Donnerstag, 14. April 2011
re:publica: Guck, mal wer da spricht
Gestern war ich auf dem Panel Wieviel Pluralismus kann die deutsche Blogosphäre mit Kübra Gümüsay und Sebastian Mraczny organisiert von der mädchenmannschaft bei der re:publica und hatte schon geschrieben, dass ich nicht so ganz zufrieden war. Aus dem Thema hätte mehr gemacht werden können. Daher jetzt hier ein paar Überlegungen zu dem Panelthema und der Frage:

Wie offen ist die deutsche Blogosphäre?

Deutsche Blogsphäre - das sagt mir nichts. Ich blogge, aber bin wenig auf anderen Blogs unterwegs, fühle mich nicht als Teil einer Gemeinschaft, der Blogosphäre. Daher gingen auch viele der Fragen an mir vorbei. Ich konnte mit ihnen nichts anfangen. Mein Blog ist ein Medium für meine rassismus- und heteronormativitätskritische Arbeit, aber nicht ein Zweck an sich. Ich freue mich, wenn er gelesen wird und wenn Kontakte darüber entstehen. Aber darüber freue ich mich auch bei anderen Publikationsformen, in der Lehre, bei Vorträgen, in Trainings, etc. Insofern ist es naheliegend, dass mich das Treffen der deutschen Blogosphäre, die re:publica nicht sonderlich interessiert.

Nichtsdestotrotz: zu der Frage will ich trotzdem etwas beitragen.

Zuerst stellt sich mir die Frage, wer will aus welchen Gründen, dass die deutsche Blogosphäre offen ist? Und zweitens, für wenn soll sie offen sein? Für Menschen mit Marginalisierungserfahrung durch Rassismus, Klassismus, Ableism, Heteronormativität, etc.? Oder einfach für alle? Auch für Nazis? Was ist das Ziel der Offenheit?

Ich nehme mal an, es geht um den Zugang der Marginalisierten. Und schreibe dazu mehr.

Hier stellt sich dann erstmal die Frage des Zugangs, was unter digital divide besprochen wird. Ich vermute, dass die meisten Menschen in Deutschland, einen Internetzugang nutzen könnten, wenn nicht zu hause, dann in Internetcafes oder öffentlichen Einrichtungen. Der rein technische Zugang ist vermutlich weniger das Problem. Wohl aber andere Ressourcen: habe ich genug Zeit dafür, verfüge ich über ausreichendes Wissen und die notwendigen Medien- und Sprachkompetenzen, gibt es Angebote, die mich ansprechen. Hier spielt auch (fehlende) Barrierefreiheit in verschiedensten Formen eine Rolle.

Die Stimme erheben können in der Blogosphäre viele, die Frage aber ist, wer wird wahrgenommen. Das hängt davon ab, in welchen Netzwerken mensch ist, über welches soziale Kapital mensch verfügt und wie anschlussfähig die eigenen Themen für andere sind. Hier verfügen Marginalisierte in der Regel über weniger Ressourcen als andere und werden schon aus diesen Gründen weniger wahrgenommen.

Zudem ist die deutsche Blogsphäre Teil der deutschen Gesellschaft und mit den gleichen Machtverhältnissen durchzogen. Wenngleich auch die Bloger_innen sicher etwas junger, technikaffiner, etc. sind als die Gesamtgesellschaft. Aber auch sie sind durch die heteronormativen, rassistischen, klassistischen, ableistischen, etc. Strukturen unserer Gesellschaft gepräggt und (re)produzieren diese auch (zumeist ungewollt) online. Diese Machtverhältnisse bestimmen, welche Themen angesagt sind, wem welche Kompetenz zugesprochen wird und was als Nischenthema, etc. wahrgenommen wird. Die Offenheit der Blogosphäre ist also durch die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft begrenzt.

Und trotzdem bleibt die Möglichkeit, die Stimme zu erheben, sich eine eigene Öffentlichkeit herzustellen, die offline häufig schwerer herzustellen ist, und sich mit anderen Marginalisierten zu vernetzen, was offline auch häufig schwieriger ist. Das Internet und die Blogosphäre hat damit erhelbliches Potential für marginalisierte Stimmen und für neue Bündnisse.

Öffentlichkeit ist aber auch mit Gefahren verbunden. Wer aus marginalisierter Position die Stimme erhebt und die Verhältnisse anprangert, öffnet sich auch für Gegenangriffe, für rassistische, heterosexistische, klassistische, ableistische, etc. Angriffe. Sich dem zu stellen, braucht viel Kraft. Denn diese Angriffe müssen ja auch offline ständig ausgehalten werden. Anonymität im Netz bietet hier einen gewissen Schutz (und auch Irritationspotential wie Sebastian angesprochen hat). Anonym lassen sich allerdings die Bilder über Blogger_innen schlechter brechen (wie Kübra betont hat).

