Sonntag, 24. Januar 2016
Prekäre Solo-Selbständige
Vor zwei Wochen berichtete die taz darüber, dass die Grünen ein Mindesthonorar für Selbständige fordern. Dabei bezog sie sich wohl auf dieses Diskussionspapier Digitalisierung gestalten. Vor allem bei jenen, die eher schein-selbständig als wirklich selbständig sind, kann das eine wichtige Forderung sein.

Mir als privilegierter prekärer Solo-Selbständigen wäre anderes wichtiger. Mein Stundenlohn bei Aufträgen, die ich habe, ist in der Regel ok. Nur reichen die Aufträge pro Monat nicht zum Leben. Vor allem nicht, weil der Krankenversicherungssatz für Selbständige sich an einem illusorischen Einkommen pro Monat orientiert, zumindest illusorisch für jene, die in der nicht-kommerziellen Bildungsarbeit tätig sind. Mir wäre schon viel geholfen, wenn da das angenommenen Einkommen näher an meinem tatsächlichen Einkommen liegen würde. Denn was die taz zum Mindesthonorar schreibt, gilt da auch:

"Die Forderung nach der Statustrennung zwischen Solo- und normalen Selbstständigen begrüßt Berater Gunter Haake ausdrücklich. Er ist Geschäftsführer der Verdi-nahen Firma Mediafon, die Soloselbstständige berät. Mit der Trennung entrinne man einem grundsätzlichen rechtlichen Dilemma beim Mindesthonorar für Selbstständige: „Das Wettbewerbsrecht behandelt Soloselbstständige wie Tankstellenkonzerne.“"

Noch toller wäre es natürlich, wenn es so etwas wie die Künstlersozialkasse auch für Bildungsarbeitende gäbe.

1 Kommentar in: bildungsarbeit   ... comment ... link


Freitag, 15. Januar 2016
Paul Mecheril zu Flucht und aktuellen Diskursen
Eine sehr lesenswerte Rede im Weser-Kurier.

0 Kommentare in: abschieben   ... comment ... link


Donnerstag, 14. Januar 2016
Ketten-Abschottung
tagesschau.de meldet, dass die Türkei syrische Flüchtlinge nach Syrien abschiebt. Das wird nun kritisiert:

"Die EU-Kommission teilte Monitor gegenüber mit, irreguläre Abschiebungen ohne individuelle Prüfung würden einen "Bruch internationalen Rechts" bedeuten und die Europäische Menschenrechtskonvention verletzen."

Natürlich ist das ein Bruch internationalen Rechts. Aber was denkt sich die EU? Selbst will sie die Flüchtlinge nicht aufnehmen, rüstet rechtswidrig ihre Grenzen auf, verpflichtet die Türkei, Flüchtlinge zu behalten - warum sollte die Türkei anders handeln als die EU?

Die Konsequenz müsste sein, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen.

0 Kommentare in: abschieben   ... comment ... link


Rechte Gewalt
tagesschau.de berichtet:

"Trauriger Rekord: Nie gab es so viele gewalttätige Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte wie 2015. Vorläufige Zahlen des Bundeskriminalamts zeigen einen massiven Anstieg. Die Opposition geht von noch mehr Fällen aus."

Die rechte Gewalt scheint gerade in Deutschland wieder zuzunehmen. Auch 2016 gab es schon einige Gewaltausbrüche:

Die sexualisierte Gewalt am Kölner Hauptbahnhof als Vorwand nehmen, haben in Köln vermutlich biodeutsche Gewalttäter Menschen, die sie als 'Ausländer' klassifizierten, gejagt und zum Teil krankenhausreif geschlagen.

In Leipzig haben rechte Gewalttäter in einem linken Stadtteil gewüstet.

Daniel Bax fragt in der taz, warum es für die rechte Gewalt so wenig öffentliche Empörung gibt:

"Man könnte deshalb auch fragen: Welche Rolle spielt die mitteleuropäische Herkunft der Täter? Oder: Gehört Gewalt gegen Andersdenkende und Andersaussehende so sehr zu „unserer Kultur“, dass sie von vielen nicht als Skandal empfunden wird? Denn der große Aufschrei blieb bislang aus."

0 Kommentare in: rassistisch   ... comment ... link


Mittwoch, 13. Januar 2016
Sichere Herkunftssstaaten
Die taz berichtet, dass die Union diskutiert, ob Algerien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden sollen.

Ich habe über Algerien und Marokko wenig Ahnung. Aber beim Young Media Summit Reloaded im Dezember in Tunis habe ich zwei marokkanische Menschenrechtsaktivist_innen kennen gelernt. Beide werden in diesem Netzpolitik-Artikel erwähnt, weil gegen sie in Marokko ermittelt wird. Der eine von beiden war daher nach Tunis ins Exil gegangen. Auch wenn mir die Kenntnisse fehlen, all das genau einzuschätzen, bezweifele ich nach dem, was die beiden uns erzählt haben, dass Marokko ein sicherer Herkunftsstaat ist. Politischer Aktivismus scheint gefährlich zu sein.

