Donnerstag, 13. Oktober 2022
Privilegien nutzen
Die Lodhi Gardens in Delhi.


Vor zwanzig Jahren oder so dachte ich, ich muss mal länger nach Indien und dort einen Alltag haben. Erfahren, wie das so ist in Indien zu leben und Alltägliches zu erledigen. Dazu kam es aber irgendwie nicht.

Jetzt bin ich länger in Indien. Ich könnte mir eine Wohnung nehmen, wo ich Dinge selbst erledigen muss. Ich könnte so leben, wie Teile der Mittelschicht leben. Das hiesse auf jeden Fall zur Arbeit pendeln. Delhi ist sehr groß. Die Wege sind weit. Die Menschen leben weit weg von ihren Arbeitsplätzen. Eine Stunde Pendelzeit für einen Weg sind nicht ungewöhnlich.

Aber ich bin gerade ganz glücklich damit, quasi neben meinem Arbeitsplatz zu wohnen. Fünf Minuten Arbeitsweg zu Fuß durch die Lodhi Gardens sind sehr entspannend. Also habe ich meine vorübergehende Unterkunft erstmal verlängert. Auch wenn das heisst, dass ich keine eigene Küche, keine eigene Waschmaschine, etc. habe.

Und für die Zeit danach suche ich auch weiter eine Unterkunft ganz in der Nähe. Am Samstag kann ich mir eine möblierte Einzimmerwohnung anschauen. 10 Minuten zu Fuß von hier, in einem reichen Teil Delhis, bei reichen Leuten und mit einer hohen Miete. Ich hoffe, ich bekomme sie.

Ich weiss, dass ich dabei meine finanziellen Privilegien voll ausnutze. Dass andere das nicht können. Ein bisschen habe ich dabei ein schlechtes Gewissen. Aber gleichzeitig merke ich, dass es für mein Wohlbefinden total gut ist, mich aus dem Verkehr und dem alltäglichen Ärger rauszuhalten. So kann ich es hier gut aushalten.

Als ich vor zehn Jahren zuletzt in Indien war, war ich dauergestresst. Es war keine gute Erfahrung. Das muss ich nicht wieder haben. Ich bin jetzt zu alt, um beweisen zu wollen, dass ich anders als die Expats bin.

Nachtrag 14.10.22: So ganz bei den Reichen bin ich aber doch noch nicht gelandet. Meine Unterkunft im India International Centre finden einige dann doch zu einfach. Und heute Nacht hatte ich auch Besuch von einer Maus in meinem Badezimmer. Ein bisschen authentisch bleibt es ...

0 Kommentare in: indien   ... comment ... link


Dienstag, 11. Oktober 2022
LGBTQ
Frühstück in der Lounge vom India International Center


Heute morgen beim Frühstück sassen am Nachbartisch zwei Freund_innen und unterhielten sich wohl über ihre Kinder. Auf einmal höre ich "eine echte Frau" und "lgtbq". Da habe ich natürlich meine Ohren gespitzt, soweit das der laut dröhnende Ventilator und der rauschende Springbrunnen möglich machten. Sie schienen sich darüber zu unterhalten, dass das jetzt ein Thema ist, Geschlecht zu hinterfragen. Die Frau erklärte die fünf Buchstaben. Rather matter of fact, nicht wertend. Im Büro bekomme ich auch nur selbstverständliche Reaktionen auf das Erwähnen meiner Partnerin.

0 Kommentare in: indien   ... comment ... link


Sonntag, 9. Oktober 2022
Hindernisse
Ich befinde mich gerade in einem recht privilegierten Teil Delhis. Hier bei den Lodhi Gardens ist es grün und ruhig. Zum Khan Market komme ich zu Fuß und muss dabei nur eine größere Strasse queren.

Fußwege gibt es auch. Allerdings scheinen diese nicht nur zum Gehen, sondern vor allem auch zum Abstellen von Dingen zu dienen. Mal ist es ein Haufen Sand oder Steine, mal ein Kasten und mal der Premierminister selbst.

Plakat steht mitten auf dem Fußweg


Das der für mich ein Hindernis sein könnte, wundert mich nicht besonders. Als ich dem Schild ausweichen musste, war ich allerdings doch verwundert über die Positionierung.

Der Monsun scheint noch nicht ganz zu Ende. So bin ich gestern gleich zweimal durchgenässt. Da es dabei noch warm war, war das nicht so schlimm.

Bei Regen bilden sich tiefe Pfützen auf den Strassen. (Symboldbild)


Als ich Abends aus dem Büro nach hause ging, blieb mir allerdings nichts anderes übrig als etwa 20 Meter durch wadentiefes Wasser zu waten, da die gesamte Straße unter Wasser stand, es keinen erhöhten Gehweg gab und der alternative Weg durch den Park mittags schon im Wasser stand. Davon habe ich kein Foto, denn es war zu nass, um die Kamera rauszuholen.

Glücklicherweise wusste ich, da ich den Weg schon mehrmals gegangen war, dass die Straße keine Schlaglöcher hatte, so konnte ich ins Wasser stapfen. Es war aber schon eine interessante Erfahrung, mir durch die dreckige Brühe den Weg zu bahnen. Das Wasser macht einen ganz schönen Widerstand. Bilder von Menschen in überfluteten Gebieten verstehe ich jetzt ein kleines bisschen besser.

