Mittwoch, 8. Juni 2011
Mehrsprachigkeit
Die Journalistin Kathrin Zeiske hat mir folgendes Bild zugeschickt:

Mehrsprachige Ansprache von potentiellen Dieb_innen


und schreibt dazu:

"Ich hab bei Kaisers im Auerberg in Bonn ein unglaubliches Plakat entdeckt. Darauf wird am Eingang dargelegt, dass es wegen sonstigen Sicherungsvorkehrungen sinnlos wäre, das Geschäft zu überfallen. Da sich Kaisers oder das beauftragte Sicherheitsunternehmen Vollmergruppe aber anscheinend unsicher waren, ob sie damit die von ihnen ausgemachte, potentielle Zielgruppe überhaupt erreichen, steht das ganze dann noch mal in vier weiteren Sprachen da; meinem laienhaften Verständnis nach Polnisch, Russisch, Rumänisch und Türkisch. Vorausgesetzt scheint also, dass mögliche Räuber_innen wohl eher nicht (fliessend) Deutsch sprechen. Wie die Auswahl der Sprachen zustande kommt, wäre interessant zu erfahren; ob da irgendwelche dubiosen Statistiken herangezogen werden oder ob diese eher einem rassistischen "Bauchgefühl" oder "Allgemeinwissen" entspricht, welche "Verbrechersprachen" da nun noch stehen sollten, damit das ganze Plakat auch Sinn macht. Es sind ja nun mal nicht die gängigen weltweiten Verkehrssprachen, Englisch, Französich, Spanisch, oder so. Darüber hinaus bezweifle ich, dass irgendwo in dem Geschäft auch noch irgendetwas anderes netterweise in andere Sprachen übersetzt steht: "heute im Angebot: Erdbeeren aus der Region" oder "die Leergutannahme befindet sich im hinteren Teil des Ladens"."

Auf ihre Rundmail hat sie erfahren, dass mindestens eine weitere Kaisers-Fililale in Bonn ein solches Plakat aufgehäng hat und das es auch bei Aldi Nord in Leipzig ähnliche Plakate gibt.

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Hallo Urmila, als ich bei der Staatsanwaltschaft Bonn im Jugenddezernat war, betrafen ueberdurchschnittlich viele Faelle Jugendliche, die russisch als erste Sprache gelernt hatten oder tuerkisch als Sprache zu Hause. Diese Sprachkategorien waren wichtig, weil man/frau waehrend einer Gerichtsverhandlung einen Dolmetscher verlangen darf, wenn man/frau Deutsch nicht fliessend beherrscht.
Ist recht einfach, sich ueber so ein (zugegeben nicht besonders erfreuliches) Plakat zu empoeren, aber es waere nicht nur "interessant", sondern notwendig gewesen, den Hintergrund der Auswahl der Sprachen herauszufinden. VG

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Eine der Fragen ist
doch in diesem Fall: warum werden vermutete Verbrecher_innen in ihren vermuteten Herkunftssprachen angesprochen, aber die Kund_innen werden nur in Deutsch angesprochen.

Wann wird weshalb welche Mehrsprachigkeit genutzt? Welche Sprachen werden mit Verbrechen in Verbindung gebracht? Welche Sprachen mit einem Willkommen? Welche Kollektivierungen und Zuschreibungen liegen dem zugrunde?

Wenn alle Beschriftungen in der Filiale in diesen Sprachen mehrsprachig wären, dann wäre das Plakat keine Rassismusreproduktion. Da aber die Erdbeeren nicht in russisch/türkisch/etc. beworben werden, liegt es nahe zu vermuten, dass russisch/türkisch/etc. sprechende Menschen nur als Verbrecher_innen aber nicht als Kund_innen adressiert werden.

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Es ist ja hier offensichtlich, welche Sprachen mit Verbrechen in Vergehen in Verbindung gebracht werden. In der Tat ist die Frage, weshalb das so ist. Tumber Rassismus oder unerfreuliche Erfahrungen in der Vergangenheit (deshalb auch das Beispiel von der StA)? Vielleicht kaufen in dem Supermarkt hauptsaechlich Deutsche ein?

