Sonntag, 20. Juni 2010
Jetzt reicht's langsam
ist der Titel eines Artikel von Martin Reichert in der taz zur Gewalt gegen Schwule. Und ich finde auch, dass es langsam (oder auch schneller) reicht. Diese weiße schwule Selbstgeretigkeit. Die Ausblendung von Geschichte. Nicht weiße Mittelklasse-Schwule haben gegen die Polizei bei den Stonewall Riots gekämpft. Die Protagonist_innen waren viel eher in vielerlei Hinsicht marginalisierte Menschen. Die Stonewall Riots als Anlass zu nehmen, um mal wieder gegen "junge Männer mit Migrationshintergrund" und "mit Landhintergrund" ist so daneben. Wie auch das Zitat von Christopher Knoll geht gar nicht:

"Man kann Gewalt gegen uns ausüben und es interessiert niemanden. Das ist ein Skandal. Wenn es gleich viele Attacken gegen Juden oder Schwarze gäbe, dann wäre aber was los."

Was soll dieses Ausspielen von einem Ausgrenzungsverhältnis gegen andere? Was ist davon gewonnen? Ausser ein bedienen von rassistischen und antisemitischen Einstellungen?

Ach ja, Lesben kommen im eine Seite langen Artikel überhaupt erst in der viertletzten Zeile kurz vor. Aber das ist natürlich kein Wunder, wenn die Schwulen den Mittelpunkt des Interesses ausmachen.

Nachtrag 20.06.10: Weiter geht es hier.

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"Man kann Gewalt gegen uns ausüben und es interessiert niemanden. Das ist ein Skandal. Wenn es gleich viele Attacken gegen Juden oder Schwarze gäbe, dann wäre aber was los."

Diese Art von Vergleichen hab' ich schon häufiger gehört (und als "nur einfach" diskriminierte Frau früher leider auch benutzt, wenn auch wenigstens ohne die Unterstellung, dass Rassismus ja eh vorbei ist).

Ich hab' seit einiger Zeit die Theorie, dass die Taktik im Ansatz eventuell zu retten wäre - wenn sie nur als Verdeutlichung dienen soll, und wenn mensch es schafft (falls das möglich ist), einerseits der Selbstgerechtigkeit aus dem Weg zu gehen und andererseits nicht zu suggerieren, dass die eine Art der Diskriminierung ja wohl schon TOTAL abgeschafft ist, während die eigene natürlich aktuell bleibt.

Die Idee wäre nun, dass manche Arten von Diskriminierung *in manchen spezifischen Kontexten* gesellschaftlich tatsächlich mehr wahrgenommen und weniger akzeptiert sind als die eigene - in anderen Fällen andersherum, aber das nimmt mensch aus einem eigenen, unaufgeklärten Standpunkt heraus nicht wahr.
Wenn ich also z.B. in der Debatte, warum es problematisch ist, Alexandre Dumas durch den Weißen Gérard Depardieu zu besetzen, sagen kann "Ihr würdet doch einen Unterschied sehen, ob eine Frauenrolle von einer Frau oder einem Mann gespielt wird, oder?", dann leuchtet dieser Aspekt manchmal Menschen ein, die sonst noch garnichts eingesehen haben (wobei mensch dann wiederum sofort die Biologismus-Sichtweise an der Backe hat, und das Beispiel hinkt natürlich. Es ist eben nur was zum Einhaken).
Vielleicht wäre eine Voraussetzung für die Rettung solcher Parallelen, dass ich eine vergleichsweise stärkere gesellschaftliche Wahrnehmung *nie* für eine Art der Diskriminierung unterstellen dürfte, in der ich selbst zur privilegierten Gruppe gehöre?
Oder würde es reichen, wenn ich statt Aussage eine Frage formuliere - "Würdest Du denn [rassistisches Schimpfwort] sagen? Nein? Warum nennst Du diese Frau dann 'Schlampe'?"
Oder ist es vielleicht nur dann sinnvoll, wenn ich z.B. in einem Mainstream-feministischen Kreis mit in diesem Kreis bekannten Mechanismen vergleiche, um Diskriminierungen anderer Gruppen deutlicher zu machen?
Oder ist es ganz blöd?

(Und, sind so lange Kommentare überhaupt ok/erwünscht?)

(Ich hoffe, das ist überhaupt verständlich, oje.)

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Oh, und:
"Man weiß eigentlich auch, dass es in Berlin häufig junge Männer mit Migrationshintergrund sind, das soll man aber nicht sagen - in der Realität ist allerdings in dem von Übergriffen geplagten Schwulenviertel Berlin-Schöneberg eine nicht mehr wegzudiskutierende Türkenfeindlichkeit entstanden."
PC-Polizei! PC-Polizei! Man darf ja hier nicht die Wahrheit sagen, was? Im hübschen Doppelpack mit victim blaming der rassistisch diskriminierten Menschen.

Toller Post, danke.

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Über den Artikel habe ich mich auch sehr aufgeregt. Danke für den Post.

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