0 Kommentare in: indien   ... comment ... link


Freitag, 7. Oktober 2022
Angekommen
Foto des Arbeitsplatzes im ICAS:MP-Büro


Aufgrund meiner vorherigen Indienaufenthalte bin ich ja mit manchen Sorgen hier nach Delhi gekommen. Verkehr. Viele Menschen. Smog. Anstregend. Und ja, der Verkehr ist schon was eigenes. Hier werde ich sicher nicht radfahren. Aber bis jetzt hat alles ganz gut geklappt. Probleme konnten schnell gelöst werden. Und ich habe schon einen funktionierenden Arbeitsplatz. Es kann losgehen.

Vielen Dank an das ICAS:MP-Büroteam für ein tolles Willkommen.

0 Kommentare in: indien   ... comment ... link


Dienstag, 4. Oktober 2022
Packen
Morgen breche ich zu einem halbjährigen Forschungsaufenthalt in Delhi (Indien) auf. Zehn Jahre war ich nicht dort. Ich bin gespannt, was mich erwartet.

Jetzt stand aber erstmal das Packen an. Was nimmt mensch mit Anfang 50 für ein halbjährigen Auslandsaufenthalt mit? Wenn ich mir mein Gepäck anschaue, dann bin ich ganz offensichtlich mehr auf Bequemlichkeit aus als früher. Diverse ergonomische Hilfsmittel sind in den Taschen gelandet.

Und dann die Frage: Kommen indische Kleidungsstücke mit oder nicht? Sie passen zum Klima. In Deutschland gibt es wenige Möglichkeiten, sie anzuziehen. Aber werde ich in Delhi seltsam angeschaut, wenn ich mich da "ethnisch" kleide, während alle anderen in meinem Umfeld westliche Kleidung tragen? Das habe ich schon häufiger von InderKindern auf Indienreise gehört und zuletzt bei Julia Wadhawan gelesen. Wadhawans Buch ist übrigens eine ganz spannende Auseinandersetzung mit Indien und Deutschland.

0 Kommentare in: indien   ... comment ... link


Mittwoch, 21. September 2022
Von Krankenschwestern zu Metzger_innen
Vor 60 Jahren gab es in der Bundesrepublik einen akuten Schwesternmangel. Daher wurden unter anderem aus Indien Krankenschwestern angeworben. Dazu forsche ich seit einiger Zeit und bin gerade in Archiven unterwegs.

Da die Bundesrepublik in den 1960ern kein Einwanderungsland sein wollte, mussten Argumentationen gefunden werden, weshalb trotzdem Schwestern angeworben werden dürfen. Behauptet wurde, sie kämen nur zur Ausbildung und das wäre Teil von Entwicklungshilfe. Und nach der Ausbildung müssten sie noch praktische Erfahrung sammeln, weshalb sie etwas länger bleiben sollten. Als es dann in den 1970ern ausreichend "deutsche" Schwestern gab, wurde das Entwicklungshilfeargument genutzt, um den Aufenthalt der indischen und anderen asiatischen Krankenschwestern zu beenden.

Dabei war den Behörden durchaus klar, dass die Argumentation nicht stimmig ist. In Indien wurde das deutsche Krankenschwesternexamen nicht anerkannt, so sehr sich die deutschen Behörden auch darum bemühten.

Jetzt lese ich auf dem SWR, dass aus Indien Metzger_innen-Azubis angeworben werden.

Wäre es der 1. April würde ich das für einen gelungenen Aprilscherz halten. Die meisten Menschen in Indien leben vegetarisch. Die regierenden Hindu-Nationalist_innen gehen rechtlich und gewalttätig gegen Schlachtungen von Kühen vor. Schwein essen in Indien nur sehr wenige. Wurst und Co gibt es gar nicht. Ich frage mich, wer da von wo angeworben wird. Vielleicht wieder aus Kerala (wie die Krankenschwestern), da es dort viele Christ_innen gibt? Wer geht nach Deutschland, um diesen Beruf zu lernen?

Und was passiert, wenn wir wieder genug Metzger_innen in Deutschland haben? Wird dann wieder gesagt, wie so oft, das war Entwicklungshilfe? Weil es in Indien so wenige Metzger_innen gibt?

0 Kommentare in: arbeitsmarktpuffer   ... comment ... link


Dienstag, 20. September 2022
Überfordernde Eigenverantwortung
2003 wollte ich von Delhi über London nach Deutschland fliegen. Als ich in London angekommen bin, ging es mir nicht gut. Daher habe ich nach einer Ärzt_in im Flughafen gefragt. Mir wurde gesagt, da gibt es keine, nur draussen. Und überhaupt, wenn ich nicht flugfähig sei, dann könne ich nicht nach Deutschland fliegen. Also, ärztliche Versorgung konnte ich nicht bekommen, aber mir drohte in London zu stranden. Also beschloss ich voll flugfähig zu sein und bin weiter geflogen. Später (einige Wochen später allerdings erst) war ich dann mit einer ungeklärten schweren Krankheit im Krankenhaus.

Schon in London dachte ich, dass ist aber jetzt nicht schlau von dem Flughafenpersonal. Es ist gerade die SARS-Pandemie. Wenn ich schon mir aus sage, dass es mir nicht gut geht, sollte mensch sich meiner annehmen und mir nicht nahelegen, mich gesund zu stellen.

2022: Internationales Fliegen geht ohne Tests und Masken. Die Covid-Pandemie geht weiter. Erkrankte wollen aber nicht weit von zu hause stranden und fliegen trotzdem, weisen nicht aktiv daraufhin, dass sie infiziert sind. Das habe ich jetzt schon mehrfach gehört. Und ich kann sie verstehen (siehe oben).

Wenn Erkrankte/Infizierte in diesen Situationen nicht primär im eigenen Interesse handeln sollen, dann muss es überprüfte Regeln und Hilfen für die Erkrankten/Infizierte geben.

0 Kommentare in: corona   ... comment ... link