Samstag, 5. Januar 2013
Und es tut sich was
Die taz berichtet, dass rassismuskritische Intervention(en) dazu geführt haben, dass die neue Auflage von 'Die kleine Hexe' ohne rassistische Begriffe erscheinen soll.

Diese Änderung produziert natürlich viel Kritik. Vorallem scheint argumentiert zu werden, dass mensch literarische Klassiker nicht ändern sollte. Und grundsätzlich würde ich dem zustimmen. Rassismen in literarischen Klassikern sind ein Ausdruck ihrer Zeit und sollten als solche stehen bleiben. Aber nicht in Kinderbüchern. Kinder lernen unter anderem durch Bücher die Welt kennen und entwickeln Selbstentwürfe. Sie können das Gehörte noch nicht kritisch reflektieren, daher sollten sie mit möglichst wenigen Rassimus-, (Hetero)Sexismus-, etc.-Reproduktionen konfrontiert werden. Es ist nicht egal, mit welchen (Sprach)Bildern Kinder konfrontiert werden.

Eine andere Kritik behauptet, dass die rassistischen Begriffe zur Zeit des Schreibens neutral gewesen sein. Da scheint mir neutral mit normal verwechselt zu werden. Die Verwendung der rassistischen Begrife belegt sicher die Normalität dieser Rassismusreproduktionen zur Zeit des Schreibens, aber sicher nicht deren Neutralität. Europäischer Rassismus ist insbesondere durch die Aufklärung und im Laufe des Kolonialismus legitimiert und normalisiert worden - und hat sich auch in der Sprache niedergeschlagen. Das N-Wort war schon immer mit Abwertung und Ausgrenzung verbunden.

Warum in der Print-taz, das N-Wort im Titel des Artikels vorkommen muss und im Artikel so häufig ausgeschrieben werden muss, verstehe ich nicht. Ich finde es ok, es zu zitieren, damit auch Leser_innen, die nicht in den Debatten drin sind, verstehen worum es geht. Aber es muss nicht so häufig wiederholt werden.

Ausserdem ärgert es mich, dass in der Print-taz die Kritik an Rassismus in Kinderbüchern auf Wolfgang Benz zurückgeführt wird, obwohl es schon vor seiner Intervention eine intensive Auseinandersetzung dazu gab (vergleiche meinen älteren Blogeintrag).

Nachtrag kurz darauf: Die Kommentare zum taz-Artikel sind furchtbar. Warum regen sich die Leute so über die Änderung auf? Fühlen sie sich persönlich angegriffen? Fühlen sie sich in ihren Privilegien angegriffen? Es ist spannend, welche Themen zu welchen Gefühlsausbrüchen führen und welche nicht.

Nachtrag 12.01.13: Heute in der Print-taz eine ganze Seite Leser_innenbriefe zur 'Kleinen Hexe' (pro und contra), ein Artikel von Anna Klöpper "Zensur in Kinderüchern" (das ist der Titel des Online-Artikels und der ist contra) und ein Kommentar von Daniel Bax (pro).

Wahnsinn was für ein Aufreger (auch oder gerade unter taz-Leser_innen und -Redakteur_innen), das Streichen des N-Worts ist. Da zeigt sich, wie wichtig und schwierig die Debatte ist. In den Contra-Stimmen fehlt mir das Bewusstsein, dass Kinder durch Kinderbücher die Welt, die Sprache und sich kennenlernen. Es wird so getan, als ob Kinder schon kritisch-historisch reflektieren könenn. Klöpper behautptet gar, dass diskriminierende Sprache in Kinderbüchern zu einer Sensibilisierung für Diskriminierungen führen kann. Dem kann ich so gar nicht folgen. Was erstmal als normal gelernt wird, muss mit viel Aufwand wieder verlernt werden. Warum dann erst lernen.

Aber auch Bax Argumentation finde ich nicht sehr überzeugend. Bei ihm geht es um Modernisierung von Sprache und darum, dass Kinder die veraltete Sprache nicht mehr verstehen würden. Meine Kritik gilt aber nicht veralteter Sprache sondern diskriminierender Sprache. Die diskriminierenden Worte waren auch früher nicht unproblematisch.

