Dienstag, 15. Januar 2013
Worte und Machtverhältnisse
In der erbitterten Debatte darüber, ob rassistische Begriffe in Kinderbüchern geändert werden dürfen, kommt immer wieder das (Pro-)Argument, dass die Begriffe beim Schreiben nicht rassistisch gewesen seien, sie es jetzt aber seien und daher eine Modernisierung notwendig sei. Diese Argumentationsschiene habe ich bisher nicht verstanden, weil die Worte in meinem Verständnis schon immer rassistisch waren. Ein Pro-Artikel des Schriftstellers Jakob Hein in der taz hilft mir dabei, diese Logik nachzuvollziehen. Hein schreibt:

"So ist „Neger“ 2013 zweifellos ein rassistisches Wort in der deutschen Sprache. Über das Wort ist viel zu sagen, insbesondere dass es vor einigen Jahrzehnten kein rassistisches Wort war. Die Kultur in Deutschland war damals rassistischer, sie war auch sexistischer und weniger demokratisch. Das kann dem Wort nicht angelastet werden. „Neger“ war damals so wenig rassistisch, wie „Fräulein“ nicht sexistisch war. Die Zeiten haben sich millimeterweise geändert, die fünf Buchstaben N-e-g-e-r konnten das nicht. Sie stehen zusammen als ein Wort, das aus der Zeit gefallen ist. "

Hein stellt fest, dass das N-Wort heute rassistisch ist und das Fräulein sexistisch (so verstehe ich ihn zumindest). Ausserdem stellt er fest, dass (die) Deutschland(e?) vor einigen Jahrzehnten rassistischer und sexistischer war(en) als heute (dem würde ich zustimmen). Er behauptet aber die beiden Worte waren damals nicht rassistisch und sexistisch. Wie kommt er zu der Schlussfolgerung?

Ich vermute, dass weil Kritik an den Begriffen (und den durch sie reproduzierten Machtverhältnisse) von der zeitgenössischen Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wurde, (fast) alle die Begriffe als selbstverständlich und normal wahrgenommen haben und daher kritiklos genutzt haben, die Begriffe deshalb noch heute von Hein und anderen als in der Zeit nicht rassisitisch oder sexistisch verstanden werden. Oder anders formuliert: Was normal war und von (fast) allen benutzt wurde, kann nicht rassistisch/ sexistisch/ etc. gewesen sein. Aus der machtkritischen Theorie kommend, argumentiere ich genau anders herum, die Normalität der Verwendung zeigt, dass die Begriffe die gesellschaftlich legitimierten Machtverhältnisse (re)produzieren. Die Begriffe sind nicht unschuldig, sondern bilden diese Machtverhältnisse ab und produzieren sie.

In der Argumentation die Begriffe seien nicht -istisch gewesen, steckt wahrscheinlich auch der Wunsch die Menschen, die damals die Begriffe benutzt haben, vor dem Vorwurf sie seien -Isten gewesen, zu bewahren. In diesem Wunsch scheint mir wieder das Missverständnis zu stecken, dass Menschen, die -istische Begriffe nutzen, deswegen böse willentlich handelnde -Isten seien. So würde ich aber nicht argumentieren. Preußler und Lindgren können durchaus überzeugte Anti-Rassist_innen gewesen sein (ich weiss über die beiden zu wenig, um das zu beurteilen) und trotzdem Rassismus reproduzierende Begriffe benutzt haben. Eben weil dies normal war und es eine besondere Offenheit brauchte, den rassistischen Gehalt zu erkennen und damit kritisch umzugehen.

Wir alle nutzen immer wieder -istische Begriffe. Häufig ohne das zu wollen, weil wir den -istischen Gehalt zu wenig wahrnehmen. Bei manchen -Ismen sind wir potentiell vorsichtiger als bei anderen. Ich nehme aber an, dass es kaum Personen gibt, die wirklich alle -Ismen immer auf dem Schirm haben und gar keine -istischen Begriffe oder Formulierungen benutzen.

Wenn ich dafür plädiere, dass -istische Begriffe aus Kinderbüchern verschwinden sollen, geht es mir nicht darum die Autor_innen dieser Bücher als -Isten zu kategoriseren. Mir geht es darum, dass Kinder möglichst wenige -Ismen lernen. Dazu nochmal ein Hein-Zitat:

"Die Kindheit ist eine prägende Zeit. Hier wird das Grundgerüst der Werte, Normen und auch der Worte angelegt. "

Und noch eine kurze Bemerkung zu Heins Artikel: Mir gefällt, dass er davon spricht, dass hier eine Abwägung von zwei Prinzipien (Rassismuskritik und Zensurkritik) vorzunehmen ist. Denn das nimmt beides ernst und zeigt, dass es keine einfachen Lösungen gibt und Entscheidungen notwendig sind.

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Body-Mass-Index
In der heutigen Print-taz (online finde ich den Artikel nicht) wird über den Lehrer Arne Ulbricht berichtet, der gegen seinen Beamtenstatus gekämpft hat und jetzt wieder Angestellter wird (mit weniger Gehalt). Diesen Schritt versteht Ulbricht auch als einen Akt der Solidarität mit Menschen, die nicht verbeamtet werden können (aus diversen Gründen).

Einer der Gründe, die gegen Verbeamtung sprechen, ist ein zu hoher Body-Mass-Index in der Gesundheitsprüfung. Ulbricht sagt dazu laut taz:

"Ich habe Kollegen, die nur deswegen nicht verbeamtet werden können, weil sie zu dick sind. Obwohl sie tolle Lehrer sind. ... Da hört für mich jedes Verständnis auf."

Ich habe auch eine Kollegin, die vor ihrer Gesundheitsprüfung sehr auf ihr Gewicht achtet, damit ihr die Verbeamtung nicht verwehrt wird.

Verstösst so eine Überprüfung nicht gegen dass AGG? Warum darf der Staat auf Grund (von angenommener) gesundheitlicher Beeinträchtigung ausgrenzen?

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