Mittwoch, 20. Dezember 2023
Ostalgie
Ostalgie auf der Speisekarte


Schon in der ersten Woche in Erfurt habe ich gesehen, dass die lokale Pastakette ein Gericht mit Namen "Ostalgie" auf der Karte hat. Nudel mit Tomatensosse und Jagdwurst, also fast ein Original-DDR Jägerschnitzel (was nichts mit dem West-Schnitzel mit Pilzen zu tun hat). Gegessen habe ich es nun nicht. Ich habe lieber die Thüringer Klösse in der rustikalen Gaststätte gegessen. Die Ostalgie als diffuse Sehnsucht (oder auch nicht) bleibt damit bestehen.

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Montag, 18. Dezember 2023
alte synagoge
alte synagoge in erfurt


im jahr 1349 gab es in erfurt ein pogrom gegen jüd_innen, das die gesamte jüdische bevölkerung auslöschte. jüdische gebäude, wie die synagoge, wurden umgewidmet und überbaut. vergrabene schätze wurden vergessen. so konnte im verborgenen mittelalterliches jüdisches überdauern und erfurt hat jetzt ein anerkanntes weltkulturerbe. damit wird werbung gemacht und tourist_innen wollen es sich anschauen.

hinweisschild alte synagoge


da die alte synagoge aufgrund der überbauung etwas versteckt ist, ist sie trotz hinweisschildes nicht ganz so einfach zu finden. auch nachfragen bei der lokalen gastronomie, nur wenige meter entfernt, helfen nicht beim finden. da muss mensch schon andere touris fragen.

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Sonntag, 17. Dezember 2023
fellowship mit lücken
vor dem eingangstor der uni


diese woche war (ungeplant) meine letzte woche in erfurt. anstatt zweieinhalb monate war ich im endeffekt nur vier wochen vor ort. erst zwei wochen corona. dann wie geplant eine woche archivreise. dann als ich gerade richtig loslegen wollte der armbruch. so war ich also nur noch diese woche vor ort.

am montag habe ich meinen vortrag gehalten. die vorbereitung war überraschend schwer, da der armbruch nicht nur den arm lahmlegt, sondern insgesamt den körper und die konzentration einschränkt. mit meiner analyse bin ich also nicht weit gekommen, aber immerhin konnte ich mit neuem material arbeiten. es kamen viele interessierte fragen und hinweise. leider kann das gespräch jetzt nicht mehr weitergehen, denn ich musste nach berlin zur physio.

am freitag hatte ich dann mein abschlussgespräch, wo ich auch nur sagen konnte, es hätte gut werden können.

und am samstag habe ich meine wohnung geräumt. ohne die hilfe, die mit erkältung im bett lag. war gar nicht so einfach einarmig. gut dass es andere pendelnde kolleg_innen gibt, die mein rad und eine tasche nach berlin gebracht haben.

schade, dass es mit diesem fellowship nicht so recht geklappt hat. gut, dass es in delhi so gut geklappt hat.

nehmt euch in acht vor straßenbahnschienen!

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Sonntag, 10. Dezember 2023
hilfe
wenn frau plötzlich einarmig durch den alltag kommen muss, ist das ganz schön anstrengend. mit jedem tag lerne ich dazu. und der arm kann auch schon mehr. aber immer noch brauche ich hilfe. und meine erfahrung seit dem unfall ist, die bekomme ich auch. beim unfall selbst waren gleich mehrere personen da, um mir zu helfen. da dachte ich noch, ich brauche gar keine hilfe. seitdem spreche ich leute gezielt an: können sie mir den bauchgurt zumachen? den schal wieder über die schulter legen? den handschuh anziehen? hat immer geklappt. nur darum bitten, die schuhe zu schnürren, wollte ich niemand fremden. lieber eine freundin. und dann schnürsenkelfreie schuhe kaufen.

im öpnv allerdings bitte ich nicht, da fordere ich. das klappt dann auch. bisher zumindest. [beim streik letzten freitag bin ich aber nicht in die überfüllten bahnen und busse gestiegen. da bin ich an der haltestelle stehen geblieben.] gerade in bussen ist einarmig stehend nicht sicher. leider habe ich es letzte woche erlebt, dass eine gehbehinderte frau im bus keinen platz hatte und so schwer stürzte, dass ein krankenwagen gerufen werden musste.

bus nach sturz


leute steht auf für leute, die nicht sicher unterwegs sind!

