Dienstag, 10. September 2024
Feldforschung: Tag 2
Warme Theke in der Fleischerei.


Der Chef hat gestern gesagt, ich soll zuschauen und abschauen, als ich meinte, ich wolle nicht nur beobachten, sondern auch arbeiten. Und das funktioniert auch. Zum Teil gibt mir die Azubis Aufgaben. Heute habe ich die Antipasti-Platten schon eigenständig machen können. Wurst- und Käseplatten sind aber weit jenseits meines Könnens. Zum anderen beobachte ich, was die anderen machen, was zu machen ist und versuche das dann auch zu machen. Klappt nicht immer, aber immer öfter. Als es heute ganz stressig war, weil nicht genug Leute zum Bedienen da waren, und ich untätig in der Gegend rumstand, habe ich einfach angefangen, auch an der warmen Theke bedient. Nur für das Bezahlen brauchte ich Hilfe von den Kolleg_innen.

Bei meinem letzten Feldaufenthalt im Juli hatte der Chef die* asiatische Azubi auch genau dafür gelobt, dass si*er zuschaut, versteht, was wie gemacht wird, und es dann selbständig tut.

Heute von 7 Uhr bis 18 Uhr in der Fleischerei gewesen. Da war meine Aufmerksamkeit nachmittags dann doch eher eingeschränkt gewesen. Also, jetzt wieder ins Bett.

0 Kommentare in: feldforschung   ... comment ... link


Montag, 9. September 2024
Felforschung in der Fleischerei: Tag 1
Mozarella-Tomaten-Platte


Handwerkliche Fleischereien in Deutschland werben Auszubildende aus Asien an. Das fand ich spannend und habe ein kleines Forschungsprojekt begonnen. Im März habe ich einige Fleischereien, die Gewerbeschule und die Handwerkskammer besucht.

Jetzt mache ich für eine Woche ein Praktikum in einer Fleischerei. Eine* der asiatischen Azubis lernt mich an. Ich durfte verschiedene Antipasti-Platten anrichten. Und ganz viel Gemüsse schnippeln für Salate. Ich habe sogar schon Kund_innen an der Salattheke bedient (ohne Abkassieren). Und versuche auch sonst hilfreich zu sein und nicht nur blöd in der Gegend rumzustehen.

8.00 bis 18.15 Uhr Arbeitstag (mit Pausen) ist ganz schön ungewohnt für mich. Morgen soll es schon um 7.00 Uhr losgehen. Ich muss dringend ins Bett.

0 Kommentare in: feldforschung   ... comment ... link


Freitag, 5. Juli 2024
Ausstellung: Die fünfte Wand
Jetzt in Berlin: Eine Ausstellung zum Werk der Journalistin Navina Sundaram.

Die fünfte Wand

0 Kommentare in: (post)kolonial   ... comment ... link


Sonntag, 26. Mai 2024
Deutschland den Deutschen
Blick aus dem Fenster


Ich sitze in meinem Sessel und bereite mich auf die Lehre nächste Woche vor. Die Balkontür ist auf. Draussen scheint die Sonne, Vögel zwitschern, es ist friedlich. Joggende kommen vorbei. Weiße T-Shirts sehe ich durch die Bäume. Und ich höre Gesang: "Deutschland den Deutschen. Ausländer raus." Einfach so. Nicht besonders aggressiv. Als wäre es was ganz Normales zu singen. So wie auf dem Video aus Sylt. Bis ich auf aufgestanden bin und auf dem Balkon stehe, sind die Joggenden schon weg. Haben auch gleich wieder aufgehört zu singen. Ich stehe da und bin völlig ratlos. Und erschrocken. Und überfordert. Ich gehe rein und bereite weiter meine Lehre vor.

