Dienstag, 3. August 2010
EA???
Es war an dem Freitag, an dem Klimaanlagen in den ICEs ausfielen. Die Züge hatten massive Verspätungen und waren überfüllt. In Mannheim stand ich abends im Gang. Eine hochschwangere Frau fragte mich immer wieder in gebrochenen Englisch, ob der Zug nach Karlsruhe gehe. Ich bestätigte immer wieder. Am Bahnsteig in Karlsruhe sprach sie mich dann wieder an, zeigte mir ein offizielles Papier und sagte etwas von Heim. Ich schaute mir das Papier an. Es war irgendein Bescheid, der wohl bescheinigte, dass sie im Asylverfahren ist. Irgendwo stand eine Kürzel mit EA und irgendwas und eine Karlsruher Adresse. Vermutlich musste sie dahin. Wirklich verstanden habe ich das Papier nicht (aber alle ihre persönlichen Daten waren zu sehen). Ich ging mit ihr zum Informationsbüro der Verkehrsbetriebe und fragte, wie sie zu der Adresse kommt. Die Frau wusste sofort, dass das das Asylbewerber_innenheim ist. Sie erklärte mir den Weg, gab mir einen Plan, verkaufte mir eine Fahrkarte für sie und betonte, dass sie diese abstempeln müsse. Die Schwangere telefonierte zwischendruch mit einem Bekannten, in einer mir nicht bekannten Sprache, und gab mir das Telefon, um mit ihm zu sprechen. So fungierte er als Dolmetscher zwischen uns. Er war überrascht, dass sie noch eine Fahrkarte brauchte. Sie hatte gedacht, das Zugticket, dass sie von den Behörden bekommen hatte, reiche. Ich stieg mit ihr in die richtige Straßenbahn, stempelte die Fahrkarte und gab sie ihr. Auf dem Plan versuchte ich ihr zu erklären, wo sie hin muss, versuchte den Schriftzug der Haltestelle zu zeigen. Das schien nicht sonderlich erfolgreich. Aber das Vorsprechen war erfolgreich. Sie prägte sich den Laut der Haltestelle ein und sprach nach. Sie fragte, wieviele Haltestelle sie fahren müsse und wir verständigten uns mit Englisch und Händen auf die richtige Anzahl. (Das Zählen wiederum war für mich schwieriger als den Plan zu verstehen oder zu lesen.) Währenddessen lärmte neben uns eine Männergruppe und machte sexistische Bemerkungen. Hoffentlich hat sie die nicht verstanden. Glücklicherweise stiegen die Männer mit mir aus. Ich hoffe, die Schwangere hat den Weg gut gefunden. Und ich hoffe, sie hat andere Leute getroffen, die hilfsbereiter als die Behörden sind.

Es ist eine Unverschämtheit, wie Menschen, die sich in staatliche Obhut begeben, in Deutschland behandelt werden. Wenn jemand von Dortmund (da waren die Papiere glaube ich ausgestellt) nach Karlsruhe verlegt werden muss, dann reicht es nicht, ein unverständliches Formular mit allen privaten Daten und ein Zugticket in die Hand zu drücken.

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Sonntag, 1. August 2010
Deutungshohheit zur Milli Görüs
Im April erschien in der taz von Eberhard Seidel ein Verriß des neuen Buchs von Werner Schiffauer "Nach dem Islamismus - Eine Ethnographie der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs". Beim Lesen kam mir einiges seltsam vor, z.B. der Verweis auf Schiffauers Buch von 1983 und das Ignorieren der Weiterentwicklung von Schiffauers Denken in den letzten 30 Jahren oder das Anzweifeln der empirischen Grundlage Schiffauers und gleichzeitiges Behaupten von Dingen ohne sie selber zu belegen.

Inzwischen habe ich Schiffauers Buch gelesen und jetzt kommt mir noch viel mehr seltsam vor an der Rezension von Seidel. Ich lese bei Schiffauer eine differenzierte Darstellung der Milli Görüs und verschiedener Strömungen in ihr (und nicht die vereinfachten Darstellungen, die Seidel unterstellt). Eine gewisse Sympathie für die von ihm interviewten Vertreter der Milli Görüs ist bei Schiffauer schon zu merken, aber anders lässt sich eine so langfristige Ethnographie auch gar nicht machen. Schiffauer ermöglicht seinen Leser_innen aber immer auch kritische Perspektiven auf sein Protagonisten. Verhalten und Denken ist bei ihm immer komplex und auch ambivalent.

