Montag, 30. Oktober 2006
Wann ist die Schwelle überschritten?
Vor ein paar Tagen hatte die Vorsitzende des Zentralrats der Juden Charlotte Knobloch erklärt: antisemitische und rechtsradikale Aktionen hätten bereits "eine Öffentlichkeit und eine Aggressivität erreicht, die an die Zeit nach 1933 erinnern" (zitiert nach einem taz-Kommentar).

Der Kommentator Christian Semler hält diese Aussage nicht nur für falsch sondern für fatal:

"Charlotte Knoblochs Irrtum besteht nicht nur in ihrer Interpretation der Fakten. Mit der Zeitbestimmung "nach 1933" suggeriert sie mit ihrem Vergleich eine Fatalität, die vom Terror des Frühjahrs 1933 bis hin zum Völkermord an den Juden reicht."

Auch ich habe gestutzt, als ich das Zitat gelesen habe. Nach 1933 war die NSDAP an der Macht und das ist sie heute nicht. Aber ich habe mich gefragt, ob wir denn erkennen wü(e)rden, wenn die Schwelle zum Umkippen in ein totalitäres System erreicht ist. Woher wissen wir, wann Gewalt und antidemokratisches Verhalten noch kontrollierbar sind und wann sie Überhand nehmen? Sind wir vielleicht schon wieder gefährlich nahe dran? Und weißt uns Knobloch (und andere) daraufhin, damit wir noch rechtzeitig etwas dagegen machen können?

Heute bringt die taz eine Kurzmeldung:

"30 bis 40 Rechte haben gestern Nacht wahllos Passanten an einem U-Bahnhof im Berliner Stadtteil Friedrichshain angegriffen. Daraufhin wurden die Unbekannten offenbar von einer linksgerichteten Personengruppe attackiert und flüchteten beim Eintreffen der Polizei. Zwei Tatverdächtige wurden festgenommen."

Diese öffentliche massive Präsenz von gewaltbereiten Rechten hat es vor ein paar Jahren noch nicht gegeben. Warum trauen die sich das inzwischen? Wie hat sich die Gesellschaft verändert, dass sie sich das trauen können? Können wir die Gefahr wirklich so einfach abtun?

Nachtrag 06.11.06:

Nach der Tat habe es rund 45 Minuten gedauert, bis die Polizei eintraf, berichteten Röpke und ihr Begleiter gegenüber tagesschau.de übereinstimmend. Auch die später eingetroffenen Sanitäter hätten mehrmals über Funk Polizeikräfte angefordert, da sich vor dem Supermarkt immer mehr Neonazis sammelten. Die Journalistin bat viele Augenzeugen darum, eine Zeugenaussage bei der Polizei zu machen, doch niemand sei dazu bereit gewesen, so Röpke. "Alle hatten Angst!" berichtet tagesschau.de.

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Kommentar per mail
"ich glaube es geht nicht um eine schwelle und erst recht nicht um die wiederkehr der vergangenheit. die verhaeltnisse wie sie sich seit jahren in gewissen teilen deutschlands, nicht nur im osten, darstellen, sind untragbar. so untragbar, dass unzaehlige diese gegenden verlassen haben. kontrollierbar war die gewalt, die von rassistischen, neonazistischen kraeften, ob nun organisiert oder nicht, noch nie. sie ist einfach bestandteil des lebens in brandenburg oder teilen hessens, eigentlich in allen laendlichen regionen und manchen staedten.

ja wir koennen sie nicht abtun, aber das hat mit einer schwelle nichts zu tun. diese frage stellt sich allenfalls, wenn es um die mittel geht. ist es an der zeit, auch nicht legale mittel anzuwenden, geht mensch notfalls auch buendnisse ein, die andere konflikte aussen vor lassen? fuer solche fragen ist ein massstab ueber das unertraeglich hinaus noetig. ansonsten ist es weder wichtig zu betonen, dass es schlimmer wird, noch ist ein vergleich mit anderen situationen irgendwie sinnvoll."

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Da muss ich drüber nachdenken
über meine Furcht vor dem Überschreiten einer Schwelle. Vielleicht hast Du recht, dass es darum gar nicht geht. Ich werde darüber nachdenken.

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