Sonntag, 26. April 2015
Perspektiven
In Facebook bin ich mit vielen kritischen (queer-)feministischen Aktivist_innen und/ oder Wissenschaftler_innen, die sich mit Südasien und insbesondere Indien beschäftigen, befreundet. Durch sie (und auch den Blog kafila) bekomme ich mit, was in der Region gerade (problematisches) passiert. Ein ständiges Thema ist dabei der Hindu-Nationalismus, insbesondere seit die BJP wieder die Wahlen gewonnen hat. Dabei geht es immer wieder darum, wie Marginalisierte unter deren Politik leiden (siehe dazu auch einen taz-Artikel aus der letzten Zeit). Dass der Hindu-Nationalismus menschenfeindlich ist und der Premierminister Narendra Modi für die Pogrome in Gujarat zumindest mit verantwortlich war, ist in diesen Kreisen allgemein anerkannt. Die Stimmung ist daher gedrückt, Veränderungen rtscheinen dringend notwendig.

Mein Facebook-Feed ist aber nicht nur von diesen Stimmen bestimmt. Ich habe auch verschiedene Seiten und Gruppen von 'Inder_innen' in Deutschland abonniert. Da sieht die Stimmung ganz anders aus. Politik ist kein besonderes Thema, die Zustimmung zu Modi aber ist groß. Dies wurde besonders deutlich als Modi vor kurzem Deutschland (und Frankreich und Kanada) besucht hat. Während meine aktivistischen Freund_innen aus Kanada und Frankreich kritisch über die Besuche und auch über Widerstand berichtet haben, herrschte bei meinen deutschen Quellen Jubel, Trubel, Heiterkeit vor. Wenn es mal kritische Interventionen gab, wurde diese (zumindest in einer Gruppe) als unzulässige politische Beiträge kritisiert. Der Premierminister wurde allgemein als Repräsentant der Nation und damit unangreifbar verstanden, seine Vergangenheit war egal (und wurde sowieso nicht so problematisch gesehen). Die Berichterstattung stellte die wirtschaftliche Entwicklung in den Vordergrund (siehe dazu auch einen Beitrag des theinder.net, der immerhin darauf hinweist, dass es auch Kritik gibt, wenngleich er diese nicht darstellt). Etliche meiner Facebook-Freund_innen posteten Jubel-Artikel und Bilder von Modi, zumindest einer ein Bild davon, wie er Modi die Hand schüttelte.

Diese völlig gegensätzlichen Perspektiven auf Modi, Hindu-Nationalismus, die Rolle der Politik begegneten sich ständig in meinem Facebook-Feed. Ohne aber miteinander in Kontakt zu kommen. Die Kritik der einen, kam nicht bei den anderen an. Beide Perspektiven trüben die Stimmung: die eine weil sie ausformuliert, welche Probleme bestehen, die andere, weil sie zeigt, dass die andere durchaus recht hat.

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Sonntag, 29. März 2015
Lesben oder Schwestern
Zu zweit gehen wir den S-Bahnsteig entlang. Dann werden wir angesprochen. Er habe eine blöde Frage, ob er sie stellen dürfe. Meine Begleitung möchte wissen, was die blöde Frage sei. Ob wir Schwestern oder Lesben seien, will er wissen. Für Schwestern würde er uns wegen unserer Wangenknochen halten. Warum wir auch Lesben sein könnten, erklärt er nicht. Er meint wohl, dafür wäre Händchen halten notwendig. Seine Begleitung war aber wohl nicht der Meinung, dass wir Schwestern seien, deswegen ist er zu uns gekommen.

Wir revanchieren uns mit der Frage, wo er her ist. Den Namen des Ortes verrät er nicht. Er sagt nur, dass die nächste Autobahn eine Stunde entfernt sei. Wir wünschen ihm noch viel Spaß in Berlin.

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Montag, 16. März 2015
Kein Praktikumsplatz
Eine Person bewirbt sich um einen Arbeits-, Studiums-, Praktikumsplatz und wird abgelehnt. Das passiert regelmäßig. Mal liegt es daran, dasss es nicht genug Plätze gab, dass die Qualifikation nicht ausreicht oder sonstige gute Gründe. Mal liegt es aber auch daran, dass die bewerbende Person einer gesellschaftlichen Gruppe angehört (bzw. als ihr angehörend angesehen wird), die nicht gerne eingestellt wird (Behinderte, Frauen, Ausländer_innen, HartzIV, etc.). Auch das passiert regelmäßig. Da das aber Diskriminierung ist, wird natürlich kein oder ein anderer Grund angegeben und damit lässt sich meist die Diskriminierung nicht nachweisen.

Ungewöhnlich ist es, wenn die Diskriminierung in der Absage offen zugegeben wird. Das soll eine Leipziger Professorin aber gemacht haben (siehe z.B. sueddeutsche.de, und mdr.de). Sie soll einen indischen Studenten mit der Begründung abgewiesen haben, dass sie wegen der Vergewaltigungsfälle in Indien generell keine indischen Männer annehme.