In Seidels Rezension fehlt allerdings, dass Schiffauer unter anderem Seidel scharf kritisiert (für unkritische, schlecht belegte Kritik an Milli Görüs). Kein Wunder, dass Seidel das Buch nicht gut finden kann und dafür andere Gründe benennt.

Ich bin natürlich auch parteiisch. An Schiffauers Lehrstuhl habe ich merhere Jahre gearbeitet und schätze seine Arbeit sehr (wenn sie mir auch z.B. zu wenig heteronormativitätskritisch ist). Seidels Artikel in der taz stören mich schon seit Jahren aufgrund ihrer Reproduktion von antimuslimischen Rassismus.

Nachtrag 15.08.10: antropologi.info hat noch weiteres Material rund um Schiffauers Buch zusammengetragen.

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Samstag, 31. Juli 2010
Sarkozy gegen Roma
Die taz berichtet, dass Sarkozy nicht nur gegen Roma hetzt, sondern auch konkrete Maßnahmen gegen sie anordnet.

Nachtrag 14.08.10: Die taz berichtet, dass auch in Dänemark Roma abgeschoben werden - vermutlich rechtswidrig, da EU-Bürger_innen nicht wenig geringfügiger Delikte (wie illegalem Zelten) abgeschoben werden dürfen.

Nachtrag 12.11.10: Ein weiterer taz-Artikel über antiziganistische Ausgrenzung in Frankreich (die Sprache des Artikels ist dabei aber auch nicht unproblematisch).

Nachtrag 21.08.10: Frankreich ist aktiv dabei Roma auszuweisen bzw. sie mit 300,- € dazu zwingen freiwillig auszureisen. Gestern in der taz ein paar Artikel dazu: Abschiebung hat begonnen, über eine Siedlung in Lyon und das Befremden in Bukarest.

Nachtrag 22.08.10: In der taz spricht Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, über Antiziganismus.

Nachtrag 11.10.10: Der Antiziganismus wird laut taz in Frankreich immer weiter institutionalisiert.

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Donnerstag, 29. Juli 2010
Verfassungswidrige Leistungen für Asylbewerber_innen
Die taz berichtet, dass das Landesozialgericht in NRW die niedrigen Leistungen für Asylbewerber_innen für menschenunwürdig und damit verfassungswidrig hält.

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Festgelegt auf Migrationshintergrund
taz-Autorin Cigdem Akyol schreibt in der taz über ihre Festschreibung von Anderen auf ihren 'Migrationshintergrund'.

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Mittwoch, 21. Juli 2010
Prekariat schützt vor Krise
Migrant_innen dominieren in Deutschland vorallem in besonders schlecht bezahlten Arbeitsplätzen mit schlechten Arbeitsbedingungen. Die sind relativ krisensicher und so weniger anfällig für die Wirtschaftskrise wie die taz berichtet.

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Visa nur für Weiße und Reiche
Die taz berichtet über die deutsche Vergabepolitik für Visa:

" Aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linke-Fraktion im Bundestag geht hervor, dass sich die Zahl der Ablehnungen in den Jahren 2000 bis 2009 fast verdoppelt hat - von 6 auf 10 Prozent der gestellten Anträge. Die Ablehnungsquoten variieren sehr stark zwischen unterschiedlichen Ländern.

Visa aus der Türkei werden doppelt so häufig abgelehnt wie im weltweiten Durchschnitt. In Ankara, wo die Bewerber aus den ländlichen Gebieten anlaufen, liegt sie mit 28 Prozent besonders hoch. Am häufigsten werden Anträge aus afrikanischen Staaten abgelehnt, für 2009 lag die Ablehnungsquote in Guinea bei 54 Prozent, in Ghana bei 37 Prozent. Die Zahlen berücksichtigen keine Fälle, in denen kein Antrag gestellt wird, weil Botschaftsmitarbeiter die Auskunft erteilten, er habe keine Aussicht auf Erfolg."


Die Zahlen legen eine rassistische und klassistische Ausgrenzung von Visaantragsteller_innen mehr als nahe.