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Mittwoch, 6. Dezember 2023
teilnehmende beobachtung, teil 2
in berlin habe ich gleich einen termin beim niedergelassenen unfallchirurgen bekommen. ich habe eine überweisung zum röntgen und ein rezept für physio bekommen. die physiopraxis hat sich bemüht, mir ab morgen termine zu geben. weil morgen soll die schiene ab, wenn das röntgenbild gut ist. das sollte ich heute machen.

also habe ich mich heute trotz schnees und mit glücklicherweise wenig eis auf den weg gemacht. das ist anstrengend, auch wenn ich inzwischen schuhe ohne schnürsenkel habe und heute sogar den reißverschluß des mantels alleine zu bekommen habe. als ich dann an der praxis ankam:

schild an der röntgenpraxis: wegen personalmangels keinröntgen


kein röntgen wegen personalmangels. die rezeption hat auch keine weitere hilfe angeboten. also habe ich mich vor der praxis hingesetzt und den unfallchirurgen angerufen. aufgrund beharrlichkeit wurde ich weitergeleitet, konnte einen termin nächste woche abwehren (die schiene soll morgen ab!) und verhindern, dass ich eine andere röntgenpraxis suchen muss (bei eis und schnee einarmig). mit druck auf die tränendrüse (gebrochener arm, überfordert - was stimmt) konnte ich einen röntgentermin in der gemeinschaftspraxis meines arztes bekommen.

besser nicht krankwerden. brecht euch nichts!

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Montag, 4. Dezember 2023
visa
als ich mein fellowship in delhi hatte, war es klar, dass meine deutsche partnerin mich besuchen würde. das visa sollte da kein problem sein, wenn auch ende 2022 die indischen behörden etwas verschnupft waren, weil die deutschen bei der visavergabe so langsam waren. sie hat das visa aber dann tatsächlich problemlos und quasi sofort online bekommen.

die indische freundin, die gerade ihr postdoc in deutschland macht, würde auch gerne von ihrer sri lankischen partnerin besucht werden. das visa wurde aber abgelehnt, obwohl sie kinder und eigentum in sri lanka hat. den antrag kann sie nicht als partnerin stellen, da das in sri lanka nicht aktenkundig werden soll. also versuchen sie jetzt den umweg über einen deutschen freund, der eine verpflichtungserklärung abgibt. ich hoffe sehr es klappt.

theoretisch sind wir in der gleichen situation, praktisch gibt es massive ungleicheiten, postkoloniale.

ps 06.12.23: das visum ist wieder abgelehnt worden. was haben die deutschen angst vor den fremden, die gar nicht hierbleiben wollen. weil so toll ist es hier auch nicht. also fliegt die freundin über weihnachten nach hause anstatt mit uns deutsche weihnacht zu feiern.

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Dienstag, 28. November 2023
teilnehmende beobachtung
wandbild im wartebereich der notfallaufnahme


ungeplant habe ich gestern teilnehmende beobachtung im gesundheitswesen gemacht. fahrradsturz am vormittag. abends noch schmerzen, also zum kassenärztlichen notdienst im lokalen krankenhaus. und das war auch gut, denn da konnte geröngt werden.

allerdings nur mit sehr langer wartezeit. offensichtlich mangel an pflegepersonal. die eine schwester hat noch nichtmal zeit auf die toilette zu gehen. und trotzdem habe ich 45 minuten gewartet bis sie mich aufgenommen hat. der nachtdienst war dann nicht besetzt.

