Mittwoch, 4. April 2018
Offen reden
Mitte März hat der Deutschlandfunk die Schriftstellerin Monika Maron zu den "umstrittenen Aussagen des Autoren Uwe Tellkamp" interviewt. Da ist viel Problematisches drin (sie versteht die Aufregung um Tellkamp nicht), aber wo ich beim Hören am meisten gestutzt habe, war folgender Abschnitt:

"Heuer: Heißt das, Frau Maron, es hängt vom sozialen oder vom öffentlichen Status ab, ob man in Deutschland noch sagen kann, was man denkt?

Maron: Nein, nicht, ob man in Deutschland noch sagen kann, was man denkt. Aber ich weiß nicht, ob Sie das nicht erleben. Ich erlebe das, ob beim Friseur oder sonst wo. Die Leute vergewissern sich erst mal, mit wem sie reden und ob sie offen reden wollen oder nicht. Man kommt dafür nicht ins Gefängnis etwa, es droht einem auch keine schwere Strafe, aber es droht einem eine kleine oder größere Ächtung. Das haben die Leute oft genug erlebt und das erleben sie ja jetzt bei Uwe Tellkamp."


Welche Normalität spricht da raus?

Für mich (und die meisten Leute um mich rum) ist es ganz selbstverständlich, dass ich mir bevor ich etwas sage, erst einmal Gedanken darüber machen, in welchem Kontext ich bin. Nicht alles lässt sich an allen Orten sagen. Manches lässt sich nur in geschützen Räumen sagen. Abweichungen von der Norm, die nicht unbedingt sichtbar sind (z.B. Genderidentität, Sexualität, natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit, Beeinträchtigungen, Klasse, etc.), sichtbar/hörbar zu machen, geht mit Risiken einher. "Man kommt dafür nicht ins Gefängnis etwa, es droht einem auch keine schwere Strafe, aber es droht einem eine kleine oder größere" Beleidigung, Abwertung, Ausgrenzung oder unangenehme Situation. Will ich wirklich mit der Friseurin über meine sexuelle Orientierung sprechen, mit dem Arzt über die Herkunft meines Namens diskutieren, beim Familienfest über meine politischen Ansichten reden oder doch lieber über etwas Unverfängliches wie das Wetter? Was mache ich hier im Blog öffentlich? etc.

Wenn sich Maron bisher nicht vergewissert hat, mit wem sie über was redet, muss sie ganz schön in einer Blase gelebt haben, in der sie zur unhinterfragten Norm gehört. Und höchst wahrscheinlich ist sie immer wieder Leuten begegnet, die ihr lieber nicht alles gesagt haben.

PS: In einem Gastkommentar über nach rechts driftende "Künstler" in der Sueddeutschen zitiert Norbert Frei auch diesen Teil des Interviews mit Maron.

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Freitag, 30. März 2018
Berlinale: Sisterhood
Gut gefallen hat mir bei der Berlinale auch der Dokumentarfilm Yours in Sisterhood. Die Filmemacherin Irene Lusztig hat in einem Archiv unveröffentlichte Leserinnenbriefe an die USamerikanische Zeitschrift Ms gefunden. Auf der Basis intersektionaler Überlegungen hat sie davon eine große Zahl ausgesucht und an den Ursrpungsabsendeorten (überwiegend in der USamerikanischen Provinz) Vorleser_innen gesucht, die in einen Bezug zur Schreiberin aufbauen können. Mit den Leser_innen hat die Filmemacherin dann über den Brief und seinen aktuellen Bezug gespochen. Dadurch kommen ganz unterschiedliche Perspektiven zusammen. Zustimmende und Ablehnende zur Ms. Aus unterschiedlichen sozialen Positionierungen. Mit unterschiedlichen politischen Positionierungen. Sehr spannend.

Beim kongolesischen Spielfilm Maki'la ging es auch um Sisterhood. Um Patriarchat. Um Armut. Und ich bin mir nicht sicher wie ich den Film fand. Interessant auf jeden Fall, aber auch seltsam. Weniger zugänglich für mich?

Den Dokumentarfilm Game Girls hat mir nicht gefallen. Ich hatte den Eindruck, dass die Protagonist_innen nicht abschätzen konnten, was es bedeutend in einem solchen Film zu sein, und mir hat eine filmische Reflektion über den Produktionsprozess gefehlt. So war es für mich ein Zurschaustellen von schwierigen Lebensbedingungen von schwarzen Frauen* in den USA.

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Mittwoch, 28. März 2018
Berlinale: Queer in der Provinz
Der Spielfilm L’ Animale nimmt die Zuschauer_innen in die Provinz. Jugendliche kurz vor dem Abitur. Männlichkeitsdarstellungen. Und andere Optionen. Dabei kann die Tochter besser zu ihrem Begehren stehen als ihr Vaters. Sehenswert.

