Donnerstag, 13. Januar 2011
Geschichten über Aussiedler_innen
tagesschau.de interviewt Reiner Klingholz zu Aussiedler_innen. In dem Interview werden einige steile Thesen aufgestellt:

"Der Experte Klingholz erklärt im Interview mit tagesschau.de, warum die Integration der Aussiedler eine Erfolgsgeschichte ist."

Mit Aussiedler_innen habe ich mich noch nicht schwerpunktmässig auseinandergesetzt, aber diese Aussage finde ich überraschend. Zum einen, weil es mal eben eine recht große Gruppe homongenisiert, was nie funktionieren kann. Zum anderen, weil ab und zu Aussiedler_innen auch als Problem gehandelt werden. Zum Beispiel in Marzahn, wo sie die größte Einwanderergruppe stellen. Im Interview wird dann später auch klar, dass die migrierenden Erwachsenen erhebliche Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben und weit unter ihrer Qualifikation arbeiten müssen, was sie wahrscheinlich nicht als Erfolg bewerten. Auch das Bild der "kriminellen Aussiedler" wird angesprochen. Da macht Klingholz dann eine deutschtümelnde Unterscheidung:

"In Städten wie Berlin gibt es da eine gewisse Häufung von Kriminellen mit russischem Hintergrund. Aber da werden oft Russlanddeutsche und Russen verwechselt. Es gibt ja auch viele Russen und Ukrainer, die eingewandert sind, ohne deutsche Vorfahren zu haben."

Mit Deutschtümmelei und rassistischen Ausgrenzungsmechanismen hat es sicher zu tun, wenn Aussiedler_innen weniger als Problem angesehen werden. Das spricht Klingholz implizit an, wenn er von phänotypischer rassistischer Zuschreibungspraxis spricht:

"Hinzu kommt, dass sie nicht deutlich anders aussehen als die "Einheimischen". Sie gehen also insgesamt stärker in der Gesellschaft auf."

und explizit, wenn er von gesetzlichen Rahmenbedingungen spricht:

"Sobald sie einen Fuß nach Deutschland gesetzt haben, bekommen sie einen deutschen Pass. Das erleichtert ihre Integration massiv. Sie bekommen zudem Vergünstigungen wie Integrations- und Deutschkurse, mehr als alle anderen. Das spricht nicht gegen die Aussiedler – sondern gegen die Integrationspolitik. Das zeigt, dass man bei anderen Gruppen auch etwas erreichen könnte, wenn man wollte."

Zeigt aber deutlich, dass er keinen rassismuskritischen Zugang hat, wenn er behauptet:

"Es dauert generell immer eine Weile, bis sich Integration in Assimilation gewandelt hat."

Assimilieren können sich nur die, die nicht klar als andere markiert sind. Mit gewissen physiognomischen Merkmalen ist das in Deutschland unmöglich, egal wie sehr mensch sich bemüht.

In seiner Differenzierung von Aussiedlerinnen und Türkinnen reproduziert Klingholz auch antimuslimischen Rassismus:

"Die Erwerbsquote ist aber sehr hoch [bei den Aussiedlerinnen]. Unter den türkischstämmigen Einwanderern sind die Frauen oft zu Hause, weil das teilweise kulturell erwünscht ist."

Wenn wir uns die Migrationsgeschichte in die BRD ansehen, fällt auf, dass viele türkische (und andere) Gastarbeiterinnen gekommen sind, um in den Fabriken zu schuften. Wenn sie heute keine Arbeit mehr haben, liegt das weniger an ihrem Wollen (oder ihrer Kultur), als an den Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt. Frauen und 'Ausländer_innen' und ungelernte Arbeiter_innen (und Kombinationen hiervon noch mehr) erfüllen Pufferfunktionen auf den Arbeitsmarkt, sie werden als erste entlassen, wenn es eng wird. - Es scheint so, als ob Aussiedler_innen weiter oben in der Rangordnung stehen, auch wenn ihr Platz durchaus prekär ist.

Zum Schluß noch ein Kommentar zu einer weiteren steilen These:

"Dass nichts über Aussiedler in der Zeitung steht, ist ein gutes Zeichen. Die Normalität interessiert ja oft keinen. Wenn es schiefläuft, wird es zum Thema."

Als ob alle Gruppen, die Ausgrenzungen erfahren, in den Medien auftauchen. Roma und Sinti findet mensch da selten. Über Illegalisierte und Menschen in Abschiebehaft wird höchst selten berichtet. Transmenschen und Intersex haben so gut wie gar keine Öffentlichkeit. Um nur ein paar Beispiele zu nenen von Gruppen, für die sich niemand interessiert und die daher auch nicht in den Medien auftauchen.

Dass über Aussiedler_innen wenig zu lesen gibt, mag auch damit zusammenhängen, dass wir das Bild aufrecht erhalten wollen, dass wir 'Deutschen' gut miteinander auskommen.

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Ein gutes Beisiel fuer die Paarung aus Kettenhund und Zivilisation, die schon fuer den deutschen Diskurs um die 'anderen' im 19. Jahrhundert typisch war, man merkt ihm deutlich an, etwa in Bemerkungen wie

"Außerdem hatte Bildung in den Herkunftsländern der Aussiedler einen hohen Stellenwert."

dass er ein lupenreiner Rassist ist, aber er bekommt am Ende immer wieder die Kurve, indem er selbst seinen Rassismus in 'gute' Forderungen nach mehr 'Integrationsmassnahmen' etc. umdeutet und am Ende, quasi um einen guten Eindruck zu hinterlassen, noch die USA anfuehrt. Vielleicht noch das:

"Von ihren Kindern haben sie aber in punkto Bildung mehr erwartet als es die ungelernte Gastarbeiter-Einwanderer aus ärmlichen Regionen in Anatolien oder Jugoslawien jemals konnten."

das beisst sich in goettlicher Weise mit einer juengeren Studie der Uni Bamberg, die es problematisierte, dass ehemalige Gastarbeiter-Eltern aus 'Anatolien' im allgemeinen zu HOHE Erwartungen an den Bildungserfolg ihrer Kinder haetten und darin 'regelmaessig enttaeuscht' wuerden. Diese Diskurse, die der Minderheit jede Art von Haltung und Handlung ankreiden ohne Moeglichkeit eines Ausbruchs werden aber in Deutschland immer so bestehen, solange die Minderheiten sich nicht wirksam in Form von Gegendiskursen organisieren, daran aendert auch die taz nur sehr wenig.

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