia vor einiger Zeit beschrieben hat.

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Freitag, 24. März 2006
Zuwanderung erschweren
Alle Welt, zumindest die 'deutsche' redet nur noch von Einbürgerung. Als ob es nichts wichtigeres gäbe. Oder aber, weil das Thema sich sehr gut eignet für den Wahlkampf, wie Bettina Gaus in einem Kommentar in der taz schreibt:

"Wenn der Koalitionsfriede in Berlin es gebietet, über ernsthafte politische Probleme mit der Hauptgegnerin nicht seriös zu streiten, dann bleibt doch nichts anderes übrig, als mit Stimmungsmache auf Stimmenfang zu gehen. ... Erfahrungsgemäß eignet sich dafür kein Thema vergleichbar gut wie die Angst vor Überfremdung."

Da steckt sicher einiges an Strategie dahinter. Aber nicht nur das, da steckt auch eine Überzeugung dahinter. In einem anderen Artikel schreibt Lukas Wallraff in der taz:

"So rutschte CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach kürzlich heraus, "dass wir die Zuwanderung generell erschweren wollen"."

Das glaube ich sofort, dass das das eigentliche Ziel ist. Zwar werden sie das nicht mit der Erschwerung der Einbürgerung schaffen, aber sie zeigen deutlich, dass sie keine 'Fremden' in diesem 'unserem' Land wollen.

Das Schlimmste dabei ist aber, dass es keine ernsthafte Kritik mehr in den politischen Parteien an diesem Umgang mit Einbürgerung gibt. Alle sagen mehr oder weniger, dass natürlich die Verfassungstreue, etc. geprüft werden muss. Sie alle tun so, als ob die AntragsstellerInnen BittstellerInnen wären. Sie alle verleugnen den Fakt, dass es im Interesse des Staatess ist, dass seine Bevölkerung auch die Rechte und Pflichten von StaatsbürgerInnen hat.

PS: Bei katunia gibt es auch was zur 'deutschen' Identität etc. zu lesen.

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Freitag, 24. März 2006
In Deutschland gelebt
Die 'deutschen' Medien sind voll davon. Die Bundeskanzlerin schaltet sich ein. Eine Sache von höchster Dringlichkeit. Auch ich finde, dass jede ihre Religion wechseln können muss. Die Todesstrafe sollte es gar nicht geben. Und es ist schon gut möglich, dass der Fall Abdul Rahman ein Problem im afghanischen Rechtssystem illustriert. Aber die Aufregung in Deutschland finde ich doch seltsam. Alle setzen sich für diesen Christen ein, der mal in Deutschland gelebt hat. Das scheint ihn, irgendwie mit uns zu verbinden. Jetzt wo er nicht mehr hier ist, sondern 'dort' von der Scharia bedroht ist. Abschiebeschutz gebe das Konvertieren zum Christentum in Deutschland aber bestimmt nicht.

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Härtefälle
In einem Interview der taz berlin spricht das Mitglied der Härtefallkommission heute über die Probleme der deutschen Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik. Für gut 'integrierte' Familien wie die Familie Aydin sollte es gar nicht so weit kommen, dass man humanitäre Gründe bemühen muss. Eine solche Familie sollte unabhängig davon ein Aufenthaltsrecht bekommen. Die Härtefallkommission sollte nicht diese Fälle regeln müssen. Humanitäre Gründe wären viel eher zu berücksichtigen, wenn es um Menschen ginge, die sich aus diversen Gründen (Krankheit, soziale Marginialisierung, etc.) nicht so gut 'integrieren' könnten. Mertes klagt die Verlagerung von Migrations- und Einwanderungsfragestellungen auf das Asylrecht an. Und tut gut so, auch wenn ich das Integrationskonzept, das er (und die meisten anderen in der Diskussion) nutzt, eher problematisch finde.

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Mittwoch, 22. März 2006
Wissen & Werte in Deutschland und Europa
Das Hessische Ministerium des Inneren und für Sport hat einen Leitfaden: Wissen & Werte in Deutschland und Europa herausgebracht, mit dem sich Einbürgerungswillige auf ihre Einbürgerung vorbereiten können und sollen. Es werden ihnen die Rechte und Pflichten deutscher StaatsbürgerInnen sowie das Einbürgerungsverfahren erklärt, und 100 Fragen zum "Wissens- und Wertekanon der Bundesrepublik Deutschland" aufgelistet, mit denen sich die LeserInnen auf den "Wissens- und Wertetest" vorbereiten sollen, der Vorraussetzung zur Einbürgerung ist.