danach habe ich dann vier stunden gewartet, bis ich einen arzt gesehen habe. das lag wohl daran, dass er alleine war. einen anderen habe ich zumindest nicht gesehen, aber vorallem - wie er mir erklärte - weil er nicht auf die röntgenbilder des kassenärztlichen dienstes zugreifen konnte. anderes system.

asiatische krankenschwestern habe ich nicht gesehen. ausser auf dem wandbild. aber der arzt hatte offensichtlich migrationsgeschichte. und viele der patient*innen auch, und zwar recht neue. was zusätzlichen bedarf an sprachkenntnissen hervorruft.

die teinehmende beobachtung hat ergeben: es herrscht pflegenotstand. (das hätte ich aber auch ohne diese beobachtung gewusst.)

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Montag, 20. November 2023
Deutsche Bahn
Ein kleinstädtischer Bahnhof.


Die indische Freundin ist seit Ende Oktober für ein Postdoc in Deutschland. Wir versuchen uns zu verabreden und sie schreibt mir: "This country has bad transport." und meint damit die Bahn (zu teuer, wenn schnell, zu langsam, wenn billig). Als wir uns dann verabredet haben, wünsche ich Ihr alles Gute für die Fahrt und sie schreibt nur: "Seems you need it with the Deutsche Bahn." An dem Tag hat sie Glück und kommt pünktlich an. Aber offensichtlich hat sie in der kurzen Zeit schon genug Erfahrungen gemacht, um die Unzuverlässigkeit der DB zu kennen. Letztere kann nicht mit der indischen Bahn mithalten, von der die Freundin überzeugt ist.

Ob ich die indische Bahn ganz so überlegen finde, weiss ich nicht. Vielleicht schon. Auf jeden Fall musste ich letzte Woche erleben, dass die DB wirklich sehr unzuverlässig sein kann. Ich war im Rheinland auf Archivrecherche und musste täglich mehrmals mit der Bahn fahren. Im Nahverkehr. Und das war eine Katastrophe. Anschlüsse habe ich eigentlich nur dann bekommen, wenn der Anschlusszug ausreichend verspätet war. Von 20 Minuten bis 120 Minuten Verspätung hatte ich alles dabei (und die Archivöffnungszeiten sind begrenzt ...). Ganz pünktlich war keine Verbindung - und das lag nicht am Streik. Eine Übung in Entschleunigung. Viel Zeit für den Roman.

Ich meine früher war das besser, auch auf die Gefahr sich so anzuhören wie all jene, die den alten Zeiten nachweinen. Die DB war zuverlässig. Und ich bin da Bahnfan geworden (wie meine indische Freundin in Indien). Nur für die Bahn werben kann mensch gerade nicht wirklich guten Gewissens.

Etwas beruhigt hat mich heute nur, dass die Kolleg_innen, die mit dem Auto in Lübeck waren, stundenlang im Stau gestanden haben. Da dann doch lieber Bahn.

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Sonntag, 12. November 2023
Komische Zeitung
Gestern früh klingelte es in meiner Erfurter Wohnung. Was es eigentlich nie macht. Es war die Postbotin, etwas verzweifelt: "Ich habe hier die komische Zeitung von Frau Goel und bekomme die Tür nicht auf."

Letzteres verstehe ich. Sowohl in den Weltbeziehungen als auch in meiner Unterkunft im IBZ gehen alle Türen nur mit Transponder auf. Und das funktioniert nicht immer. Am Freitag bin ich fröhlich in die zweite Etage hochgelaufen, um dann wieder runterzugehen, um den Transponder richtig zu reaktivieren. Meine Tür ging nicht auf. Und hier im IBZ stehe ich auch immer wieder länger vor Türen, bis ich sie aufbekomme.

