Sonntag, 1. August 2010
Deutungshohheit zur Milli Görüs
Im April erschien in der taz von Eberhard Seidel ein Verriß des neuen Buchs von Werner Schiffauer "Nach dem Islamismus - Eine Ethnographie der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs". Beim Lesen kam mir einiges seltsam vor, z.B. der Verweis auf Schiffauers Buch von 1983 und das Ignorieren der Weiterentwicklung von Schiffauers Denken in den letzten 30 Jahren oder das Anzweifeln der empirischen Grundlage Schiffauers und gleichzeitiges Behaupten von Dingen ohne sie selber zu belegen.

Inzwischen habe ich Schiffauers Buch gelesen und jetzt kommt mir noch viel mehr seltsam vor an der Rezension von Seidel. Ich lese bei Schiffauer eine differenzierte Darstellung der Milli Görüs und verschiedener Strömungen in ihr (und nicht die vereinfachten Darstellungen, die Seidel unterstellt). Eine gewisse Sympathie für die von ihm interviewten Vertreter der Milli Görüs ist bei Schiffauer schon zu merken, aber anders lässt sich eine so langfristige Ethnographie auch gar nicht machen. Schiffauer ermöglicht seinen Leser_innen aber immer auch kritische Perspektiven auf sein Protagonisten. Verhalten und Denken ist bei ihm immer komplex und auch ambivalent.

In Seidels Rezension fehlt allerdings, dass Schiffauer unter anderem Seidel scharf kritisiert (für unkritische, schlecht belegte Kritik an Milli Görüs). Kein Wunder, dass Seidel das Buch nicht gut finden kann und dafür andere Gründe benennt.

Ich bin natürlich auch parteiisch. An Schiffauers Lehrstuhl habe ich merhere Jahre gearbeitet und schätze seine Arbeit sehr (wenn sie mir auch z.B. zu wenig heteronormativitätskritisch ist). Seidels Artikel in der taz stören mich schon seit Jahren aufgrund ihrer Reproduktion von antimuslimischen Rassismus.

Nachtrag 15.08.10: antropologi.info hat noch weiteres Material rund um Schiffauers Buch zusammengetragen.

1 Kommentar in: islamophobie   ... comment ... link