Soweit ein klarer Fall von rassistischem Ausschluss. Menschen aus einem bestimmten Land grundsätzlich abzulehnen, weil diesen Menschen eine bestimmte Mentalität zugeschrieben wird oder sie für Verhalten anderer Menschen in diesem Land zur Rechenschaft zu ziehen, ist eine rassistische Praxis. Die Professorin behauptet allerdings, dass sie diese Aussagen so nie getroffen hat. bbc.com wiederum berichtet, dass sich ein anderer Student gemeldet hat, der schon vor einiger Zeit eine ähnliche Absage der gleichen Professorin bekommen hat. Ein migazin-Autor hält die Anschuldigungen an die Professorin auch für glaubwürdig.

Ich kann das nicht einschätzen. Wenn es aber stimmt (und diese Annahme treffe ich für den Rest des Blogbeitrags, ohne es zu behaupten), dann finde ich vor allem überraschend, dass die Professorin in der Korrespondenz mit den Studierenden so offen zu ihrem diskriminierenden Verhalten gestanden hat. Die Berichterstattung über die Vergewaltigung(en) in Indien hat ihre befürchteten Folgen (siehe hier und hier). Vergewaltigung wird als ein Problem Indiens (und nicht des Patriarchats) angesehen und damit auch aus (z.B.) Deutschland verlagert. Die Professorin sieht nicht ein Problem in gewalttätigen Männern sondern in indischen Männern.

Einen Fall von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, wie sie der migazin-Autor sieht, sehe ich allerdings nicht. Es trifft zwar indische Männer, aber nicht weil sie sexistisch sondern weil sie rassistisch ausgegrenzt werden. Indische Männer scheinen für die Professorin gefährlich . Indische Frauen hingegen will sie vermutlich beschützen. Sie werden nicht bevozugt, sondern viktimisiert. Die rassistische Diskriminierung ist genderspezifisch differenziert und hat unterschiedliche Folgen.

Am meisten überrascht mich aber weiter die offen diskriminierende Begründung. Wenn sie so getroffen wurde und auch noch mehrfach: Wieso denkt eine Professorin, dass sie das sagen kann? Und wieso gibt es so wenig öffentliches Interesse für den Fall in Deutschland?

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Spektaktuläres Migrantenkind
In der taz.berlin schreibt Andreas Hergeth über Nasser El-A.s Prozess gegen seine Familie (sie auch diesen taz.berlin-Artikel) und stellt fest:

"Das öffentliche wie medienwirksame Coming-out eines Migrantenkinds ist immer noch spektakulär, weil ziemlich einmalig."

Und da frage ich mich, wo lebt Andreas Hergeth? Oder aber, wen definiert er als Migrantenkind? Denn ich kenne ziemlich viele Kinder von Migrant_innen, die out sind. Öffentlich. Medienwirksam zumeist nicht, das gebe ich zu. Warum auch, denn an ihrem Out-sein ist nichts besonders medienwirksames, sie sind es einfach, ohne besondere Probleme. Sind sie deshalb keine Migrantenkinder? Sind Migrantenkinder per Definition mit Problemen belastet?

Nasser El-A.s Geschichte bräuchte diesen Superlativ nicht. Sie ist erschreckend genug. Erschreckend aber auch wie wenig Hergeht Nasser El-A. ernst nimmt. Der andere taz.berlin-Artikel zitiert El-A.:

"Auch wenn er jetzt allein lebe, „bin ich immer noch ein Familienmitglied von El-A.“, sagte der 18-Jährige. Ob es umgekehrt genauso sei, wisse er nicht. "

El-A. wehrt sich also dagegen, aus der Familie ausgeschlossen zu werden, besteht darauf, weiter dazu zu gehören. Hergeth aber beginnt seinen Artikel:

"Nasser El-A. hat keine Familie mehr, dabei ist er erst 18 Jahre alt."

Hergeth will wohl seine spektakuläre Geschichte erzählen und dafür muss El-A. mit der Familie brechen. Ob er will oder nicht.

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Sonntag, 8. März 2015
Frauen*kampftag
Frauen*kampftag 2015 Berlin


Bei wunderschönen Frühlingswetter in Berlin.

Demonstration zum Frauen*kampftag 2015 am Berliner Alexanderplatz

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Freitag, 6. März 2015
"Minderheiten und Meinungsfreiheit"
Das Zentrum für Antisemtismusforschung veranstaltet am Montag, den 16.03.2015, um 19:00 Uhr eine Diskussionsveranstaltung zu Minderheiten und Meinungsfreiheit.

Mit Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA), diskutieren
Thomas Lackmann (Journalist, Der Tagesspiegel), Sergey Lagodinsky (Jurist, Heinrich-Böll-Stiftung) und ich. Mir geht es dabei vor allem um einen rassismuskritischen Blick auf die Debatte (wie z.B. hier).