Nachtrag 05.08.10: Familiennachzug wird laut taz berlin durch Hartz IV-Bezug verhindert. Zumindest wenn die Ehefrau nicht ohne ihre 7jährigen Zwillinge kommen will, die von einem anderen Vater sind.

Nachtrag 17.10.10: Bettina Gaus berichtet in der taz über die Unmöglichkeit (rechtzeitig) ein Visum für Deutschland zu bekommen.

Nachtrag 12.11.10: Auf dem tagesschau Blog darf ARD-Korrespondent Claus Stäcker jammern, dass er in Südafrika Schwierigkeiten hat, sein Visum verlängert zu bekommen.

Aus dem Land wird er trotzdem nicht geworfen. Mit Geldzahlungen kann er immer wieder samt Familie einreisen. An der Schlange für die Visavergabe kann er vorbeiziehen. Er wird freundlich behandelt. - Diese Privilegien würde sich so manche, die ein deutsches Visa beantragt wünschen.

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Abschotten und Abschieben
Wie immer, wenn ich länger nicht zum Bloggen gekommen bin, stappeln sich die Artikel aus der taz zu Abschieben und Abschotten:

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Diktaturen und der demokratische Westen
Vor einer guten Woche gab es in Berlin den "Tag der offenen Botschaften". Die taz hatte vorab einen kritischen Artikel veröffentlicht. In diesem kritisiert sie, dass dieser Tag von Diktaturen missbraucht werden kann, um sich zu präsentieren. So weit so gut. Mit Formulierungen wie

"Mit einem kostenlosen Festival-Pass kann man auf Botschaftsweltreise gehen und Diktaturen besichtigen. Ein paar wenige EU-Staaten stellen sich auch vor."

wird allerdings eine Dichotomie zwischen guten demokratischen europäischen Staaten und dem dikatorischen Rest aufgebaut, die äußerst problematisch ist. Auch der Einstieg in den Artikel ist problematisch:

"Äthiopien, Bangladesch, Indonesien, Malaysia, Mosambik, Namibia, Nepal, Philippinen, Sri Lanka, Weißrussland. Die Liste liest sich wie eine Auswahl von Staaten, in denen die Menschenrechte besonders stark verletzt werden."

Zu Bangladesch, Nepal und Sri Lanka habe ich ein bisschen Ahnung. Dort gibt es Menschenrechtsverletzungen und zwar gravierende. Es sind aber auch alles Demokratien. Nepal z.B. hat es vor kurzem geschafft, die Monarchie abzuschaffen und mehr oder weniger erfolgreich einen Bürgerkrieg beendet.

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Sonntag, 18. Juli 2010
Lesetipp: Mihirban pfeift auf Gott
Hilal Sezgins Kolumnen in der taz gefallen mir in der Regel sehr gut. Daher habe ich mir auch ihren neuen Roman "Mihirban pfeift auf Gott" (DuMont Buchverlag, Köln, 2010) gekauft und an einem Wochenende durchgelesen. Wie immer clever geschrieben. Eine humorvolle und spannende Auseinandersetzung mit den Konsequenzen von antimuslimischen Rassismus in Deutschland. Sehr zu empfehlen!

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Freitag, 9. Juli 2010
Staatsbürger_innenschaft nutzt nichts
Eigentlich bekommen deutsche Staatsbürger_innen im Ausland vom deutschen Staat (in Form der deutschen Botschaft) besonderen Schutz geboten. Das scheint aber nicht für alle zu gelten. Die taz berichtet, dass ein deutscher Staatsbürger wohl schon von der deutschen Botscahft in Pakistan unterstützt worden wäre, das deutsche Innenministerium dafür gesorgt hat, dass er es nicht bis zur Botschaft schafft:

"Während das Auswärtige Amt ein Gespräch in der Botschaft befürwortete, soll das Innenministerium darauf bestanden haben, den Terrorverdächtigen vorher von der pakistanischen Polizei verhaften zu lassen. Das BKA soll die Pakistaner von dem Termin informiert haben. Haben deutsche Behörden also einen ihrer Staatsbürger verraten und dafür gesorgt, dass er in einer Zelle des ISI sitzt, der bei Verhören auch mal foltert?"

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