Dienstag, 28. Juni 2011
Transnationale Expert_inneneinsätze
Morgen werde ich auf der Konferenz "Vietnamese women in the context of rapid social changes" in Ho Chi Minh Stadt einen Kurzvortrag zur performativen Reproduktion von Gender halten. Die Vertreterin der mich einladenden (deutschen) Organisation habe ich gefragt, warum sie dafür eine 'Expert_in' aus Deutschland holen, es gebe doch z.B. in Indien auch ausreichend Expert_innen, die näher an Vietnam dran sind. Aus meiner eurozentrischen postkolonialen Perspektive wollte ich es problematisieren, dass 'Wissen' aus Europa geholt wird. Und das finde ich auch weiter problematisch (auch wenn ich gerade davon profitiere und dieses Privileg ausnutze).

Spannend ist aber, dass ich aus meiner deutschen Perspektive einfach angenommen habe, dass zum Beispiel Menschen aus Indien näher an Vietnam dran sind und es im Sinne von Europa provinzialisieren Sinn machen würde, sie einzuladen. Dabei bin ich mal eben über die Auseinandersetzungen, Befindlichkeiten, Hierarchien in Asien hinweggegangen. Mir wurde erklärt, dass es zum Beispiel nicht grundsätzlich einfach ist, Akzeptanz für indische Referent_innen zu finden. Deutsche Referent_innen sind akzeptabler. Das hat mit der postkolonialen Weltordnung zu tun, aber nicht nur. Die Welt ist einfach zu komplex für einfache Zuordnungen von Gut und Böse.

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Montag, 27. Juni 2011
Flughafen Security Check
Chaos wegen NZG oder so ähnlich. Nicht zuordnenbares Gepäckstück. Ich bin aber am richtigen Gate. Der Mensch beim Security Check hat Zeit und fragt mich wohin ich fliege. Ich erkläre ihm, wo Ho Chi Minh Stadt liegt. Dann fragt er mich, ob ich beruflich hinfahre: selbständig oder von der Firma. Ich antworte: Wissenschaftlerin. Und auf Nachfrage: Gender Studies/ Geschlechterstudien. Seine Reaktion: medizinisch?

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Freitag, 24. Juni 2011
Fragen an Fußballerinnen
Wann stellt man einer Fußballerin im Zeitungsinterview die Frage: "Wurden sie religiös erzogen?"? Das ist erstmal keine naheliegende Frage. Ich würde sie vielleicht dann stellen, wenn meine Interviewpartnerin mir etwas über Religion erzählt hat. Wenn aber eine Fußballerin interviewt wird, die Großeltern aus der Türkei hat, dann scheint diese Frage unumgänglich, wie jetzt wieder im taz-Interview mit Aylin Yaren. Bei so einer Türkin wissen wir ja, dass die alle total religiös (natürlich islamisch sind) und auch dass die dann den armen Töchtern Probleme machen. Da Aylin Yaren aber nicht die gewünschte Antwort liefert, da sie offenbar mit Religion nichts am Hut hat, dann muss eben die andere obligatorische Frage nachgeschoben werden: "Es gab niemals Ärger für das türkische Mädchen, das Fußball spielt?"

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Freitag, 24. Juni 2011
Was verstehe ich nicht?
In der taz berichtet Silke Burmester von der 'Medienfront' zuletzt mit der Kolumne Lesbisch, Fussballerin, natürlich ohne Kinder - Fragen, deren Antwort niemanden angeht. Und mir ist nicht klar, was diese Kolumne soll: Kritik an der Studie von Elke Amberg, dass Lesben in der Berichterstattung nicht vorkommen? Irgendwie witzig sein? Lesben in den Mittelpunkt rücken? Irgendwie muss ich auf dem Schlauch stehen. Wahrscheinlich weil ich lesbisch bin und deswegen keinen Spaß verstehe.