Also hatte ich alles Mitleid mit der Postbotin. Bin zur Haustür gegangen, habe die "komische Zeitung" übernommen und ihr erklärt, wie der Transponder funktioniert. Das wusste sie nämlich tatsächlich nicht. Und ich möchte ja, dass sie meine Zeitung in meinen Briefkasten steckt. Da ist es mir lieber sie klingelt, als sie wirft die Zeitung vor die Tür. Das passiert in Berlin seit Monaten.

taz vor der Haustür


Manchmal holt ein Nachbar sie rein. Manchmal ist sie noch da, wenn wir rausgehen. Häufig ist sie weg, und jemand anders liest taz. Vielleicht auch gut für die "komische Zeitung". Beschwerden bei den Zustellenden bringen nichts, die taz landet vor der Tür. Auch wenn sie abbestellt ist, wie zur Zeit.

Ich weiss, dass der Zustellendenjob ein mieser ist. Ich weiss auch, dass das Zustellen trotzdem teuer ist. Deswegen soll die taz ja auch auf Epaper umgestellt werden. Dann ist die Zustellung zuverlässiger. Aber ich bin altmodisch, ich mag Zeitung in Papier lesen. Auf dem Tablet ist es nicht das gleiche für mich und ich lese viel weniger. Habe ich auch gerade in der taz-Umfrage geschrieben. Also bin ich froh, wenn die taz irgendwie zu mir kommt.

Als ich vor über 20 Jahren nach Hagen gezogen bin, hatte ich schon mal mit der Zustellung Schwierigkeiten. Nach ein paar Wochen meinten dann die Arzthelferinnen von unten, dass sie immer, ich weiss nicht mehr, was sie gesagt haben, es war nicht komisch, eher sowas wie ein politisches Werbeblatt wegschmeissen. Das lag wohl im Hausflur. Nachdem sie verstanden haben, dass es meine Zeitung ist, kam sie dann auch an.

Schon eine komische Zeitung.

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Dienstag, 31. Oktober 2023
Weltbeziehungen
Eröffnungsfeier des Forschungsneubaus "Weltbeziehungen"


Vor knapp zwei Wochen wurde in Erfurt der Forschungsbau "Weltbeziehungen" offiziell eröffnet. Es war eine der ersten Veranstaltungen, an der ich im Rahmen meines Fellowships teilgenommen habe.

Wie die anwesenden Ministerinnen hatte ich auch, unwissend wie ich war, angenommen, der Begriff "Weltbeziehungen" beziehe sich irgendwie auf internationale Beziehungen. In der Podiumsdiskussion mit den Chef_innen der im Gebäude angesiedelten Forschungsgruppen wurde ich dann aber eines besseren belehrt. Zu deren Ende bemerkte ein Moderator, das Gebäude sei ein in Beton gegossenes theoretisches Konzept. Und zwar von Hartmut Rosas Konzept der Welt- und Resonanzbeziehungen (siehe dazu auch die Borschüre des Forschungsbaus (pdf)).

Im Rahmen der Podiumsdiskussion erklärte Rosa sein Konzept ausführlicher. Es geht sicher auch um internationale Beziehungen, aber nicht nur. Es geht um jegliche Beziehungen eines Menschen zu sich und seiner Umwelt. Das erinnerte mich sehr an Judith Butlers Konzept des Abhängigseins von den Anderen. Und an andere gender/queer-theoretische Überlegungen zu Verbindungen, wie sie z.B. auf der Klagenfurter Tagung "Apart- Togehter - Becoming with!" 2021 diskutiert wurden. Gender kam in der 90minütigen Diskussion aber erst ganz zum Ende kurz vor. Auch andere Konzepte des in Verbindungseins wurden nicht diskutiert.

Vermutlich beim anschliessenden Empfang im neuen Forschungbau ging das Coronavirus dann eine gelungene Resonanzbeziehung mit mir ein. Zumindest von seiner Seite gelungen, denn wir teilten eine gute Woche das Bett und ich erhole mich gerade erst langsam von der Beziehung. Von meiner Seite fand ich es daher nicht so gelungen. Diese Weltbeziehung wäre ich lieber nicht eingegangen.

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