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Mittwoch, 16. August 2006
Statistik
urmila, 17:43h
Im Mikrozensus wird nun auch erhoben, ob die Antwortenden einen Migrationshintergrund haben. So weit ich mich erinnere, wird dieser durch mindestens ein Eltern- oder Großelternteil, das außerhalb 'Deutschlands' geboren wurde, definiert. Dadurch gibt es nun auch neue Zahlen für Berlin. Mit Zahlen argumentieren zu können, dass Migration etwas ganz normales in unserer Gesellschaft ist, mag sinnvoll sein. Aber wie immer bleibt die Frage nach der Definition. Im taz Berlin-Interview wird der Integrationsbeauftragte Günter Piening gefragt:
"Beim Mikrozensus wurden auch Menschen mitgezählt, deren Großeltern nach Deutschland gezogen sind. Kann man Nachkommen in der dritten Generation noch pauschal unter dem Label Migrant erfassen?
und er antwortet:
Ich halte das für sehr problematisch. Da besteht ein bisschen die Gefahr, dass es hier nach dem Motto geht: einmal Migrant, immer Migrant. Wir gehen davon aus, dass wir hier in Berlin - dem internationalen Standard entsprechend - nur die zweite Generation erfassen. Der Teufel liegt aber im Detail: Wie definieren wir zum Beispiel ein Kind aus einer binationalen Partnerschaft? Diese statistischen Fragen werden sicher auch ein paar interessante integrationspolitische Debatten auslösen.
Und damit macht er auf diverse Probleme aufmerksam: Wie definieren 'wir' die 'Anderen'? Welche Folgen hat das? Was ist sinnvoll?
Wenn 'wir' 'uns' die Auswirkungen rassistischer Diskriminierungen anschauen wollen, dann müssten wir eigentlich noch mehrere Generation weiter zurückgehen. 'Schwarze' Deutsche werden in Deutschland als 'Andere' behandelt, auch wenn schon ihre Großeltern hier geboren wurden. Die Kinder einer 'Weißen Französin' und eines 'Weißen Deutschen' hingegen werden nur bei wenigen Gelegenheiten zu 'Anderen' gemacht. Die Kategorie 'mit Migrationshintergrund' fasst sehr viele sehr unterschiedliche Menschen zusammen. Darauf muss frau achten, wenn sie die Zahlen interpretiert.
Eine Gefahr in der Definition liegt auch darin, dass wie zum Beispiel in der Zeitschrift aid - Integration in Deutschland als Gegensatz zu den 'AusländerInnen' und den 'Deutschen mit Migrationshintergrund' nun von 'Deutschen ohne Migrationshintergrund' gesprochen wird. Wer soll das sein? Sind deren Vorfahren tatsächlich nicht (international) migriert? Sassen die vor Zehntausenden von Jahren schon alle hier in Höhlen?
Statistik suggeriert eine Objektivität, die sie nicht hat. Die zugrundeliegenden Definitionen für die Datenerhebung sind bereits durch Vorstellungen über die 'Realität' geprägt und die durch sie produzierten Statistiken können sich davon nicht lösen.
"Beim Mikrozensus wurden auch Menschen mitgezählt, deren Großeltern nach Deutschland gezogen sind. Kann man Nachkommen in der dritten Generation noch pauschal unter dem Label Migrant erfassen?
und er antwortet:
Ich halte das für sehr problematisch. Da besteht ein bisschen die Gefahr, dass es hier nach dem Motto geht: einmal Migrant, immer Migrant. Wir gehen davon aus, dass wir hier in Berlin - dem internationalen Standard entsprechend - nur die zweite Generation erfassen. Der Teufel liegt aber im Detail: Wie definieren wir zum Beispiel ein Kind aus einer binationalen Partnerschaft? Diese statistischen Fragen werden sicher auch ein paar interessante integrationspolitische Debatten auslösen.
Und damit macht er auf diverse Probleme aufmerksam: Wie definieren 'wir' die 'Anderen'? Welche Folgen hat das? Was ist sinnvoll?
Wenn 'wir' 'uns' die Auswirkungen rassistischer Diskriminierungen anschauen wollen, dann müssten wir eigentlich noch mehrere Generation weiter zurückgehen. 'Schwarze' Deutsche werden in Deutschland als 'Andere' behandelt, auch wenn schon ihre Großeltern hier geboren wurden. Die Kinder einer 'Weißen Französin' und eines 'Weißen Deutschen' hingegen werden nur bei wenigen Gelegenheiten zu 'Anderen' gemacht. Die Kategorie 'mit Migrationshintergrund' fasst sehr viele sehr unterschiedliche Menschen zusammen. Darauf muss frau achten, wenn sie die Zahlen interpretiert.
