Dienstag, 11. Juli 2006
Aggressiver Nationalismus
"Der Politiker Roberto Calderoli von der rechtsgerichteten Lega Nord hatte den Sieg der italienischen Auswahl als politischen Sieg über eine "gemischt-rassige" Mannschaft bezeichnet. Italien habe "eine Mannschaft geschlagen, die dem Streben nach Erfolgen ihre Identität geopfert hat, indem sie Schwarze, Moslems und Kommunisten aufstellte", sagte Calderoli bei der Heimkehr der siegreichen Nationalmannschaft nach Rom."

berichtet tagesschau.de. Wie befürchtet, tut auch Italien die WM nicht gut. Auch dort ermöglicht der 'nationale' Taumel rassistische Entgleisungen.

In Deutschland sind 'wir' nach wie vor von 'uns' selber begeistert:

"Grob überschlagen kam gestern eine Deutschlandfahne auf drei Personen; die Deutschen sind stolz auf ihr Team - und sogar auf ihr Land. "Ich denke, wir sind tolle Gastgeber gewesen. ..."

<Deutschlaaaand

So stolz können 'wir' sein, dass 'wir' das auch auf unsere Kleidung schreiben können:

"... das Hemd für heimische Fans ist mit einem großen Adler geschmückt und dem Spruch "Unsere Heimat. Unsere Ehre. Unser Stolz."."

Jegliche Ähnlichkeiten mit rechten Sprüchen sind natürlich völlig zufällig und es wäre eine Unverschämtheit, die Aufschrift mit diesen in Verbindung zu bringen. Auch die Beleidigungen der ItalienerInnen sind natürlich weiter völlig harmlos, weil das ist im Fußball halt so:

Auf dem Weg zum Ausgang singen die Italiener "Italia!". Die Deutschen rufen: "Ihr seid nur ein Wett-Skandal! Wett-Skandal! Wett-Skandal!" Oder einfach nur: "Deutschland!"

So kann dann auch Tobias Rapp in der taz polemisch fragen:

"Wo waren eigentlich die Nazis? Bei allem Gerede über den neuen deutschen Patriotismus sollte man doch die Nazis nicht vergessen. Zumal sie vor der WM noch in den düstersten Farben als Bedrohung erster Ordnung an die Wand gemalt worden waren. ... Wo waren sie? Hat es wirklich nicht zu mehr gereicht als einem angespuckten Engländer in Berlin-Charlottenburg und einem Mann in Aachen, der seinen Fernseher auf die Straße warf, als italienische Fans feierten? Oder hatten sie sich einfach gut unter schwarzrotgoldenen Fahnen versteckt?

Wohl kaum."


Die diversen Rassimen und Hitlergrüße haben 'wir' genauso ignoriert wie nationalistische Beleidigungen und auch den einen oder anderen rassistischen Überfall. Und wenn 'wir' bei all dem so beherzt wegschauen, dann sehen wir tatsächlich keine 'Nazis' um uns rum. Ach, wie schön ist 'unsere' Welt, wie toll sind 'wir' doch.

Nachtrag 12.07.06: Hier noch ein Beispiel für die ach so friedliche WM.

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Ähem
Ich komme mir hier nicht gerecht behandelt vor: das Zitat ist zwar richtig, aber sehr missverständlich, weil aus dem Zusammenhang gerissen. Mein Textchen handelte von der Medienerzählung "Nazis", die vor der WM aufgeführt wurde. Nicht von den Nazis selbst. Das schreibe ich auch. Und diese Medienerzählungsnazis verschwanden während der WM auf einmal, um den ganzen friedlichen Fans Platz zu machen. Meine Vermutung ist nun, dass das miteinander zu tun hat, aufeinander verweist. Dass sich die Deutschen nur freuen können, wenn sie die Nazis vorher aufgerufen haben, um eine Grenze zu ziehen. Um das symbolische Territorium zu markieren, in dem sie sich freuen können. Davon handelt der Text. Dass die realen Nazis nicht verschwunden sind, habe ich auch geschrieben.
Vielleicht war es etwas missverständlich. In so kurzen Texten geht ja manchmal was verloren und man merkt es nicht.
Schönes Blog übrigens.

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Missverständnisse
Da habe ich den Text wohl ganz anders verstanden, als er gemeint war. Den Wandel in den Medienerzählungen habe ich genauso wahrgenommen (glaube ich zumindest). Kaum hatte die WM eingesetzt, da gab es nur noch euphorische Freude - und das selbst in der taz. Ein ziemlicher Bruch gegenüber der vorherigen Berichterstattung - und der Realität 'Anderer Deutscher'.

Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich den Kommentar 'richtiger' verstehe. Das könnte daran liegen, dass unsere Perspektiven auf das gleiche Phänomen andere sind?

Ich schreibe dazu, dass Rassimen in 'Deutschland' alltäglich sind, dass sie brutale Realität für 'Andere Deutsche' sind. Vor der WM haben Schwarze Deutsche darauf hingewiesen (in dem sie verbal oder als Opfer von rassistischen Schlägern auf No-Go-Areas hingewiesen haben) - und die Medien reagierten. Allerdings zumeist mit einer Verschiebung. Es ging nicht mehr um rassistische Strukturen 'unserer' Gesellschaft sondern um die 'Nazis' am Rand derselben. Insofern mag ich Ihnen folgen, dass 'Nazis' aufgerufen wurden. Ich würde sagen, damit 'wir' 'uns' von ihnen distanzieren können und 'uns' nicht mit der eigenen Verwicklung in Rassimen auseinandersetzen müssen. - Hat das was mit der Grenzziehung zu tun, die Sie meinten? Oder missverstehe ich wieder gründlich?

Das kurze Texte häufig missverständlich sind, merke ich in diesem Blog immer wieder. Der theoretische Rahmen, in dem sie verfasst werden, die Perspektive, die ihnen eigen ist, lässt sich nicht jedes mal darstellen. Wenn die LeserIn dann einen anderen theoretischen Rahmen, eine andere Perspektive hat, andere Fragen stellt, dann kann sie fast nur missverstehen.

Daher freue ich mich auch sehr über Ihren Kommentar, und würde mir einen weiteren Austausch wünschen.

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