In der argentinischen Provinz ist das Leben in dem Spielfilm Marilyn schwieriger. Marcos/Marilyn sieht keine Möglichkeit zu seiner Geschlechtsidentität zu stehen. Der Film beruht dabei auf einer wahren Geschichte. Mir hätte es besser gefallen, wenn er sich von der ein bisschen mehr befreit hätte und nicht versucht hätte alles abzubilden.

Auch der Dokumentarfilm The silk and the Flame spielt in der Provinz, in der chinesischen. Ein Sohn besucht seine Familie und bringt einen Filmemacher mit, der alles filmt. Ein intensives Porträt, in denen auch die Erwartungen an den Sohn thematisiert werden. In Schwarz-Weiß (wie etliche andere Filme bei dieser Berlinale). Sehenswert.

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Montag, 26. März 2018
Klagenfurt: Rechtspopulismus
Nachdem ich bei der Berlinale beeindruckende Filme zum Thema Rechtspopulismus gesehen habe, war ich danach zu einem spannenden Workshop Ethnography in Times of Populism an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt. Ich habe da viel gelernt, vor allem von den Kolleg_innen die ethnografisch zu rechtspopulistischen Organisationen arbeiten.

Beeindruckend war auch die Exkursion, die wir zur Gedenkstätte für Jörg Haider gemacht haben:

Haider-Gedenkstätte bei Klagenfurt


Während unsere große Gruppe von Ethnograf_innen dort stand, die diversen Schilder, Devotionalien, Gedenksteine, etc. angeschaut haben, kam wie bestellt eine Frau vorbei, die die Grabkerzen ausgewechselt und sauber gemacht hat. Diese Gedenkstätte wird gepflegt und besucht. Verschwörugnstheorien werden geteilt und Haider angepriesen. Haider wirkt über seinen Tod hinaus.

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Dienstag, 6. März 2018
Internationale Tagung: Care - Migration - Gender.
Anfang 2019 organisiere ich mit einem Team rund um das Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin die internationale Tagung: "Care - Migration - Gender. Ambivalente Verflechtungen aus transdisziplinärer Perspektive".

Wir freuen uns über Beiträge aus den unterschiedlichsten Bereichen zum Thema. Wichtig ist, dass sie eine gendertheoretische Ausrichtung haben.

Der Call ist hier zu finden.

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Mittwoch, 28. Februar 2018
Berlinale: Rechtspopulismus
Auch dieses Jahr habe ich wieder Berlinale-Urlaub gemacht. Besonders beeindruckt hat mich der Dokumentarfilm Waldheims Walzer von Ruth Beckermann. Mithilfe von Archivmaterial (sowohl eigenen als auch von verschiedenen Medien) zeichnet sie die Debatte um Kurt Waldheims Nazi-Vergangenheit im Wahlkampf 1986 um das Bundespräsidentenamt (in Österreich) nach. Erschreckend ist nicht nur, wie er seine Vergangenheit verheimlichen konnte, sondern auch mit welchem offenen Antisemitismus er in Österreich verteidigt wurde.

Ruth Beckermann beim Q&A

Die Selbstverständlichkeit von rechten Ansichten wird auch in Alexandra Wesolowskis Dokumentarfilm Impreza deutlich. Wesolowski besucht anlässlich einer Goldenen Hochzeit ihre Familie in Warschau und diskutiert mit ihnen über Politik. Das rechte Weltbild ihrer Verwandten und die Ablehnung der EU machen ihr sichtlich zu schaffen.

Schwieriger zu verstehen fand ich den Dokumentarfilm Den' Pobedy von Sergei Loznitsa. Der Ort, das sowjetische Ehrenmal im Treptower Park, ist mir vertraut. Die Feierlichkeiten zum Den' Pobedy/Victory Day bleiben mir fremd. Es scheint zum Teil Folklore und Nostalgie zu sein. Ganz sicher ist es ein positiver Bezug auf die Armee und Rechte laufen auch immer wieder durchs Bild. Um das besser zu verstehen, hätte ich Erklärungen der Symbole gebraucht.

Deutlich war der tödliche Antiziganismus im ungarischen Spielfilm Genezis von Árpád Bogdán. In mehreren Kapiteln lernen wir verschiedene Protagonist_innen rund um antiziganistische Ausschreitungen kennen. Sehr eindrucksvoll.

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Montag, 26. Februar 2018
Konferenz: Archiving Feminist Futures – Zeitlichkeit und Geschlecht in der Kulturanalyse
Herzlich laden wir zur Tagung ‚Archiving Feminist Futures’ ein. Wir möchten uns dem Thema in Form von Vorträgen, Roundtables, Projektvorstellungen und Installationen nähern.

Berlin, 01.11.-03.11.2018

Kommission Frauen- und Geschlechterforschung der deutschen Gesellschaft für Volkskunde (dgv)
in Kooperation mit dem Institut für Europäische Ethnologie, HU Berlin und dem Zentrum transdisziplinäre Geschlechterstudien, HU Berlin

Call for Paper

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