0 Kommentare in: rassistisch   ... comment ... link


Sonntag, 21. April 2024
Incel Terror
Vor gut einer Woche gab es in Sydney eine Messerattacke mit sechs Toten. Die Polizei teilte mit: "Es gibt nichts, das bisher auf irgendein Motiv oder eine Ideologie hindeutet.". Wenige Tage später wurde klar, dass der Täter explizit Frauen ermordet hat und frustriert war, weil er keine Freundin hatte. Das hört sich sehr nach Incel an. Und von Incels gab es schon mehrfach tödliche Angriffe auf Frauen. Die meist aber nicht als Terror eingestuft werden. In der taz weist Carolina Schwarz darauf hin, das auch Femizid als Terror wahrgenommen werden sollte:

"Doch wie kann man ein gezieltes Töten von Frauen erkennen und gleichzeitig ein ideologisches Motiv ausschließen? Hinter so einer Aussage steckt Unwissen oder beabsichtigtes Wegschauen. Zumindest macht es die Gefahr, unter der Frauen tagtäglich leben müssen, unsichtbar: Denn Misogynie ist kein Einzelphänomen, sondern eine Struktur, die sich durch alle Bereiche der Gesellschaft zieht."

0 Kommentare in: femizid   ... comment ... link


Donnerstag, 21. März 2024
Post-Covid
Es scheint so, als ob Corona Geschichte sei. Kaum eine_r kümmert sich noch drum. Wer Maske trägt, fällt auf und stösst auf viel Unverständnis. Die die unter den Folgen von Corona leiden, fallen viel weniger auf. Denn wenn sie Post/Long-Covid haben, dann treffen wir sie kaum noch im Arbeitsalltag. So war es auch mit eine_r Freund_in von mir. Ich hatte lange nichts von ihr_ihm gehört. Aber das passiert bei vielbeschäftigten Wissenschaftler_innen ja schnell mal. Als ich dann auf eine Email eine Abwesensheitsnotiz mit unbestimmten Ende bekam, wurde ich stutzig. Ich versuchte es Monate später nochmal mit Whatsapp und bekam nun eine Antwort. Zu dem Zeitpunkt war die_der Freund_in bereits 10 Monate krank geschrieben. Inzwischen sind es über 12 Monate. Nach der Erkrankung hatte si_er noch ein halbes Jahr weitergearbeitet bis es gar nicht mehr ging. Und jetzt geht schon eine ganze Weile nichts mehr, zumindest nicht beruflich. Die Aufgaben eine_r Professor_in kann si_er gerade überhaupt nicht erfüllen. Den Alltag bekomt si_er einigermassen hin. Eins zu eins gehen auch Gespräche gut. Bei mehr Personen wird es schwierig. Nicht die besten Vorraussetzungen für ein_e Wissenschaftler_in. Ich trage weiterhin Maske.

0 Kommentare in: corona   ... comment ... link


Donnerstag, 21. Dezember 2023
Zur Bedeutung von Navina Sundaram
Vor zwanzig Jahren erzählte mir meine Studentin Navina Khatib, dass sie nach Navina Sundaram benannt worden war. Als ich im Sommer 2023 an einem Text für das Online-Dossier für „Die fünfte Wand“ saß, musste ich daran wieder denken, und daran, wie meine Kollegin Sonja Hegasy bei unserem Fellowship in Delhi in das digitale Archiv gezogen worden war und sich unendlich viele Filme anschaute. Navina Sundaram hat ganz offensichtlich für verschiedene Menschen eine große Bedeutung. Dem wollte ich weiter nachgehen und machte mich auf die Suche nach Personen, die mit Navina Sundaram auf den Bildschirm aufgewachsen sind oder aber nach ihr benannt wurden. Von Sonja wusste ich es schon, bei Nisa Punnamparambil-Wolf hatte ich es mir gedacht und Nadja-Christina Schneider hatte mir kürzlich erzählt, dass sie ihre Tochter nach Sundaram benannt hatte. Meine Studentin war also nicht die Einzige.

Als ich von meiner Idee sprach, gaben mir die Kuratorinnen von „Die fünfte Wand“ Einsicht in unveröffentlichte Korrespondenz von Sundaram. Es war ein Stapel von Briefen junger Eltern, die ihre Töchter Navina nennen wollten, an die Journalistin. Einige brauchten einen Nachweis für das Standesamt, dass dieser Name existierte. Sundaram schickte ihnen eine Kopie ihres Passes. Die meisten aber fragten nach der Bedeutung des Namens. Sundaram erklärte immer wieder, dass dieser von dem männlichen Vornamen Navin stamme, der neu bedeute, und schrieb zum Teil auch, dass ihr Großvater mit dem Zufügen des A am Ende des Namens einen weiblichen Namen geschaffen hatte.

