Freitag, 15. Oktober 2010
Mythos: fehlendes Wissen
Immer wieder wird argumentiert, dass fehlendes Wissen über die 'Anderen' dazu führt, dass diese ausgegrenzt werden. Im Blog habe ich da z.B. hier darauf verwiesen. Heute in der taz kommt es gleich zweimal vor. Einmal argumentiert Beate Küpper vom Forschungsprojekt 'Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit' im taz-Interview:

"Menschen haben oft Angst vor dem, was sie nicht kennen. In vielen ländlichen Regionen in Deutschland gibt es so gut wie keine Muslime. Aber gerade dort ist die Angst vor ihnen am größten. Das vermeintliche Wissen über diese Gruppe basiert dann allein auf Stereotypen."

Und in einem Kommentar zu Antiziganismus, den ich in weiten Teilen sehr gut finde, argumentiert Wofgang Wippermann von der FU Berlin: "Wissen wäre aber nötig, um die Vorurteile bekämpfen und überwinden zu können."

Durch seinen Kommentar zieht sich die These, dass Wissen gegen Antiziganismus hilft, auch wenn er selber schreibt: "Nun weiß ich aus eigener leidvoller und seit dreißig Jahren betriebener Praxis, dass Wissen allein nicht hilft und Aufklärung auf unüberwindbar scheinende Grenzen stößt. Doch man sollte es zumindest versuchen."

In der kritischen Rassismustheorie (z.B. hier) wird Rassismus (und dazu zähle ich auch antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus) als Machtsystem verstanden. Die rassistische Ausgrenzung sichert den einen Zugang zu Rechten und Ressourcen und grenzt die als 'Andere' Konstruierten davon aus. Diese Ungleichbehandlung muss gerechtfertigt werden und dazu wird Wissen über die 'Anderen' generiert, dass deren Minderwertigkeit nachweist und die Ungleichbehandlung als normal erscheinen lässt. Das heisst, das Wissen über die als 'Andere' Konstruierten ist das Ergebnis von Rassismus und nicht die Ursache. Die 'Anderen' werden erst durch dieses Wissen konstruiert. Es geht also nicht darum, anderes Wissen über die 'Anderen' zu produzieren, sondern den Konstruktionscharakter und den Zweck des Wissens über die 'Anderen' zu problematisieren und überhaupt die Konstruktion der Anderen zu hinterfragen.

Wir brauchen, um gegen antimuslimsichen Rassimsus oder Antiziganismus vorzugehen, nicht mehr Wissen über die 'Muslime' oder 'Roma und Sinti' sondern darüber wie 'wir' Privilegien für 'uns' sichern, in dem wir Wissen über die 'Anderen' produzieren. Die Machtverhältnisse müssen in Frage gestellt.

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Für die Statistikfans
hat die Friedrich-Ebert-Stiftung jetzt eine Studie herausgegeben, die aufzeigt, wie rassistisch die deutsche Gesellschaft ist (siehe auch taz). Im Gegensatz zu dem Volkswirten Sarrazin stehe ich ja nicht so auf Statistiken. In meinem Volkswirtschaftsstudium (mit Schwerpunkt Statistik und Ökonometrie) habe ich zu viel über Statistiken gelernt, um diesen auch nur im entferntesten zu glauben. Aber für alle die, die zur Zahlen glauben, hier ein paar Zitate aus dem taz-Artikel:

"Nach der Befragung diagnostizieren die Forscher für das Jahr 2010 einen "Anstieg von dezidiert antidemokratischen und und rassistischen Einstellungen" gegenüber dem Jahr 2008."

"Mit ihrer Studie verweisen die Forscher darauf, dass "rechtsextreme Einstellungen kein Phänomen der extremen Ränder, sondern in allen Teilen der Bevölkerung anzutreffen sind", wie Oliver Decker am Mittwoch sagte. Elmar Brähler ergänzte: "Wir finden rechtsextreme Einstellungen auch quer durch die großen Parteien. Bei Anhängern der SPD, der Union und der Linkspartei sind sie am stärksten anzutreffen, aber auch innerhalb der Grünen und der FDP.""