Veranstaltungsort: orangelab, Ernst-Reuter-Platz 2, 10587 Berlin

Und eine Einladung (als pdf) gibt es auch.

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Mittwoch, 4. März 2015
Vergewaltigungskultur
Auf dem Blog von suedasien.info habe ich über Kontroversen rund um den Film 'India's Daugther' geschrieben. Es geht um Vergewaltigung(skultur), der Blick auf Indien, internationale Solidarität, verschiedene Männlichkeiten und auch um Dominique Strauss-Khan:

tageschau.de berichtet , dass der Dokumentarfilm 'India's Daughter' der Filmemacherin Leslee Udwin in Indien (erstmal) nicht gezeigt werden darf. Wenn ich es richtig verstehe, geht Udwin in dem Film, der international bekannt gewordenen Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau in Delhi im Dezember 2012 nach. Unter anderem interviewt sie einen der Vergewaltiger, der dem Opfer die Schuld an seiner Vergewaltigung gibt.

Dass die Motivation der Behörden, den Film nicht zu zeigen, problematisch ist, glaube ich sofort. Allerdings kommt auch aus feministischer Perspektive in Indien Kritik an dem Film. So hat Kavita Krishnan schon vor dem Verbot einen kritischen Artikel zum Film verfasst. Darin kritisiert sie unter anderem, die patriarchale Verwendung des Begriffes Tochter, die Fokussierung auf den Einzelfall, den (orientalistischen) Fokus auf Indien und das Ignorieren von feministischen Stimmen in Indien (ähnliche Kritik wurde 2013 auch von Urvashi Butalia im Interview mit suedasien.info forumuliert). In einem weiteren Artikel kritisiert Krishnan den Umgang mit dem Vergewaltiger, der weiterer öffentlichen Verurteilung (und Rufen nach Todesstrafe bzw. Selbstjustiz) ausgesetzt wird während noch ein Berufungsverfahren läuft. Krishan argumentiert, dass die Interviews unter zweifelhaften Rahmenbedingungen entstanden sind und dass der Film nicht vor Beendigung des Verfahrens gezeigt werden sollte.

Sie betont auch (in beiden Artikeln), dass das Problem nicht nur die individuelle Vergewaltigung ist, sondern die Vergewaltigungskultur (rape cultre - also die gesellschaftliche Rechtfertigung von sexualisierter Gewalt) in Indien und dem Rest der Welt.Daher sollte der Fokus nicht auf den einen indischen Täter aus der Unterschicht gelegt werden, sondern auf die Verhältnisse, die ihn und andere Männer dazu bringen, selbstverständlich zu vergewaltigen.

Dafür verweist Krishnan auch auf Ingrid Therwaths Artikel im Hindu zu Dominique Strauss-Kahn. Therwath arbeitet dort heraus, wie privilegierte Männer wie Strauss-KahnVergewaltigungsanschuldigungen entgehen. Anders als der indische Täter haben sie teure Anwälte und gute Kontakte. Zudem profitierten sie davon, dass die Vergewaltigungskultur privilegierten Männern erlaubt ihnen untergebene Frauen auszunutzen und dass Sexarbeiter_innen kein Schutz vor Vergewaltigung zugestanden wird.

Udwins Dokumentarfilm habe ich nicht gesehen, kann ihn daher nicht beurteilen. In jedem Fall aber sprechen Krishnan und Therwath wichtige Themen an. Es geht nicht darum indische Töchter zu retten, sondern die Vergewaltigungskultur in allen Ländern und allen Schichten zu bekämpfen und zu verunmöglichen.

Verfasst von: urmila am 05. März 2015 um 10 Uhr 00

Der Film kann jetzt online angesehen werden. Und im Guardian ist auch eine Kritik am Film erschienen.

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Montag, 2. März 2015
Teurer Abschiebegewahrsam
Die taz berlin berichtet mal wieder über die horrenden Kosten, die Berlin auf sich nimmt, um einen Abschiebegewahrsam zu betreiben. Die taz zitiert den Landesrechnungshof:

"Deshalb fielen für den Berliner Landeshaushalt 2012 umgerechnet auf jeden Insassen pro Tag Kosten von 1.821 Euro an."

In der Diskussion ist daher, den Abschiebegewahrsam in Grünau zu schliessen und dafür einen neuen in der Nähe des Flughafens BER zu bauen. Der soll dann auch (wie der in Grünau) Abzuschiebende aus anderen Bundesländern aufnehmen.

Das würde zwar Geld sparen, ist aber weiterhin menschenunwürdig. Für die Abzuschiebenden aus anderen Bundeländern würde weiterhin gelten, dass sie aus ihren Strukturen und Unterstützer_innenkreisen herausgenommen würden.

Grünau muss ersatzlos geschlossen werden. Abschiebehaft abschaffen! Das spart viel Geld und wahrt Menschenwürde.

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