Bax letzten Absatz kann ich mich aber anschliessen:

"Angesichts dessen erstaunt die Wut, die die bloße Ankündigung eines Verlags, ein paar Details in einem Kinderbuch zu verändern, ausgelöst hat. In der Verbissenheit, mit der mache an Begriffen wie "Neger" festhalten wollen, scheint eine seltsame Sehnsucht nach der vermeintlich "guten alten Zeit" durch, als man solche Worte noch ungehemmt verwenden durfte. Man sollte bei solch unkritischer Nostalgie aber nicht vergessen, dass unverheiratete Frauen damals auch noch "Fräulein" genannt wurden, Abtreibungen verboten und Altnazis noch überall in Amt und Würden waren."

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Südseekönig
im taz artikel steht auch: "Pippis Vater etwa wird nun als „Südseekönig“ bezeichnet, der die „Taka-Tuka-Sprache“ spricht".
ich finde daran wird deutlich, dass es mit pc-sprache allein nicht getan ist. Paul Mecheril hat mal dazu gesagt "aus raider wird jetzt twix, sonst ändert sich nix". die rassistische bezeichnung im Kinderbuch kommt nicht mehr vor, dass ist ein schritt in die richtige richtung. das kolonial-rassistische Muster dahinter bleibt erhalten. ein weißer könig, der die zu anderen gemachten "taka-tuka"-Bewohner_innen regiert und dessen weiße Tochter mal vorbei kommt um den Kindern lesen und schreiben bei zu bringen. klingt für mich nach einer klassischen kolonialen struktur. und die bezeichnung taka-tuka klingt für mich auch irgendwie nach exotismus-phantasie.

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Kann ich nur zustimmen. Das Auswechseln von Begriffen kann Verletzungen verringern, aber es ändert den zugrundeliegenden Rassismus (fast) nicht. Deswegen ist Begriffskritik zwar wichtig, entscheidender ist es aber, die gesellschaftliche Wahrnehmung von Rassismus zu verändern.

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Ich habe damit noch ein ganz anderes Problem, dass ich in der ganzen Diskussion rundum vermisse:

Was ist mit dem Urheberpersönlichkeitsrecht, das dieser Eingriff verletzt?
(Ja, wieder die Keule Urheberrecht - ich bitte zu bedenken, dass sich das Urheberpersönlichkeitsrecht nicht auf die Nutzungsrechte beziehen, die ich in ihrer aktuellen Form nicht befürworte; die Urheberpersönlichkeitsrechte indes sind unveräußerlich und vollkommen entkoppelt von den Nutzungsrechten, die sich beispielsweise auf Verlage übertragen lassen. Ihre Missachtung ist strafbar.)

Ich halte es für viel wichtiger, seinen Kindern gewisse Teile der Welt zu erklären und vorzuleben, anstatt die Arbeit, die damit verbunden ist, auf andere zu übertragen und sich darauf zu verlassen, dass so schon alles gut wird.

Ich kann Ihre Argumentation nachvollziehen, dass manches Vokabular unbelastet bei nicht vorbelasteten Kindern ankommt - ich halte es aber schlicht für den falschen Weg, Geschichte "schönzuschreiben" - Geschichte muss erklärt werden. Sonst kann sie sich nicht in positiver Hinsicht in der Gesellschaft niederschlagen.

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Es geht mir ganz und gar nicht darum, Geschichte schön zu schreiben.

Es geht darum, mit welchen Geschichten, Bildern und Worten Kinder die Welt kennenlernen. Da sollte die Auswahl der Kinderbücher sehr vorsichtig vonstatten gehen. Am besten wäre es natürlich gar keine Heterosexismus, Rassismus, Klassismus, Ablismus, etc. reproduzierenden Bücher vorzulesen. Dann blieben allerdings sehr wenige bis gar keine übrig. Da mit den vorhanden umgegangen werden muss, sollte diese zumindest in ihren krassesten Reproduktionen abgemildert werden. Dabei werden sprachliche Veränderungen von den Verlagen sicher nur dann vorgenommen, wenn die Inhaber_innen des Urheber_innenrechts diesem zustimmen (siehe den ganz oben verlinkten Artikel).

In der Debatte kommen die Ebenen völlig durcheinander. Ich schreibe hier ausschliesslich über Bücher, die Kindern, die noch nicht kritisch-historische Auseinandersetzungen machen können, vorgelesen werden oder die diese Kinder selber lesen.

Und einmal ganz platt: Schwarze Kinder in Deutschland sollen die Möglichkeit haben, Kinderbücher zu lesen oder vorgelesen zu bekommen, ohne ständig mit dem Rassismus konfrontiert zu werden, mit dem sie sonst schon häufig genug konfrontiert werden.

Warum soll die kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit Rassismus gerade durch Kinderbücher geschehen?

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