Samstag, 15. April 2006
Der Mord an Hatun Sürücü
Kaum war Hatun Sürücü ermordert worden, war sich die 'deutsche' Öffentlichkeit sicher, dass es ein 'Ehrenmord' war und dafür der Islam verantwortlich ist. Der Kultur- und Sozialantrophologe Werner Schiffauer hat von Anfang dagegen gewarnt, den Mord einfach mit dem Etikett 'Ehrenmord' zu versehen, da so die Gründe für diese grausame Tat nicht genauer analysiert werden können.

Am 17.10.05 gab Schiffauer der taz ein Interview, in dem er unter anderem sagte:

"Meines Erachtens klebt man mit dem Etikett Ehrenmord eine komplexe soziale Realität zu. Wenn man all diese komplizierten Eifersuchtsdramen und Vater-Tochter-Konflikte als Ehrenmorde zählt, kommt man an die eigentlichen Wurzeln der Konflikte nicht heran. Man muss stattdessen die jungen Frauen unterstützen. Und man muss dringend Männerforschung betreiben, denn es sind ja die Männer, die mit ihrer Situation nicht klarkommen, wenn sie gewalttätig werden. Was bedeutet es etwa für die Brüder Sürücü, wenn ihre Schwester eine Ausbildung macht, auf eigenen Füßen steht, quasi an ihnen vorbeizieht?"

Am 25.02.05 hatte Schiffauer schon in der Süddeutschen geschrieben:

"Die Gruppe, auf die sich für diese jungen Leute „Ehre“ bezieht, ist neben der Familie und der Gang jetzt auch die gesamte Gruppe der „deutschen Ausländer“.

All dies erklärt noch nicht die Ermordung einer jungen Frau, es zeigt aber den Zusammenhang, in dem eine Gruppe von Brüdern sich in einen Ehrwahn hineinsteigern kann. Anders als bei den dörflichen Ehrenmorden scheint die Initiative weniger von den Patriarchen auszugehen. Das Gewicht der Generationen hat sich verschoben.

Mit dem Islam hat dies nur insofern zu tun, als auch er als Versatzstück von diesen Jugendlichen benutzt wird: So wird das Kopftuch oder der Schlachtruf „Scheiß-Jesus“ zur Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft benutzt. Mit Islam hat beides nichts zu tun."


Wenn wir uns in dieser Weise differenziert mit dem grausamen Mord an Hatun Sürücü und der Motivation des Täters auseinandersetzen, dann können wir hoffentlich Wege finden, weitere Morde zu verhindern. Wenn wir einfach pauschal die Ausreise von 'nichtintegrierten' Muslimen fordern, dann werden wir nur das Othering und die Ausgrenzung verstärken.

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Mehr zum 'Ehrenmord'
"Berlins Innensenator Ehrhart Körting verwies auf das Grundprinzip eines Rechtsstaats, wonach nur derjenige verurteilt werden kann, dessen Schuld zweifelsfrei nachgewiesen ist. Er legte der Familie der Ermordeten allerdings die Ausreise nahe."
steht auf tagesschau.de

Was hat Körting denn für eine Vorstellung des Rechtsstaats? Wenn doch keine Schuld zweifelsfrei nachgewiesen ist, warum fordert er - als Staatsvertreter - eine Ausreise?

Und das auch noch mit der Begründung: "Der Prozess habe gezeigt, dass die Familie nur scheinintegriert und mit ihren Wertvorstellungen noch nicht in der Bundesrepublik angekommen sei".

Ein klares Zeichen dafür, wie islamophob und rechtsstaatswidrig diese ganze Integrationsdebatte ist.

Nachtrag: Auch Peter Nowak findet auf telepolis in seinem Artikel "Im Zweifel für die Angeklagten":

"Das hindert diverse Politiker nicht, den Mord an der jungen Frau zur eigenen Profilierung zu nutzen und dabei auch rechtsstaatliche Grundsätze zumindest zu ignorieren."

Nachtrag 20.04.06: Unter dem Titel Die Entsorgung der Familie Sürücü kommentiert Heide Oestreich in der taz die Angriffe auf den Rechtsstaat.

Nachtrag 24.04.06: Jony Eisenbergs macht heute juristische Betrachtungen zum Thema Ehrenmorde.

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Freitag, 14. April 2006
Traditionen und Rituale leben und pflegen
Kürzlich in meiner Mailbox:

"Sehr geehrte Damen und Herren der Deutsch-Indischen Gesellschaft,

wir von der TV-Produktionsfirma ...produzieren verschiedene Reportagen und Magazinbeiträge für den deutschen Fernsehmarkt. Momentan recherchiere ich für ein neues TV-Projekt. Gerne würden wir ein neues Tauschformat produzieren, in dem wir „fremde“ Kulturen vorstellen und jeweils ein Familienmitglied aus der Familie mit einem aus einer anderen Familie tauschen. Ich fände es sehr interessant einmal die indische Kultur im TV vorzustellen und bin deshalb momentan auf der Suche nach einer indischen Familie, die offen und sympathisch ist sowie ihre Traditionen und Rituale leben und pflegen.

