Montag, 4. April 2011
Integration durch Radfahren
urmila, 00:25h
Alternative Verkehrspolitik ist mir ein wichtiges Anliegen. Die Förderung von Radverkehr finde ich höchst wichtig, aber den aktuellen Vorstoss des ADFC finde ich mehr als seltsam. Die aktuelle radzeit (als pdf) des ADFC steht unter dem Titel Migration (via taz). Im Artikel "Migrant such Fahrrad" versucht Chefredakteurin Kerstin Finkelstein das Schwerpunktthema zu motivieren und stellt seltsame Thesen auf:
"Die große Mehrheit der russischen, arabischen
und türkischen Migranten fährt nicht Rad und hat auch nicht vor, das in naher Zukunft zu ändern."
"Da sich Stadtplanung im besten Falle an den Wünschen und Bedürfnissen der Bewohner orientiert, wäre es für uns Radler äußerst förderlich, auch die Berliner mit ausländischen Wurzeln fürs Fahrrad zu begeistern."
"Warum also nicht mal ein wenig größer denken? Immerhin werden alle neu in Deutschland einwandernden Menschen in „Integrationskursen“ ganze 645 Stunden geschult. Neben der deutschen Sprache werden dort die Grundzüge unseres politischen und wirtschaftlichen Systems gelehrt. Warum eigentlich nicht auch Radfahren? Schließlich ist Radfahren höchst integrativ"
"Radfahren fördert Partizipation und damit Integration
– auch Kinder aus wirtschaftlich schwachen (Migranten-)Familien, deren Eltern nicht Rad fahren, werden so vor dem Ausschluss aus der Gesellschaft bewahrt, ihr Bewegungsradius erweitert sich, das fördert Neugierde und Bildung."
Vielleicht ist der Artikel ja eine Glosse und alles ist witzig gemeint? Dann wäre der aktuelle Integrationssprech vielleicht schön in seiner Absurdität vorgeführt. Aber irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass es ums Parodieren geht. Ich glaube es geht tatsächlich drum, dass die 'Migrant_innen' nicht Radfahren und es ihre Integration fördern würde, täten sie es.
Bin ich gut integriert, weil ich radfahre? (Oder bin ich keine 'Migrantin', weil ich radfahre?) Bis jetzt hatte ich das Gefühl nicht. Radfahren fand ich bisher immer, grenzt mich von der Dominanzgesellschaft aus. Den diese definiert sich, soweit ich das sehen kann, als Autogesellschaft.
Welche Verbindungen werden hier weshalb gezogen?
"Die große Mehrheit der russischen, arabischen
und türkischen Migranten fährt nicht Rad und hat auch nicht vor, das in naher Zukunft zu ändern."
"Da sich Stadtplanung im besten Falle an den Wünschen und Bedürfnissen der Bewohner orientiert, wäre es für uns Radler äußerst förderlich, auch die Berliner mit ausländischen Wurzeln fürs Fahrrad zu begeistern."
"Warum also nicht mal ein wenig größer denken? Immerhin werden alle neu in Deutschland einwandernden Menschen in „Integrationskursen“ ganze 645 Stunden geschult. Neben der deutschen Sprache werden dort die Grundzüge unseres politischen und wirtschaftlichen Systems gelehrt. Warum eigentlich nicht auch Radfahren? Schließlich ist Radfahren höchst integrativ"
"Radfahren fördert Partizipation und damit Integration
– auch Kinder aus wirtschaftlich schwachen (Migranten-)Familien, deren Eltern nicht Rad fahren, werden so vor dem Ausschluss aus der Gesellschaft bewahrt, ihr Bewegungsradius erweitert sich, das fördert Neugierde und Bildung."
Vielleicht ist der Artikel ja eine Glosse und alles ist witzig gemeint? Dann wäre der aktuelle Integrationssprech vielleicht schön in seiner Absurdität vorgeführt. Aber irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass es ums Parodieren geht. Ich glaube es geht tatsächlich drum, dass die 'Migrant_innen' nicht Radfahren und es ihre Integration fördern würde, täten sie es.
Bin ich gut integriert, weil ich radfahre? (Oder bin ich keine 'Migrantin', weil ich radfahre?) Bis jetzt hatte ich das Gefühl nicht. Radfahren fand ich bisher immer, grenzt mich von der Dominanzgesellschaft aus. Den diese definiert sich, soweit ich das sehen kann, als Autogesellschaft.
Welche Verbindungen werden hier weshalb gezogen?
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kiturak,
Montag, 4. April 2011, 12:01
"tofu is a class issue"?
Hehe, eine echte Migrantin würde natürlich nicht Fahrrad fahren.
Ich finde auch nicht, dass das Ganze ironisch klingt.
