Samstag, 11. Juni 2011
Diskussion zu Post-Privacy
Der Freitag diskutiert mit Kübra Gümüsay und Christian Heller über Post-Privacy. Für mich der erste Text, den ich dazu gelesen habe (auch wenn mir bewusst ist, dass es da schon einiges an Diskussionen gibt - mein Beitrag hier mag aufgrund meiner Ignoranz der Debatten naiv sein).

Ich stimme mit Heller vollkommen darüber ein, dass wir unsere Daten nicht (vollständig) kontrollieren können. Dinge, die in die Welt gesetzt wurden, entwickeln ihr Eigenleben, das nicht mehr völlig kontrolliert werden kann (das hat schon Dürrenmatt in Die Physiker beschrieben). Mit dieser Unmöglichkeit der Kontrolle müssen wir uns auseinandersetzen und nicht verzweifelt versuchen, die Kontrolle wieder völlig herzustellen. So weit kann ich folgen.

Aber die Beiträge Hellers in der Freitags-Diskussion wirken auf mich dann doch zu platt. Ich bekomme den Eindruck, dass es nur völlige Kontrolle oder gar keine Kontrolle geben kann (und letzteres die 'Wahrheit' ist). Das ist mir zu dichotom. Ja, ich kann nicht alles kontrollieren, aber ich finde schon, dass ich verantwortlich mit Daten umgehen sollte (siehe auch mein Beitrag zu Sozialen Medien und Berichterstattung) - was auch Heller macht, wenn er die Treffen mit Leuten nicht ohne deren Einwilligung veröffentlicht. Ich kann nicht verhindern, dass Daten/Informationen aus meiner Kontrolle geraten, aber ich kann die Wahrscheinlichkeit beeinflussen mit der dies geschieht. Auch mit einer geringen Wahrscheinlichkeit kann das Ereignis eintreten und das muss ich wissen, aber trotzdem kann das absichtsvolle Herbeiführen einer geringen Wahrscheinlichkeit des 'Kontrollverlusts' einen (unsicheren aber wahrscheinlichen) Schutz bieten. Und das ist wichtig, wenn mir oder anderen durch die Daten/Informationen Verletzungen drohen.

Zu argumentieren (und so verstehe ich Heller in der Freitags-Diskussion), dass sowieso alles herauskommt und die Offenheit auch die beste Grundlage für eine Gesellschaft ist, ignoriert für mich die real existierenden Machtverhältnisse in der Gesellschaft. Für manche ist es gefährlicher als für andere, wenn Privates öffentlicht wird (das hängt von verschiedensten Faktoren ab). Ich glaube auch nicht, dass Outings von 'Homosexuellen' die Toleranz gegenüber 'ihnen' vergrößert haben. Mehr geselleschaftliche Anerkennung ist über Kämpfe um Anerkennung gekommen und nicht einfach durch Outings. Outings können für Einzelne nach wie vor auch gefährlich werden. Ausserdem ist es Menschen unterschiedlich möglich, Informationen über sich selbst zu schützen (je reicher und mächtiger, um so besser lassen sich Daten schützen). Ich glaube daher nicht dran, dass durch Offenheit im Netz eine egalitäre Welt geschaffen werden kann.

In Hellers Aussagen hat mir eine Reflexion dieser Machtverhältnisse und der Konsequenzen für die Post-Privacy-Debatte gefehlt und deshalb stimme ich Gümüsay auch völlig zu, wenn sie sagt:

"Herr Heller, ich finde, dass Ihre Perspektive die eines Menschen ist, der vielen Normen entspricht. Aus der Position von jemandem, der eine Minderheitenrolle einnimmt, sehe ich viele Gefahren in Ihrer Idee der „Post-Privacy“. Ich fürchte, dass die Ausgegrenzten noch stärker ausgegrenzt werden. Die ganze Post- Privacy-Debatte ist sehr weiß, männlich und akademisch."

Und an den Freitag muss die Frage gestellt werden, warum werden ein Vertreter von Post-Privacy und eine 'Kopftuchträgerin' für diese Diskussion zusammen gebracht? Welche Annahmen stecken hinter dieser Zusammenstellung von Diskutant_innen?

Dank an katunia für die Diskussion zum Artikel.

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