Nachtrag 15.01.16: Im taz-Interview spricht Isabelle Werenfels von der SWP unter anderem über Marokko:

"All das erweckt den Anschein von Offenheit und einer Reformdynamik. Gleichzeitig stehen Journalisten und Wissenschaftler vor Gericht oder dürfen nicht reisen, weil sie einen investigativen Journalismus vorantreiben wollen oder mehr Meinungsfreiheit einfordern."

Das würde meinen Eindruck bestärken.

Nachtrag 20.01.16: Mehr zu Menschenrechtsverletzungen in Marokko und Algerien in der taz.

Nachtrag 24.01.16: Informationen über verfolgte Menschenrechtsaktivist_innen in Marokko, einer war beim YMS Reloaded dabei.

Nachtrag 10.02.16: Mehr über die sicher nicht sicheren Herkunftländern in der taz und von Charlotte Noblet (auch in der taz).

0 Kommentare in: abschieben   ... comment ... link


Montag, 11. Januar 2016
#ausnahmlos
Eine Gruppe von Feminist_innen hat einen öffentlichen Aufruf Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall. #ausnahmslos gestartet.

Aus dem Statement:

In der Silvesternacht auf 2016 waren in Köln und anderen deutschen Städten viele Frauen sexualisierter Gewalt an öffentlichen Plätzen ausgesetzt. Diese Taten müssen zügig und umfassend aufgeklärt werden. Die Schutzlücken im Straftatbestand der sexuellen Nötigung/Vergewaltigung müssen endlich geschlossen werden.

Wir fordern, dass den Betroffenen jetzt alle Unterstützung und Hilfe zukommt, die sie benötigen. Wir stehen solidarisch mit all denjenigen, die sexualisierte Gewalt und Belästigung erfahren und erfahren haben.

Mehr hier. Da kann der Aufruf auch mitgezeichnet werden.

0 Kommentare in: heteronormativ   ... comment ... link


Sonntag, 10. Januar 2016
Workshop for Lehrende und Interessierte: Intersektional lehren
Am Montag, den 08.02.15 von 9.30 bis 17.00 Uhr gebe ich an der Freien Universität Berlin einen Workshop zum Thema "Intersektional lehren":

"Im Workshop wird erarbeitet, welche Bedeutungen und Konsequenzen die Verflechtung von Ungleichheitsverhältnissen für die (eigene) Lehre hat und wie mit ihnen umgegangen werden kann. Ziel ist es, ein (eigenes) Verständnis von intersektionalem Lehren zu entwickeln."

Alles weitere hier.

0 Kommentare in: veranstaltung   ... comment ... link


Samstag, 9. Januar 2016
Schärfere Gesetze
Die taz berichtet, dass jetzt wohl doch schärfere Gesetze kommen. Das Kanzleramt hat noch vor Weihnachten seine Blockade gegen eine Verschärfung des Vergewaltigungsrecht aufgegeben. Die taz schreibt:

"Nach längerem Zögern hat Justizminister Maas im Juli 2015 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der zumindest in die richtige Richtung geht. Anders als ein Gesetzentwurf der Grünen will Maas zwar nicht das Prinzip „Nein heißt Nein“ umsetzen, aber zumindest einige Schutzlücken schließen."

Das hört sich so an, als ob Deutschland in Bezug auf sexualisierte Gewalt immer noch ein sehr patriarchales Recht hat und selbst die bisher blockierte Verschärfgung nicht wirklich zu einem rechtlichen Schutz vor ungewollten sexuellen Handlungen führt. Für ein Recht auf "Nein heisst Nein" gibt es in Deutschland wohl noch keine ausreichende Lobby. Die taz erklärt die Blockade der Verschärfung wie folgt:

"Beobachter gingen davon aus, dass man dort die Verschärfung des Sexualstrafrechts als unpopulär einschätzte, weil vor allem sexuelle Übergriffe in Beziehungen betroffen wären."

Wenn das so stimmt, dann will die Union ihren Wählern (und wohl weniger den _innnen) nicht zumuten, dass sie sexualisierte Gewalt nicht mehr straffrei anwenden dürfen. Die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt ist in Deutschland ganz offensichtlich noch nicht sehr weit vorgeschritten.