Ich suchte online nach den Navinas aus der Korrespondenz, fand auch ein paar und kontaktierte zwei, allerdings ohne Erfolg. Ich fand aber noch viele weitere: weiße, blonde Navinas und auch andere. Eine davon war Navina Engelage. In einem Facebook-Post hatte sie einen Nachruf auf Sundaram geteilt und diese als ihre Namensgeberin bezeichnet. Sie reagierte sofort und organisierte ein Zoom-Treffen gemeinsam mit ihrer Mutter. Und als Nadja im Gespräch mit mir davon sprach, dass sich ihre Tochter eigene Navina-Vorbilder gesucht hatte und zu diesen die Fußballnationalspielerin Navina Omilade gehörte, wurde ich hellhörig. Ich suchte nach mehr Informationen zu Omilade und als ich las, dass sie 1981 geboren wurde, vermutete ich, dass auch sie nach Sundaram benannt wurde. Damit lag ich richtig, wie mir Omilade per Email bestätigte. Ganz offensichtlich wurden in den 1970ern und 80ern sehr viel mehr Mädchen nach Sundaram benannt, als sie ahnen konnte. Und auch später wurden noch Mädchen nach Sundaram benannt, wie Nadjas Tochter in den 2000ern. Da kamen allerdings auch schon die ersten kleinen Navinas zur Welt, die nach Omilade benannt wurden. Der Name war auf dem Weg ein deutscher zu werden.

Heute muss niemand mehr einen Brief an den NDR schreiben, um die Bedeutung des Namens zu erfahren. Es reicht ein Blick auf die unzähligen Vornamen-Seiten online. Viele der deutschsprachigen Seiten haben Navina im Angebot, bieten Erklärungen des Namens an und verweisen auf verschiedene Prominente mit dem Namen, mal auf Sundaram, mal auf Omilade, mal aber auch auf die Schauspielerin Navina Heyne. Die Auswahl scheint dabei willkürlich, deutlich wird aber, dass Navina als ein für den deutschen Sprachraum angemessener Name gilt. Als Vergleich: Urmila erscheint auf den gleichen Seiten viel seltener, ist also nicht in der gleichen Weise eingedeutscht.

Es gibt also mittlerweile eine Vielzahl von Navinas in Deutschland, die mehr oder weniger Bezug zu Sundaram haben. Wichtig bei der Namensgebung scheint vor allem der Klang und die Bedeutung des Namens zu sein. Hatte ich zum Beginn meiner Recherche noch gedacht, dass sich vor allem Eltern mit einer Migrationsgeschichte für diesen Namen entschieden hatten, musste ich die These bald fallen lassen. Ganz offensichtlich hatten schon in den 1970ern und 1980ern viele Bio-Deutsche, wie die Engelages, Sundarams Namen an ihre Töchter weitergeben. In meiner Auswahl der Gesprächspartnerinnen zeigte sich, dass der Name für diese das Potential haben konnte, sie für globale Ungleichheiten und ihre weißen Privilegien zu sensibilisieren. Navina Engelage reflektierte hierüber ausführlich im Gespräch. Für die interviewten Frauen* mit Migrationsgeschichte, die mit Sundaram aufwuchsen, wiederum war sie gerade auch deshalb bedeutsam, weil sie eine Migrantin war, die selbstbewusst und eloquent im westdeutschen Fernsehen auftrat. Sie eignete sich so für Frauen* mit und ohne Migrationsgeschichte als Vorbild.

Schade, dass Navina Sundaram diese Stimmen nicht mehr hören kann.

Dieser Text und die Video mit meinen Gesprächspartnerinnen finden sich auf der Archivseite Die fünfte Wand. Zum Ansehen muss mensch sich registrieren.

0 Kommentare in: andere deutsche   ... comment ... link