Marginalisierten zu sagen, dass es doch ihre eigene Verantwortung sei, dass ihre Stimme wahrgenommen wird, ist eine höchst machtunkritische Perspektive. Selbstverständlich kümmern sich Marginaliierte selbst um ihre Interessen, sie erheben ihre Stimme, aber gegen dominante Machtverhältnisse können sie alleine nur wenig ausrichten. Zudem müssen sie ihre knappen Zeit- und Kraftressourcen auch selbstschützend einsetzen. Solidarität und Unterstützung von Menschen in privilegierteren Positionen sind nötig, damit sich in der Gesellschaft etwas ändert. Und diese Solidarität und Unterstützung erfolgt im Ideal, ohne dass eine Dankeschön erwartet wird. Anderenfalls ist es eine paternalistische Geste, bei der die als hilfsbedürftig Konstruierten ihren Helfer_innen danken müssen.

Ich könnte mich natürlich mehr in die deutsche Blogsphäre einbringen, mich mehr vernetzen. Aber gerade sind meine Prioritäten woanders. Mir geht es darum in Forschung, Lehre, Trainings und beim Bloggen Menschen rassismus- und heteronormativitätskritische Perspektiven näherzubringen. Und dabei entscheide ich selbst, auf welche Themen ich mich einlasse, was ich dabei kostenlos mache und wo meine Grenzen für kostenlose Bildungsarbeit sind.

Danke an Kübra und Sebastian! Aus der Diskussion mit Euch habe ich vieles Mitgenommen.

Wir haben gesprochen. Und verhältnismässig wenige haben zugehört (natürlich nur quantitativ gesprochen). qed

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Blogsphäre
Darf ich die Frage anders formulieren: was ist bloggen und was ist die blogsphäre?
Sie haben das Wesentlich schon gesagt: man kann die Stimme erheben, sich eine eigene Öffentlichkeit herstellen.
Für mich ist der Blog ein Versuch, meine Stimme öffentlich hörbar zu machen in der Hoffnung, Gehör zu finden und Reaktionen auszulösen, vielleicht eine Diskussion in Gang zu bringen. Die Blogsphäre wäre dann der Bereich, in dem andere das gleiche versuchen wie ich, letztlich also die angestrebte Öffentlichkeit.
In London stellen sich Leute an den Hydeparkcorner, um mit öffentlicher Rede Gehör zu finden. Im blog versuchen sie nichts anderes, nur eben mit Hilfe eines elektronischen Mediums und deshalb mit mehr Aussicht auf Erfolg.
Muss man da ein Gerechtigkeitsproblem sehen? Nicht jeder hat was zu sagen und will was sagen. Es sind eben nicht alle gleich. Wo also ist das Problem?

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Das Problem ist
dass auch wenn Menschen etwas zu sagen haben und gerade wenn Menschen aus einer marginalisierten Position etwas zu sagen haben, das verpufft, wenn niemand zuhört. Wem zugehört wird hat (auch) etwas mit Machtverhältnissen zu tun. Wenn wir Machtungleichheiten abbauen wollen, dann ist es ganz entscheidend auch denen zuzuhören, denen sonst nicht zugehört wird.

Das ist ein gesellschaftliches Problem, dass sich in der Blogosphäre (re)produziert.

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Blogsphäre
bloggen hat den Vorteil, dass es Zeit lässt zum Nachdenken. Die Zeit habe ich mir genommen mit folgendem, vorläufigen Ergebnis:
Zunächst scheint mir, dass Sie ähnliche Bedenken haben wie ich, wenn Offenheit der Blogsphäre verlangt wird auch für solche, die Zugangsschwierigkeiten haben. Meine Bedenken kommen aus der Richtung: es gibt eine Art von Altruismus, die asozial ist, weil sie den Menschen ihre Selbstständigkeit nimmt. Wenn jemand Schwierigkeiten hat, zu bloggen, dann ist das zunächst sein Problem und man sollte ihm das Problem auch nicht einfach wegzunehmen versuchen, es vielmehr ihm überlassen, das Problem zu lösen. Alles andere führt zu den Problemen, die man in Staaten mit kommunistischer Vergangenheit beobachten kann, in Italien, Frankreich oder auch in der früheren DDR: die Menschen fühlen sich nicht mehr selbst verantwortlich, sondern laufen denen nach, die ihnen alles abzunehmen versprechen. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Soviel für heute.

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"Problemen, die man in Staaten mit kommunistischer Vergangenheit beobachten kann, in Italien, Frankreich oder auch in der früheren DDR"

So so, kann "man" das. Schön pauschalisierende Aussage, die muss richtig sein.

Ansonsten reden wir aneinander vorbei: Mir geht es ums Gehörtwerden und ihnen ums Sprechen. Die hängen zwar zusammen, aber die Fokussierung macht wichtige Unterschiede.

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