Montag, 6. Juni 2011
Gender und Wissenschaft
Die taz hatte letzten Freitag auf ihrer Wissenschaftsseite den Artikel Lass Papa das mal machen!. Darin wird auf Basis von tierexperimenteller Studien und Humanstudien (keine Ahnung was das ist) argumentiert, dass Kinder Väter brauchen und dann alles besser ist (oder so ännlich).

Dieser Artikel ignoriert konsequent die Theorieansätze der kritischen Gender Studies, verweist noch nicht einmal darauf, dass es sie gibt, und reproduziert alle möglichen heteronormativen Genderbilder. Und behauptet Wissen:

"Es gibt matriarchalische Volksstämme, bei denen Männer in Sachen Kindererziehung kein Wort mitreden dürfen.

Dagegen weiß man etwa aus den antiken Gesellschaften, dass der Vater als Ernährer, Beschützer und Lehrer ein hohes Ansehen genoss und sich auch dementsprechend verhalten hat."


'Stämme' marginalisieren die armen Väter, obwohl diese schon in der Antike total toll waren.

Es werden Zusammenhänge suggeriert, die die Komplexität gesellschaftlicher Verhältnisse völlig ausblenden:

"Aus Humanstudien der letzten zehn Jahre weiß man etwa, dass Kinder, die ohne fürsorgliche Väter aufwachsen, erhebliche Nachteile haben: Schlechte Schulnoten, kriminelle Handlungen, psychische Erkrankungen sowie impulsives und aggressives Verhalten kommen bei ihnen häufiger vor. So erkranken Kinder, deren Vater an einer postpartalen Depression leidet, dreimal häufiger am Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom als Kinder von psychisch gesunden Vätern. Suchtprobleme und Teenagerschwangerschaften gibt es häufiger bei Kindern von Alleinerziehenden.

Zahlen aus US-Gefängnissen belegen, dass 60 Prozent der Vergewaltiger, 70 Prozent der Langzeithäftlinge und 72 Prozent der jugendlichen Mörder ohne Vater aufgewachsen sind. "Diese Straftäter haben in ihrer Kindheit keine Möglichkeit gehabt, die Grammatik der Gefühle, Bindungen, Liebe zu entwickeln und sind daher als Erwachsene emotional sprachlos", so Katharina Braun, Neurobiologin an der Universität Magdeburg. "


Und reproduzieren auch noch misogyne Bilder:

"Heute weiß man, dass Väter auf sehr unterschiedliche Weise ihre Kinder prägen. Einerseits spielen sie mehr und wilder mit dem Nachwuchs als Mütter. Sie verwenden auch komplexere Satzkonstruktionen, was die Sprachentwicklung der Kinder fördert. "

Frauen können halt keine komplexen Sätze bilden.

Etwas komplexere Artikelkompositionen in der taz, würden auch die Leser_innen in ihrem Denken besser fördern.

Nachtrag 23.06.11: Noch ein taz-Artikel in der Wissenschaftler_innen Geschlechterverhalten mit der Steinzeit begründen:

"Für Frauen sei es immer wichtig gewesen, zusammenzuhalten. Sie haben in der Gruppe Beeren gesammelt und Kinder gehütet. Bei den Männern hingegen ging es darum, wer der beste Jäger ist, wer das gefährlichste Tier erlegt. "

Dafür zeigt ein Touche von Tom die Konstruktion von Geschlecht.

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Demokratie, Militärherrschaft und Islamismus
Georg Blume zeigt in einem taz-Artikel über Pakistan ein seltsames Demokratieverständnis:

"überall trifft man noch Pakistans alte demokratische Elite in Amt und Würden. Ihre Vertreter reden wie wir. Sie teilen unsere Analysen, unsere Sorge um den islamischen Extremismus.

Und sie sind immer noch voller Selbstbewusstsein. Schließlich regieren sie das Land seit 60 Jahren, egal, ob nun Militärherrscher die Macht innehatten oder demokratische Parteien. Die demokratische Elite mit ihren großen, machtvollen Familienclans verlor nie ihren Einfluss."


Zu dem 'wir' und 'unsere' sagen ich jetzt mal nichts, denn über sein rassistisches Vokabular habe ich schon an anderer Stelle geschrieben.

Was ich an dem Zitat vorallem interessant finde, ist dass Blume keinen Widerspruch darin sieht, einer Miltärherrschaft zu dienen und demokratisch eingestellt zu sein. Sicher gibt es auch demokratische Eliten in Pakistan, aber die die immer an der Macht waren, sind wahrscheinlich genau das Gegenteil von demokratisch.

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Widerstand gegen Folgen des Kolonialismus
Ich mag Nationalismus nicht. Ich kenne mich mit Neuseeland nicht aus. Gut möglich, dass ich die Forderungen und Methoden der Maori-Nationalist_innen über die Urs Wälterlin in der taz berichtet, auch für sehr problematisch halten würde, würde ich mich auskennen mit ihnen. So kann ich aber nur über den Artikel etwas sagen. Und den finde ich problematisch. Er suggeriert, dass es kein legitimes Recht gibt, sich gegen postkoloniale Verhältnisse in Neuseeland zu wehren.

"Neuseeland hat seiner Vergangenheit in die Augen geschaut und versucht - mit je nach Regierung wechselndem Grad des politischen Willens -, früheres Unrecht wieder gutzumachen. "

Tut so, als ob es zwar etwas Unrecht gab ("oftmals gewaltsamen Kolonialisierung Neuseelands durch Großbritannien"), das ganze aber nicht so schlimm war und die noch heute wirksamen Folgen zu vernächlässigen sind:

"Noch in den Siebziger Jahren schämten sich viele Urbewohner ihrer Herkunft - ihre Kultur wurde beinahe absorbiert von jener der "Pakeha". Maori standen auf der untersten Stufe der Gesellschaft, hatten kaum politischen Einfluss und litten unter schweren sozialen Problemen. Zwar sind vor allem in den Großstädten auch heute noch viele unterprivilegiert, was Beschäftigung, Ausbildung und Gesundheit angeht. Doch Maori sind auch prominent im Parlament vertreten und genießen eine wachsende Präsenz in der Wirtschaft."