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Samstag, 18. Juni 2011
Wer wird gehört?
Ich hatte schon kurz erst auf Gay Girl in Damascus und dann den Hoax hingewiesen. Kurz zusammengefasst: Ein weißer heterosexueller Mann spricht als lesbische syrische Frau und bekommt damit weltweites Gehör (und gefährdet syrische Aktivist_innen). Das funktioniert nach dem änlichen Prinzip wie Günter Wallraffs Black Face. Auch da hat sich ein privilegierter Mensch angemasst aus einer anderen Perspektive zu sprechen und damit seine Stimme über die Stimmen aus der anderen Perspektive erhoben.

Zum Gay Girl Hoax gibt es bei Philibuster eine gute Analyse.

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Mittwoch, 15. Juni 2011
Gegen Bevormundung
Die taz berlin berichtet von der abolish-Demonstration in Berlin. Dort ging es auch um den Wertmarken-Boykott in Hennigsdorf (siehe hier für Hintergründe) und die Zusammenarbeit zwischen Menschen, die dem Asylbewerber_innenleistungsgesetz unterliegen und ihren Unterstützer_innen aus der Dominanzgesellschaft:

"Mit seiner tiefen Stimme übertönt Chamberlin Wandji vom Afrikarat Brandenburg die Parolen des Demonstranten. Es sei absehbar gewesen, dass der Staat mit den Flüchtlingen nicht ernsthaft verhandeln werde, sagt er. Die deutschen Unterstützer des Protests, die momentan die Essensversorgung im Heim organisieren, hätten aber auf dem Gespräch bestanden. Es gab Streit, am Ende setzten sich die Unterstützer durch.

Wandji findet, die Flüchtlinge müssten sich auch gegen Bevormundung durch Unterstützer wehren: "Wir müssen den Protest selber führen." Das sei schwer, wenn man die Landessprache nicht beherrsche. Aber schuld daran sei die Ausgrenzung durch die Behörden. "Da müssen die eben dem schlechten Deutsch zuhören." "

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Sonntag, 12. Juni 2011
Die Heteronormalisierung des Frauenfußballs
Die taz berichtet, dass der Playboy mit ein paar 'schönen' Fußballspielerinnen aufmacht. Nationalspielerinnen sind nicht dabei und die taz vermutet:

"Hat der Deutsche Fußball-Bund etwa Weisung gegeben, die Imagekampagne vom attraktiven, heterosexuellen Fußballmädel nicht zu überdrehen? Lebhaftes Interesse an einer Feminisierung des Frauenfußballs hat der Verband ja zweifellos, allein schon, um das männliche Publikum zu gewinnen. Zu weit durften es die Kickerinnen aber offenbar nicht treiben."

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Die EU der Ungleichen
Die taz berichtet, dass Deutschland, Frankreich und die Niederlande dafür sorgen, dass es EU-Länder zweiter Klasse gibt. Obwohl die EU-Kommission, das Europaparlament und auch Ungarn, die gerade den EU-Vorsitz haben, dafür waren, Rumänien und Bulgarien in den Schengenraum aufzunehmen, haben Deutschland und die beiden anderen Länder das verhindert. Als Begründung ziehen sie dafür Dinge heran, die sonst nicht als Kriterien für den Beitritt zum Schengenraum gelten.

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Beschreiben nicht analysieren
In den taz-Leser_innenbriefen nimmt eine Leserin ihre Kritik an der Kolumne von Kübra Gümusay etwas zurück:

"Der Charakter der Kolumne hat sich verändert, Frau Gümüsays Blick ist weniger analysierend und bewertend, sie besinnt sich stärker auf ihre offenkundige Fähigkeit zur dichten Beschreibung. Auf diese Weise wird dem Leser die Wahrnehmung einer Frau mit Kopftuch sensibel und anschaulich vermittelt"

Warum soll die Frau mit Kopftuch nicht analysieren und werten?

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Diskussion zu Post-Privacy
Der Freitag diskutiert mit Kübra Gümüsay und Christian Heller über Post-Privacy. Für mich der erste Text, den ich dazu gelesen habe (auch wenn mir bewusst ist, dass es da schon einiges an Diskussionen gibt - mein Beitrag hier mag aufgrund meiner Ignoranz der Debatten naiv sein).