Ich habe neulich diesen Artikel gelesen, It's not "them" — it's us! auf Class Matters, der im Grunde (unter anderem) aussagt, vieles an alternativer Kultur seien Merkmale der "professional middle-class identity",
"Radfahren gilt als arm und unsexy", wie im radzeit-Artikel behauptet, erinnert mich in der Hinsicht an die Kritik an (freiwillig) barfußlaufenden Hippies und ähnlichen "reichen Kindern".
Ich bin nicht ganz sicher, was ich von der ganzen Sache halten soll, gerade wegen der Essentialisierung (hier in klassistischer Hinsicht, "working-class people" sind halt nicht alternativ). Ich habe aber tatsächlich den Eindruck, dass viele Subkulturen nicht gerade inklusiv sind, weiß dominiert, von materiell privilegierten Menschen dominiert, ... und das Radfahren könnte ein Teil davon sein, gerade als Teil von Freizeitkultur, Radtouren in den Grunewald oder nach Tibet, all das.
Selbst wenn, ist nur in jedem Fall wieder typisch, aus dieser Richtung garnicht zu fragen, und statt dessen ausgegrenzten Menschen die Schuld an ihrer Ausgrenzung in die Schuhe zu schieben, mit untrüglichem Sinn für bestimmt irgendwo vorhandene Unterschiede zwischen "Migrant_innen" und Weißen Deutschen, und dagegen eine Art patronisierende Entwicklungshilfe vorzuschlagen.
Nachtrag: Im Sinn des Artikels wäre Radfahren somit eine "inessential weirdness". Heh.
Ich finde auch nicht, dass das Ganze ironisch klingt.
Ich habe neulich diesen Artikel gelesen, It's not "them" — it's us! auf Class Matters, der im Grunde (unter anderem) aussagt, vieles an alternativer Kultur seien Merkmale der "professional middle-class identity",
Bohemian lifestyles and voluntary simplicity have a long, honored history in middle-class culture, and it's time we recognized our counterculture impulses as part of our professional-middle-class identityund hätten Potential, Menschen aus der Arbeiterklasse auszugrenzen.
"Radfahren gilt als arm und unsexy", wie im radzeit-Artikel behauptet, erinnert mich in der Hinsicht an die Kritik an (freiwillig) barfußlaufenden Hippies und ähnlichen "reichen Kindern".
Ich bin nicht ganz sicher, was ich von der ganzen Sache halten soll, gerade wegen der Essentialisierung (hier in klassistischer Hinsicht, "working-class people" sind halt nicht alternativ). Ich habe aber tatsächlich den Eindruck, dass viele Subkulturen nicht gerade inklusiv sind, weiß dominiert, von materiell privilegierten Menschen dominiert, ... und das Radfahren könnte ein Teil davon sein, gerade als Teil von Freizeitkultur, Radtouren in den Grunewald oder nach Tibet, all das.
Selbst wenn, ist nur in jedem Fall wieder typisch, aus dieser Richtung garnicht zu fragen, und statt dessen ausgegrenzten Menschen die Schuld an ihrer Ausgrenzung in die Schuhe zu schieben, mit untrüglichem Sinn für bestimmt irgendwo vorhandene Unterschiede zwischen "Migrant_innen" und Weißen Deutschen, und dagegen eine Art patronisierende Entwicklungshilfe vorzuschlagen.
Nachtrag: Im Sinn des Artikels wäre Radfahren somit eine "inessential weirdness". Heh.
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dija,
Mittwoch, 6. April 2011, 14:27
das nächste mal wenn ich mich diskriminiert fühle, dann steig ich einfach aufs fahrrad und fahr den/die rassisten/in, d.h. intergrationsverweigerer, um :) so muss die das gemeint haben, anders ergibt es keinen sinn für mich...
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damals,
Donnerstag, 7. April 2011, 01:08
Eigentlich ist es doch schön, wenn sich die Leute in ihrem eigenen Schwachsinn verheddern - und ihre kleinkarierten Schubladen völlig durcheinanderkriegen, wenn Sie als Migrantin vorbeiradeln. Aber bitte vergessen Sie bei der Gelegenheit das Kopftuch nicht, liebe Urmila, denn sonst werden Sie als Radfahrerin mit Migrationshintergrund wahrscheinlich demnächst als dominanzdeutsch abgestempelt oder zumindest als middle-class (früher hieß der Schimpfbegriff dazu "kleinbürgerlich").
Ach, wenn wir unsere Klischees nicht mehr hätten - dann hätten wir gar nichts mehr zu lachen.
Ach, wenn wir unsere Klischees nicht mehr hätten - dann hätten wir gar nichts mehr zu lachen.
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