Deine Kollegin haette mal nachfragen sollen, aber da waeren vielleicht unerfreuliche Antworten rausgekommen. Sich von ihrer Seite einfach nur aufzuregen ueber das "unglaubliche" Plakat finde ich nicht hilfreich und lenkt meiner Meinung nach ab von den zahlreichen wirklichen Faellen, in denen man/frau auf Rassismus stoesst. VG

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Das ist
eine klare Rassismusreproduktion: Verbrecher_innen sind empirisch ausländisch - Kund_innen sind wahrscheinlich Deutsche.

Wenn Sie nicht gewillt sind, sich mit den subtilen Mechanismen des Rassismus auseinanderzusetzen, sondern immer nur wieder behaupten wollen, dass 'die' (zu denen ich übrigens auch gehöre) eher Verbrecher_innen als Kund_innen sind, dann erübrigt sich eine Diskussion in diesem Blog.

Wenn Sie aufmerksam gelesen hätten, hätten sie sehen können, dass weder die Journalistin noch ich behaupten, es gebe keine Verbrecher_innen, die eine andere Sprache als Deutsch sprechen.

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Wer sind ueberhaupt "die"? Menschen mit dunkler Hautfarbe? Auslaendischen Eltern? Einer anderen Sprache als Deutsch als Muttersprache? Trifft alles auf mich zu. Ich hab niemals behauptet, dass "die (oder sollte ich sagen "wir") eher "Verbrecher_innen als Kund_innen" sind, aber so kann man/frau das Gegenueber in einem Gespraech natuerlich auch mundtot machen. Smart move.

Hab's verstanden und werde nur noch posten, wenn wir einer Meinung sind. Ist ja Dein Blog. Viele Gruesse

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Die Rassismusreproduktion
kommt durch das Annehmen, dass dem mehrsprachigen Hinweis für Verbrecher_innen "unerfreuliche Erfahrungen in der Vergangenheit " zugrundeliegen könnten, während die Abwesenheit von mehrsprachigen Schildern im Laden mit der Vermutung "Vielleicht kaufen in dem Supermarkt hauptsaechlich Deutsche ein?" gerechtfertigt wird. In diesen beiden Vermutungen steckt die implizite Annahme, dass Menschen mit diesen Sprachen eher Verbrecher_innen als Kund_innen sind. Das scheint auch die Logik des Supermarkts und genau das war in dem Blogpost kritisiert worden.

Dieser Blog bietet aus einer bestimmten theoretischen Verortung Analysen von alltäglichem Rassismus an. Das ist ein Angebot an die Leser_innen, aber nicht die Behauptung einer Wahrheit. Niemand muss meinen Blog lesen, aber ich muss die Kommentare alle lesen. Daher nehme ich mir das Recht heraus, zu entscheiden, wann für mich eine Diskussion produktiv ist (mich im Denken weiterbringt) und wann es eine Diskussion ist, bei der es zu wenig gemeinsame Grundlage und/oder analytisches Interesse gibt, damit sie produktiv werden kann. Außerdem halte ich es für meine Verantwortung Rassismusreproduktionen (aus meinem theoretischen Verständnis) in den Kommentaren zu thematisieren.

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Aldi Süd/Frankfurt
In einer Aldi Süd-Filiale in Frankfurt (Main) ist mir Ähnliches aufgefallen: Dort sind die Einkaufswagen mit einem automatischen Blockierungssystem ausgestattet, das die Räder blockiert, sobald man zu nah an die Türen des Supermarktes kommt. Damit soll, so steht es auf einem Plakat, der Diebstahl von Einkaufswagen verhindert werden. Besagtes Plakat hängt dort einmal auf Deutsch - und einmal auf (- so glaube ich zu erkennen -) Polnisch.

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