..."


Das fände ich auch interessant, die 'indische' Kultur vorgestellt zu bekommen.

Was das wohl sein mag? Puja vor Götterstatuen? Essen mit den Fingern? Farbenfrohe Gewänder?

Zu Ostern haben wir immer Ostereier im Garten gesucht. Ob das zu den Ritualen gehört, die sie meint?

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Donnerstag, 13. April 2006
'Ehrenmorde'
Die PDS-Abgeordnete Evrim Baba hat der taz berlin ein Interview zum Prozes um den Tod von Htun Sürücü gegeben.

"Und daraufhin wurde der Mord begangen?

Ich glaube, dass das von der Familie entschieden wurde. Es gibt ein Familiengericht und da wurde beschlossen, dass einer der Brüder, in diesem Falle der jüngste, die Ehre der Familie retten muss."


Woher weiss sie das? War sie dabei?
Warum gilt bei muslimischen Tatverdächtigen eigentlich nicht der Grundsatz 'im Zweifel für den Angeklagten'?

Nachtrag 15.04.06: Ich scheine mal wieder nicht richtig zu verstehen. Es haben sich noch diverse andere so geäußert. Sie alle wissen, dass es keine Einzeltat war, dass es ein 'Ehrenmord' war. Woher wissen die das nur alle?

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Mittwoch, 12. April 2006
Abschieben über alles
Aus der taz berlin:

"Die Traumatisierung war vorab von einem von der Ausländerbehörde anerkannten Gutachter bestätigt worden. Die Berliner Behörden hatten sie der UN-Verwaltung des Kosovo jedoch nicht mitgeteilt. Erst über Dritte erfuhr die Unmik davon - und schickte die Familie daraufhin wieder nach Berlin.

Nun reagiert der Innensenator erbost. Er wirft der Unmik vor, sich mit der Ablehnung der Flüchtlinge über Entscheidungen deutscher Gerichte hinwegzusetzen. Die UN-Behörde dürfe keine "Oberinstanz für deutsche Gerichte" sein."


Das geht auch tatsächlich nicht an. Wenn 'wir' die Würde des Menschen antasten wollen, dann darf uns doch die UN nicht dazwischenfahren.

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In den USA
wollen die Konservativen auch die Politik gegenüber MigrantInnen weiter verschärfen. Mauern sollen gebaut werden. Aber es gibt auch Gegenwehr, die lllegalisierten gehen auf die Strasse. Mehr dazu in der taz.

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Dienstag, 11. April 2006
Integrieren hilft nicht
Und wieder soll eine 'integrierte' Familie abgeschoben werden, berichtet die taz. Nichts Neues. Die Konservativen rufen zwar derzeit laut nach 'Integration' und wollen 'Integrationsunwillige' abschieben. Das hindert aber nichts daran, dass auch die anderen weiter abgeschoben werden sollen. Der Unterschied ist nur, dass bei den 'Integrierten' einige dagegen sprechen (in diesem Fall sogar die Sozialministerin Baden-Württembergs).

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Fernsehen
Irgendwas stimmte bei dem Dokumentarfilm heute nicht. Die Bilder waren es nicht. Der Ton auch nicht. Die Musik bediente nicht einfach die Klischees über Indien, sie überraschte ab und zu. Aber diese Frauenstimme, die den Kommentar sprach. So öffentlich-rechtlich erklärend, so wenig lebhaft. Und dann die falsch ausgesprochenen indischen Namen. Und die inhaltlichen Fehler. Und immer wieder Kasten und so. Nicht richtig schlimm, aber auch nicht wirklich gut. Von den beiden Filmemacherinnen bin ich eigentlich viel Reflektierteres gewohnt.

Später nach der Diskussion bei den Getränken die Erklärung: Die Produzentinnen hatten den Text noch 'etwas' überarbeitet, ihn flüssiger gemacht, besser für das Publikum verständlich. Die Filmemacherinnen hatten absichtlich nicht von Kasten gesprochen etc. Sie konnten sich aber gegen die Überarbeitung nicht wehren.

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Montag, 10. April 2006
Lieber 'Rechte' als 'Islamisten'
Heute in der taz berlin ein weiteres Beispiel wie die Islamophobie die deutsche Politik bestimmt:

"Brandenburger Projekten gegen Rechtsextremismus drohen einschneidende Mittelkürzungen. Hintergrund sind Ankündigungen des Bundesministeriums für Jugend und Familie, aktuelle Förderprogramme ab dem kommendem Jahr auch auf Islamismus und Linksextremismus auszudehnen - ohne die Gelder aufzustocken."

