Mittwoch, 3. Mai 2006
Große Koalition erschwert Einbürgerungen
Für die SPD stehe im Vordergrund, für Einbürgerung zu werben und Migranten attraktive Angebote zu machen, sagte Wiefelspütz. "Für uns ist es ein positives Zeichen, wenn jemand Deutscher werden möchte."

schreibt die taz gestern. Ein guter Ansatz, schliesslich ist es im Interesse des deutschen Staates wenn der größte Teil seiner Wohnbevölkerung an dem politischen Geschehen aktiv teilnehmen kann. Seltsam nur, wenn die SPD diesem Grundsatz so grundsätzlich widerspricht und gemeinsam mit der CDU eine Verschärfung der Einbürgerungsregelungen beschliesst. Laut der taz von heute sind zwar einheitliche Gewissens- und Wissenstest verhindert worden, doch:

"Es soll künftig aber einheitliche Sprachprüfungen sowie verpflichtende Einbürgerungskurse in allen Bundesländern geben. ....Danach werden die Hürden für die Einbürgerungen erhöht ..."

Die Einbürgerungskurse sollen mit Test abgeschlossen werden und ausserdem: "Verschärft werden soll auch die Vorstrafengrenze für Einbürgerungswillige. Künftig darf nach dem derzeitigen Diskussionsstand nur noch Deutscher werden, wer nicht zu mehr als 90 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt worden ist. Bislang liegt die Grenze bei 180 Tagessätzen. Die bereits übliche Regelanfrage beim Verfassungsschutz soll bundesweiter Standard werden." Zu dem Herabsetzen der Vorstrafengrenze stand gestern noch in der taz:

So lehnt die SPD den Unions-Vorschlag ab, neue rechtliche Hürden zu errichten. Nach dem Willen der Union soll eine Einbürgerung unmöglich sein, wenn der Bewerber zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt wurde - bisher liegt die Grenze bei 180 Tagessätzen. "Dabei sollte es bleiben", sagte Wiefelspütz und erinnerte daran, dass der Promi-Rechtsanwalt Rolf Bossi gerade zu 90 Tagessätzen verurteilt wurde - wegen Fahrens ohne Führerschein. "So etwas kann doch kein Einbürgerungshindernis sein."

Gestern sollte es noch kein Hinderniss sein, heute dann schon.

Sabine am Orde kommentiert dann auch in der taz:

"Denn Tests, wie sie die Union bundesweit einführen wollte, sind kontraproduktiv. Ganz praktisch erschweren sie den Weg zum deutschen Pass. Und auch die damit einhergehende Debatte ermutigt Einwanderer nicht gerade, sich einbürgern zu lassen. Ganz im Gegenteil, sie signalisiert: Auch nach all den Jahren gehörst du nicht zu uns, wir wollen dich nicht, wir misstrauen dir. Das Gegenteil aber ist notwendig. Denn Einbürgerungen - deren Zahl übrigens abnimmt - sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Integration."

Das Signal auch nach vielen Jahren (bzw. seit Geburt) nicht dazu zu gehören, ist alltägliche Erfahrungen der meisten 'Anderen Deutschen'. Gerade deshalb wäre es wichtig, ihnen zumindest die rechtliche Teilhabe zu ermöglichen und so vom Staat signalisiert zu bekommen, ihr gehört dazu.

Bei Interviews mit 'InderInnen' der zweiten Generation für meine Masters-Arbeit über Staatsbürgerschaft und Identität war ein klares Ergebnis, dass viele sich nicht einbürgern lassen wollen, weil sie vorher sehen auch mit deutschen Pass weiter diskriminiert zu werden. Ihre alltäglichen Rassismuserfahrungen lassen sie an der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern hängen. 'Indien' wird zu einem imgaginierten Zufluchtsort. Die Einbürgerung aber kann zu einem größeren Gefühl der Zugehörigkeit zu 'Deutschland' führen, wäre also ein Schritt auf dem Weg zu 'Integration'. Ein Einbürgerungsverfahren, dass der AntragstellerIn immer wieder zeigt, dass sie nicht gewollt ist, hilft dabei allerdings wenig. Meine Fallstudie über ein siebzehnjährigen Einbürgerungsprozess zeigt dies deutlich.

Eine Freundin von mir wurde in Deutschland geboren, hat hier die Schule besucht und Abitur gemacht, hat in Indien studiert, arbeitet heute in einer Bildungseinrichtung, hat einen 'deutschen' Mann und zwei 'deutsche' Kinder. Ich denke mal sie ist gut 'integriert'. Bisher hat sie die indische Staatsbürgerschaft behalten, weil sie sich trotzdem in Deutschland nicht willkommen fühlt. Die neuen Regelungen werden sie nicht mehr von einer Einbürgerung überzeugen. Für den Staat ein eindeutiger Verlust.

Aber wie schreibt Sabine vom Orde: "Doch um Integration geht es den Christdemokraten und -sozialen auch gar nicht. Die Einbürgerungsdebatte zielt nicht auf die Einwanderer, sondern auf die Wähler der Union. Und die sind für Abschottungspolitik gegenüber Migranten leider noch immer weit ansprechbarer als für eine sinnvolle Integrationspolitik."

Nachtrag 04.05.06: tagesschau.de hat die bisherigen Hürden zur Einbürgerung zusammengetragen.

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