Ein neuer Markt tut sich auf. Kurse zur Einbürgerungsvorbereitung dürften sich lohnen. (Bei Wikibooks gibt es auch schon ein Lehrbuch.) Denn ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendeine 'Deutsche' diesen Test aus dem Stand vollständig richtig machen kann. Beim Stern-Test Hessen sucht den Super-Einwanderer bin ich zum Beispiel an Frage 10. Welche Versammlung tagte im Jahr 1848 in der Frankfurter Paulskirche?" gescheitert. (Nachtrag: annabexis hat den Test auch gemacht.)

Wenn ich die Frage 78. Wie heißt das Organ der EU, das die Gemeinschaftspolitik plant und die Entscheidungen ausführt? lese, dann muss ich auch schon genauer nachdenken. Was war ein Organ noch gleich? Und welches ist jetzt gemeint?

Frage 90. In den deutschen Kinos startete 2004 der Film "Das Wunder von Bern". Auf welches sportliche Ereignis nimmt der Film Bezug? kann ich zwar beantworten. Ich wundere mich aber schon, warum das nun zum Wissens- und Wertekanon zählen soll. Wollen wir nur fussballbegeisterte 'Deutsche'?

Gut, dass solche Fragen nicht bei der autmatischen Einbürgerung von mehr als 16 Millionen StaatsbürgerInnen der DDR gestellt wurden. Ob die alle das 'Wunder von Bern' kannten? Und auch Frage bzw. Aussage 50. Begründen Sie, warum die Wahlen in der ehemaligen DDR nicht unseren demokratischen Wahlgrundsätzen entsprachen! hätte da wohl bei einigen zu Unmut geführt.

Insgesamt ist der Leitfaden vorsichtiger forumliert als der baden-württembergische Muslimtest, aber viele Fragen sind wieder deutlich an bzw. gegen Muslime gerichtet. Oder wie habe ich folgende Frage zu verstehen?
39. Einer Frau soll es nicht erlaubt sein, sich ohne Begleitung eines nahen männlichen Verwandten allein in der Öffentlichkeit aufzuhalten oder auf Reisen gehen zu dürfen: Wie ist Ihre Meinung dazu?"

Das Wissen der AutorInnen des Leitfadens scheint allerdings auch begrenzt, wie Frage 30. Der 9. November hat in der deutschen Geschichte eine besondere Bedeutung. Welche Ereignisse fanden statt a.) am 9.11.1938 und b.) am 9.11.1989? zeigt. Der 9. November hatte in der deutschen Geschichte durchaus noch mehr Bedeutung. 1923 war es der Tag des Hitlerputsches, 1918 der Beginn der Novemberrevolution und 1848 das Ende der Märzrevolution. Aber soviel Wissen kann man von den hessischen Fragenden wohl nicht verlangen.

Zu Fragen ist aber, ob sie die Aufforderung 80. Nennen Sie drei deutsche Philosophen! wörtlich nehmen. Dann wäre es sehr problematisch. Entweder sie wissen nicht, dass es auch 'deutsche' Philosophinnen gab oder sie interessieren sich nicht dafür. Beides widerspricht der Gleichberechtigung von Mann und Frau. (In Frage 90. wird übrigens auch nur nach Sportlern gefragt, auch hier scheinen die Frauen uninteressant.)

Die letzte Frage 100. Wie heißt die deutsche Nationalhymne und mit welchen Worten beginnt sie? wiederum ist eine echte Herausforderungen an alle Rechten Deutschlands. Oder sind hier mehrere Antworten zulässig?

Ein solcher Test wird immerhin dazu führen, dass die eingebürgerten 'Deutschen' wesentlich gebildeter sind als die geborenen. Ob das letzteren so Recht ist?

PS: Die Mittel für Sprachkurse sollen gekürzt werden.

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Es geht auch differenzierter
Die taz hat Ahmet Toprak, den Autor von "Das schwache Geschlecht - die türkischen Männer" zum Thema Zwangsehen und häuslicher Gewalt unter 'türkischen' Migranten befragt. Ein kleiner Auszug:

taz: "Das legt die Bestseller-Autorin Necla Kelek nahe. In ihrem neuen Buch zitiert sie zum Beleg auch aus Ihren Arbeiten. Was halten Sie davon?"
Toprak: "Ich kann niemandem verbieten, aus meinen Büchern zu zitieren. Aber Frau Kelek nimmt Beispiele aus meinem Buch und stellt sie ausschließlich in den Kontext des Islam. Meine Ursachenforschung ist vielschichtiger."

Toprak distanziert sich im Folgenden dann zwar von dem öffentlichen Brief der 60 MigrationsforscherInnen, aber nicht von der Kritik:
"Ich fand die Kritik berechtigt, was die Verallgemeinerungen betrifft. Aber der offene Brief war in einigen Teilen unglücklich formuliert und hat zu sehr polarisiert. Deswegen habe ich nicht unterschrieben."

Es geht also doch differenzierter als uns die allgemeine Diskussion gerade glauben machen möchte.

Das ganze Interview ist hier zu finden.

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