Ich stimme mit Heller vollkommen darüber ein, dass wir unsere Daten nicht (vollständig) kontrollieren können. Dinge, die in die Welt gesetzt wurden, entwickeln ihr Eigenleben, das nicht mehr völlig kontrolliert werden kann (das hat schon Dürrenmatt in Die Physiker beschrieben). Mit dieser Unmöglichkeit der Kontrolle müssen wir uns auseinandersetzen und nicht verzweifelt versuchen, die Kontrolle wieder völlig herzustellen. So weit kann ich folgen.

Aber die Beiträge Hellers in der Freitags-Diskussion wirken auf mich dann doch zu platt. Ich bekomme den Eindruck, dass es nur völlige Kontrolle oder gar keine Kontrolle geben kann (und letzteres die 'Wahrheit' ist). Das ist mir zu dichotom. Ja, ich kann nicht alles kontrollieren, aber ich finde schon, dass ich verantwortlich mit Daten umgehen sollte (siehe auch mein Beitrag zu Sozialen Medien und Berichterstattung) - was auch Heller macht, wenn er die Treffen mit Leuten nicht ohne deren Einwilligung veröffentlicht. Ich kann nicht verhindern, dass Daten/Informationen aus meiner Kontrolle geraten, aber ich kann die Wahrscheinlichkeit beeinflussen mit der dies geschieht. Auch mit einer geringen Wahrscheinlichkeit kann das Ereignis eintreten und das muss ich wissen, aber trotzdem kann das absichtsvolle Herbeiführen einer geringen Wahrscheinlichkeit des 'Kontrollverlusts' einen (unsicheren aber wahrscheinlichen) Schutz bieten. Und das ist wichtig, wenn mir oder anderen durch die Daten/Informationen Verletzungen drohen.

Zu argumentieren (und so verstehe ich Heller in der Freitags-Diskussion), dass sowieso alles herauskommt und die Offenheit auch die beste Grundlage für eine Gesellschaft ist, ignoriert für mich die real existierenden Machtverhältnisse in der Gesellschaft. Für manche ist es gefährlicher als für andere, wenn Privates öffentlicht wird (das hängt von verschiedensten Faktoren ab). Ich glaube auch nicht, dass Outings von 'Homosexuellen' die Toleranz gegenüber 'ihnen' vergrößert haben. Mehr geselleschaftliche Anerkennung ist über Kämpfe um Anerkennung gekommen und nicht einfach durch Outings. Outings können für Einzelne nach wie vor auch gefährlich werden. Ausserdem ist es Menschen unterschiedlich möglich, Informationen über sich selbst zu schützen (je reicher und mächtiger, um so besser lassen sich Daten schützen). Ich glaube daher nicht dran, dass durch Offenheit im Netz eine egalitäre Welt geschaffen werden kann.

In Hellers Aussagen hat mir eine Reflexion dieser Machtverhältnisse und der Konsequenzen für die Post-Privacy-Debatte gefehlt und deshalb stimme ich Gümüsay auch völlig zu, wenn sie sagt:

"Herr Heller, ich finde, dass Ihre Perspektive die eines Menschen ist, der vielen Normen entspricht. Aus der Position von jemandem, der eine Minderheitenrolle einnimmt, sehe ich viele Gefahren in Ihrer Idee der „Post-Privacy“. Ich fürchte, dass die Ausgegrenzten noch stärker ausgegrenzt werden. Die ganze Post- Privacy-Debatte ist sehr weiß, männlich und akademisch."

Und an den Freitag muss die Frage gestellt werden, warum werden ein Vertreter von Post-Privacy und eine 'Kopftuchträgerin' für diese Diskussion zusammen gebracht? Welche Annahmen stecken hinter dieser Zusammenstellung von Diskutant_innen?

Dank an katunia für die Diskussion zum Artikel.

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