Darauf verweist auch die sehr genaue und differenzierte Stellungnahme zu den Übergriffen in der Silvesternacht des bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Diese Fachleute, die sich schon lange und intensiv mit sexualisierter Gewalt beschäftigen, lassen sich nicht auf den Abweg bringen, sexualisierte Gewalt vor allem als Problem von Männern mit Migrationshintergrund zu sehen. Stattdessen solidarisieren sie sich mit den Opfern der Gewaltübergriffe, weisen auf die Alltäglichkeit von sexualisierter Gewalt hin und prangern strukturelle Schutzlücken an:

"Allerdings ist die sexuelle Selbstbestimmung in Deutschland nicht voraussetzungslos geschützt. Der bff und viele andere Organisationen fordern seit Jahren, dass die Schutzlücken im Straftatbestand der sexuellen Nötigung/Vergewaltigung endlich geschlossen werden. Leider ist es immer noch so, dass maßgeblich für die Strafbarkeit eines Übergriffs nicht etwa der erklärte Wille einer Person ist, sondern faktisch die Frage, ob sie sich ausreichend zur Wehr gesetzt hat und der Täter somit Gewalt anwenden musste.

Auch bezogen auf die Taten in Köln ergibt sich – für den Tathergang gemäß den bisherigen Darstellungen in den Medien – eine Schwierigkeit für die Strafbarkeit. Dem bff sind schon lange zahlreiche Fälle bekannt, in denen Frauen an öffentlichen Orten belästigt, begrabscht und an Geschlechtsteilen angefasst wurden. In der Regel enden diese Taten für die Täter straflos, weil aufgrund der Überrumpelung der Betroffenen keine Nötigungsmittel angewendet werden müssen, um die sexuelle Handlung zu begehen. Solche Überraschungsangriffe sind – so die Erfahrung der Fachberatungsstellen und von Rechtsanwältinnen – nicht durch den Straftatbestand der sexuellen Nötigung erfasst und damit systematisch straffrei."


Laut taz würde die Verschärfung des Vergewaltigungsstrafrechts hier Verbesserungen bringen:

"Ausdrücklich erwähnen will Maas im Strafgesetzbuch auch den Fall, dass das Opfer „aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig ist“. Gemeint sind zum Beispiel überraschende Griffe an die Brust oder zwischen die Beine. Bisher wurde dies teilweise als Beleidigung bestraft. Dies ist umstritten, weil es nicht um Ehre, sondern um die sexuelle Selbstbestimmung geht.

Diese Änderung könnte auch für Übergriffe wie in Köln relevant sein. Eine rückwirkende Anwendung der Verschärfung ist allerdings rechtsstaatlich ausgeschlossen."


Wenn das Bundeskanzleramt die Verschärfung also nicht blockiert hätte, gäbe es jetzt vielleicht schon schärfere Gesetze, um die Kölner Übergriffe zu bestrafen. Eine solche öffentliche Diskussion scheint mir bisher aber zu fehlen. Statt über einen besseren rechtlichen Schutz gegen sexualierte Gewalt wirde über Ausweisungen und Abschiebungen diskutiert. Das zeigt, dass es den Diskutierenden nicht um die Opfer geht, sondern darum Menschen aus Deutschland zu verweisen. Der bff schreibt:

"Eine Unterscheidung der öffentlichen oder politischen Reaktionen auf sexualisierte Gewalt je nach Herkunft der Täter wird jedoch dem Thema nicht gerecht."

Während der bff begrüßt, dass es jetzt eine größere öffentliche Aufmerksamkeit für sexualisierte Gewalt gibt, bedauert aber:

"Leider ist das Ausmaß der Empörung eine absolute Ausnahme und bedauerlicherweise wahrscheinlich zunächst auf den mutmaßlich nicht-deutschen Hintergrund der Täter zurückzuführen."

Wir brauchen nicht nur einen besseren rechtlichen Schutz vor sexualisierer Gewalt. Wir brauchen vor allem auch eine stärkere öffentliche Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt, ihrer Alltgäglichkeit, ihren Tätern und den Konsequenzen für (potentielle) Opfer. Wir müssen uns endlich auf den Weg zu einer gleichberechtigereren Gesellschaft machen, in der Frauen und andere von der heterosexuallen Cis-Männlichkeit abweichende Identitäten nicht mehr die Möglichkeit von sexualisierter Gewalt als Normalität ansehen, mit der sie umgehen müssen.

Nachtrag 11.01.16: Die taz berichtet, dass die CDU jetzt doch für eine "Nein heißt Nein"-Regelung ist.

Nachtrag 14.01.16: Mehr zur rechtlichen Situation in der taz.

Nachtrag 21.01.16: Und noch ein Gespräch von Christina Clemm und Sabine Hark in der Zeit.

Nachtrag 03.03.16: Heide Oestreich kritisiert in der taz die unzureichende Reform des Sexualrechts.

2 Kommentare in: heteronormativ   ... comment ... link