"Fast durchgängig findet sich unter Kirchenmitgliedern christlicher Konfessionen eine höhere Zustimmung zu rechtsextemen Einstellungen als unter Konfessionslosen."

"Frauen tendenziell weniger Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen als Männer äußerten."

"So stimmen Befragte, die über 60 Jahre alt sind, rechtsextremen Äußerungen deutlich häufiger zu als jüngere Menschen."


Nach Sarrazinscher Logik müsen wir jetzt also einen Generalverdacht gegen Christen_innen, Männer und alte Menschen aussprechen. Denn das ist ja statistisch bewiesen, dass alle Christ_innen, Männer und alte Leute rassistisch sind. (Mal sehen wie Sarrazin so in die Kategorien passt ...)

Wichtig ist es, die Studie zu kontextualisieren:

"Befragt worden waren die Menschen im April 2010, also noch vor Thilo Sarrazins Thesen zur Integration. "Hätten wird die Befragung heute durchgeführt, wären die Befunde sicher noch extremer", sagte Brähler."

Nachtrag 10.01.11: Statistiken zu Sarrazins Aussagen und Käufer_innen bei der taz oder auch direkt vom Forschungsprojekt Heymat (pdf).

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Und wieder Deutschpflicht
Laut taz wird mal wieder Deutschpflicht auf Schulhöfen etc. gefordert. So soll Integration stattfinden, was ich schon mehrfach kommentiert habe in diesem Blog.

Eine Bekannte erzählte mir kurz, dass sie ihren Sohn kürzlich auf einem Berliner Gymnasium angemeldet habe. Sie sollte dann eine Verpflichtung unterschreiben, dass er nur Deutsch spreche in der Pause etc. Sie hat sich geweigert. Nach ihrer Erfahrung können ihr Sohn und andere natio-ethno-kulturelle (Mehrfach-)Zugehörige (wie auch sie selbst) gut mit verschiedenen Sprachen und Lebensweisen umgehen. Sie eignen sich auch schnell die nötigen Komptenzen an. So kann ihr Sohn z.B. türkische Schimpfwörter.

Es kam dann zu einem Elternabend zum Thema. Wo monokulturelle dominanzdeutsche Eltern ihre Ängste formulierten. Zum Beispiel erzählte ein Vater, dass seine Sekretärin und seine Reininungsfrau beide türkisch sprechen könnten und so schlecht über ihn reden könnten (das können sie übrigens auch in Deutsch - würde ich auch machen bei einem rassistischen Chef, der sich auch noch zum Opfer seiner Untergebenen stilisiert). Die Schulleiterin sagte, dass Französisch, Englisch und Spanisch gerne auch in den Pausen gesprochen werden dürfen. Und Türkisch auf Toiletten würde auch geduldet.

Was für eine scheinheillige Diskussion.

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Den Armen nehmen den Reichen geben
scheint das Credo unserer Rechtsaussen-Ministerin Schröder. Laut taz kommt aus der FDP die Forderung, Reichen (mit mehr als 250.000 € Einkommen pro Erwachsenen und Jahr) das Elterngeld zu streichen. Aber unsere Ministerin sieht das gar nicht ein:

"Familienministerin Kristina Schröder (CDU) hat dem FDP-Vorstoß, das Elterngeld nicht nur bei Hartz-IV-EmpfängerInnen zu kürzen, sondern auch bei Besserverdienenden, eine Absage erteilt. "Eltern brauchen Planungssicherheit und nicht ständig neue Debatten, wo man ihnen noch das Elterngeld streichen kann", sagte die Familienministerin zur taz."

Für die Planungssicherheit bekommen die Hartz IVer schon Bescheide, obwohl noch nichts entschieden ist:

"Obwohl das Kabinett das Gesetz erst noch verabschieden muss, verschicken Jobcenter bereits Bescheide mit einem Hinweis auf die Kürzungen. Begründet wird der vorauseilende Gehorsam mit dem Verwaltungsaufwand, der "möglichst niedrig" gehalten werden soll."

Das ist eine ganz klare politische Richtung.

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