Ein Verringerung von Marginalisierung scheint ausreichend: "Maori, die früher zur Arbeitslosigkeit verdammt gewesen wären, sind heute beschäftigt, Jugendliche haben eine Ausbildung"

Ich gehe davon aus, dass es sehr schwer bzw. unmöglich ist, historische Gewalttaten wieder gut zu machen. Es kan gut sein, dass Neuseeland im Verhältnis zu anderen Ländern viel getan hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich die Methoden und Forderungen der Maori-Nationalist_innen nicht unterstützen könnte. Aber dieser Artikel wirkt auf mich verharmlosend.

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Deutsche Abschiebepolitik
In Hennigsdorf boykottieren laut taz Asylbewerber_innen die Ausgabe von Wertmarken (statt Bargeld).

Der UN-Sozialausschuss rügt laut taz die deutsche Asylpolitik:

"Asylsuchende in Deutschland würden keine angemessenen Sozialleistungen erhalten, lebten in überfüllten Unterkünften, hätten keinen Zugang zum Arbeitsmarkt und könnten lediglich auf medizinische Notfallversorgung zurückgreifen."

Gleichzeitig berichtet Spiegel Online: Experten kritisieren Abschiebepraxis als zu lasch. Die taz setzt sich kritisch mit der These auseinander.

Am neuen Großflughafen BBI wird derweil laut taz das Flughafen-Schnell-Abschiebeverfahren geplant.

Nachtrag 11.06.11: Der Landkreise Oberhavel verzichtet laut taz berlin auch in Zukunft nicht auf die Ausgabe von Wertmarken mit der absurden Begründung:

"Zwar hatte der Sozialdezernent Verständnis für die Kritik der Heimbewohner gezeigt. Garske habe jedoch betont, dass er sich fest an das Gesetz halten wolle, berichtete Fließbach.

Auf den Hinweis, dass das Gesetz auch Barzahlungen zulasse, habe der Dezernent geantwortet, man dürfe das Gesetz nicht so weit dehnen, bis es ausgeleiert sei."


Auch was die Residenzpflicht angeht, werden die Regelungen eher zuungunsten der der Residenzpflicht Unterliegenden ausgelegt:

"Die richtet sich nicht nur gegen das Gutscheinsystem, sondern auch gegen die immer noch geltende Residenzpflicht, nach der Flüchtlinge den ihnen zugewiesenen Landkreis nur mit behördlicher Genehmigung verlassen dürfen. Zwar hatten die Länder Berlin und Brandenburg sich im Juli 2010 auf eine Lockerung geeinigt. Reisen innerhalb der beiden Bundesländer sollten mittlerweile problemlos möglich sein. Dennoch werde einem Viertel der geduldeten Flüchtlinge von den Behörden eine Reiseerlaubnis verweigert, sagt Beate Selders vom Flüchtlingsrat Brandenburg. Den Betroffenen werde vorgeworfen, ihre Mitwirkungspflicht zu vernachlässigen, weil sie sich nicht genügend um einen Pass für die Heimreise bemühen würden. "

Und noch mehr zu den unzureichenden Leistungen für Menschen, die dem Asylbewerberleistungsgesetz Unterliegen in der taz.

Nachtrag 14.06.11: Die taz berlin berichtet über die abolish-Demonstration in Berlin und Reaktionen von Passant_innen:

"Der Mann fühlt sich angegriffen: "Wir Deutschen sind überhaupt nicht ausländerfeindlich", sagt er. Auch seine Frau hält den Aufstand für übertrieben. Residenzpflicht? Kontrolle sei wichtig, man müsse sich doch um die Leute kümmern. Und es sei doch gut, wenn man am Anfang gesagt bekomme, wo man wohnen soll, schließlich kenne man sich als Fremder nicht aus. Im weiteren Verlauf der Demonstration gibt es weitere Verbalattacken und viel Kopfschütteln seitens der Passanten."

Nachtrag 24.06.11: Hilfsorganisationen haben laut taz die deutschen Innenminister_innen dazu aufgerufen, Flüchtlingen aus Libyen aufzunehmen und dargestellt, dass Deutschland relativ wenig für Flüchtlinge macht:

"Demnach nimmt Pakistan gemessen an seinem Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt (BIP) 710 Flüchtlinge je Dollar auf, Kongo 475, während Deutschland 17 Menschen je Dollar seines BIPs Zuflucht gewährt. "Die Ängste vor angeblichen Massenbewegungen in die Industrieländer sind massiv übertrieben", sagt der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Antonio Guterrres. "Die Belastungen tragen die ärmeren Länder.""

Innenminister Friedrich laut taz, wie es sich für einen deutschen Innenminister gehört, mit rassistischer Härte.

Gleichzeitig warnt eine Arbeitsgruppe von Polizei und Ausländerbehörden laut taz vor der Asyllobby, die das Abschieben angeblich verhindert. Das erinnert an das Feindbild der Ökodiktatur, zu der ich auf verkehrdenken geblogt habe.

Der Protest in Hennigsorf gegen die Gutscheine scheint laut taz erste Erfolge zu zeigen:

"Der Kreistag Oberhavel hat sich am Mittwochabend mit einer knappen Mehrheit für die Abschaffung der Gutscheinausgabe an Asylbewerber ausgesprochen."

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