"Für Bernd Mones, den Geschäftsführer des Landesjugendrings, in dem 32 Jugendverbände organisiert sind, ist die Neuausrichtung ebenfalls unverständlich. "Es gibt in Brandenburg keinerlei Anzeichen für eine Problemlage Islamismus oder Linksextremismus. Dagegen ist der Rechtsextremismus in Ostdeutschland ein flächendeckendes Problem.""


Nachtrag 28.04.06: Mehr zur geplanten Mittelkürzung bei der taz.

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Verfassungstreue?
Die CSU profiliert sich weiter mit rassisitischen und islamophoben Äußerungen und Forderungen. In einem Bericht darüber schreibt die taz:

"So stellte die SPD bereits in Frage, ob die CSU selbst die Prinzipien der Verfassung kenne."

Das ist wirklich die Frage. Es sei nur an Stoibers Aschermittwochs Rede erinnert. Den Rechtsstaat würde die CSU wohl am liebsten sofort abschaffen.

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Montag, 10. April 2006
Bild
Auf dem bildblog eine kleine Übersicht darüber, was die meist gelesene deutsche Tageszeitung zur Bildung über 'Ausländer' beiträgt.

Nachtrag 10.04.06: Es ist ja nicht so, dass die Bild es nicht besser wissen könnte. Ein Freund von mir, seines Zeichens Volkswirt, wurde die Tage von einem ihrer Reporter interviewt. Eine Stunde lang. Immer wieder hat der nachgehakt. Aber er bekam wohl nicht die richtigen Antworten: die Studien des Volkswirts belegen, dass ZuwanderInnen gut für die 'deutsche' Wirtschaft sind. Da kann kein Bild-Artikel draus werden.

Nachtrag 28.04.06: Diese Rechenschwäche ist bestimmt ganz unschuldig.

Nachtrag 31.05.06: Die Bild bildet nun auch die Vielfalt der 'Deutschen' in der Wahl der Pseudonyme ab. Das dabei muslimische Namen für Mörder gewählt wurden, ist sicher nur ein Zufall.

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Alltägliches Othering
"Mein Traummann, ich spürte es sofort, war schwer enttäuscht. Ich weiß nicht, was schlimmer für ihn war: dass ich den tollen Schritten, die er mit so viel Mühe in der Tanzschule gelernt hatte, nicht folgen konnte oder dass ich ihn nicht wegen seiner (für mich antrainierten) Geschicklichkeit bewunderte. Na ja, zumindest hat er durch mich erfahren, dass nicht alle Lateinamerikaner "Salsa tanzen können", zumindest nicht in dem Stil, wie die meisten Deutschen es erwarten. Es gibt sogar jede Menge Lateinamerikaner, denen hängt Salsa zu den Ohren heraus. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch viele Deutsche gibt, die keine Blasmusik mögen."

beschreibt Mariella Checa im taz mag eine ihrer vielen Erfahrungen von Othering in Deutschland. Und schliesst den Artikel mit:

"Denn man braucht nicht unbedingt mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert zu werden, um sich "außerhalb" zu fühlen. Es reichen die täglichen Kleinigkeiten: nicht angesprochen, angeschaut oder begrüßt zu werden. Nicht ernst genommen zu werden."

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Deutsche werden
In einem Artikel über den von der Union geplanten 'Integrationsgipfel' schreibt tagesschau.de:

"Der "Süddeutschen Zeitung" sagte Schäuble, wer dauerhaft in Deutschland bleiben wolle, müsse auch wollen, dass seine Kinder oder Enkelkinder Deutsche seien."

Schäuble hat schon Recht. Es gibt einige MigrantInnen, die sich nicht vorstellen können, dass ihre Kinder und Enkel 'Deutsche' werden. Das beobachte ich unter den 'indischen' MigrantInnen ab und zu. Und das ist eine Belastung für die 'Anderen Deutschen'.

Das viel größere Problem aber ist, dass 'Andere Deutsche' von der Mehrheitsgesellschaft kaum als 'Deutsche' anerkannt werden. Zumindest nicht so lange wie sie vom Bild der 'Standard-Deutschen' signifikant abweichen. Zum Beispiel durch 'Hautfarbe'. Oder durch den Namen. Oder schlicht zu verwandtschaftlichen Beziehungen ins Ausland.

Es ist eine Aufgabe des Staates dafür zu sorgen, dass dieses Othering bekämpft wird. Und nicht es auch noch zu fördern.

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