Eine Gefahr in der Definition liegt auch darin, dass wie zum Beispiel in der Zeitschrift aid - Integration in Deutschland als Gegensatz zu den 'AusländerInnen' und den 'Deutschen mit Migrationshintergrund' nun von 'Deutschen ohne Migrationshintergrund' gesprochen wird. Wer soll das sein? Sind deren Vorfahren tatsächlich nicht (international) migriert? Sassen die vor Zehntausenden von Jahren schon alle hier in Höhlen?
Statistik suggeriert eine Objektivität, die sie nicht hat. Die zugrundeliegenden Definitionen für die Datenerhebung sind bereits durch Vorstellungen über die 'Realität' geprägt und die durch sie produzierten Statistiken können sich davon nicht lösen.
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Vorurteilsintegration
urmila, 17:24h
Anastasia Telaak berichtet in der taz unter dem Titel Sei pünktlich! Spuck nicht auf die Straße! über Lehrbücher für die 'Integrationskurse'. Zwei wesentliche Kritikpunkte macht sie aus:
1. In den Lehrbüchern werden rassistische Vorurteile über 'MigrantInnen' reproduziert und dienen als Grundlage für das Erlernen von 'richtigem' Verhalten:
In den Materialien für den Orientierungskurs "30 Stunden Deutschland" vom Klett Verlag etwa sollen die Migranten anhand von Zeichnungen vergleichen, welches Verhalten in ihrer Kultur und in Deutschland jeweils akzeptabel ist: sich unter Männern bei Begegnungen umarmen, unpünktlich sein, Kinder schlagen, auf die Straße spucken oder die eigene Ehefrau beim Einkaufen als Packesel missbrauchen? Nicht zu erkennen ist auf den Zeichnungen, ob es sich bei den dargestellten Personen um Migranten handeln soll oder um einheimische Mitteleuropäer - betrachtet man etwa den busenbetonten Pulli und die offenen Haare der Frau, die für ihren Mann die Einkaufstüten schleppt. Doch gerade diese pädagogische Tarnung wirkt befremdlicher als das unverhüllte Klischee. Was sollen die Migranten aus den scheinbar neutralen Darstellungen herauslesen? Dass mit den Bildern nicht sie, sondern Hinz und Kunz gemeint sind, dass es aber offenbar trotzdem nötig ist, gerade die Neubürger auf das rechte Benehmen hinzuweisen?
Wesentlich unverblümter kommt das in diesem Jahr neu erschienene Buch "Zur Orientierung. Deutschland in 30 Stunden" vom Hueber Verlag zur Sache. In einem Comic stellt es eine Figur namens "Jacek" vor. "Jacek" macht alles falsch: Er wirft die Bananenschale in den Papiermüll, missachtet das Abstellverbot für Fahrräder und erscheint (wegen der erkrankten Mutter) verspätet zu einem Termin beim Ausländeramt. Dann steckt er dem absolut unbestechlichen, im Übrigen jedoch wohlwollenden Beamten auch noch eine Pralinenschachtel zu.
Zwei Seiten weiter fragt das Quiz "Leben in Deutschland", ob es passend ist, im Restaurant behaglich-laut zu schmatzen, sich am Telefon mit "Hallo?" zu melden oder einen deutschen Freund ohne Vorankündigung zu besuchen. Wer hier mit "Nein" antwortet, ist zu beglückwünschen: Er weiß, was sich gehört - und kann stolz darauf sein, dass "sogar einige Deutsche von Ihnen lernen können, wie man sich in Deutschland verhalten soll".
(In der gedruckten taz wird der Artikel mit Illustrationen aus einem Lehrbuch sehr eindrücklich bebildert.)
2. Obwohl in letzter Zeit immer wieder gefordert wird, dass sich 'MigrantInnen' zur 'deutschen Schicksalsgemeinschaft' bekennen, kommen die Lehrbücher ohne eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus aus:
Erstaunliche Lücken finden sich dagegen in den Kapiteln zur deutschen Geschichte. Nur in zwei Lehrwerken werden Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust als eigenständige Themen präsentiert. In zwei weiteren Büchern gehören einige der relevantesten Fakten über das Dritte Reich immerhin zum "Basiswissen Geschichte". Kein Wort dagegen findet sich in dem neuesten Hueber-Buch "Zur Orientierung. Deutschland in 30 Stunden". Hier beginnt das Geschichtskapitel mit dem Jahr 1945. Es fehlt jeder Hinweis auf die Geschehnisse, die der Einführung der Demokratie in Deutschland vorausgingen. Als Opfer des Zweiten Weltkriegs werden außerdem ausschließlich Deutsche erwähnt: gefallene Soldaten, Kriegsgefangene und Trümmerfrauen.
... Dazu sagte Doris Dickel, Referentin der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer (CDU), in einem 30-stündigen Kurs sei "eine thematische Eingrenzung des Pflichtprogramms" nun mal "unumgänglich".
So, also sieht 'Integration' in 'Deutschland' aus.
1. In den Lehrbüchern werden rassistische Vorurteile über 'MigrantInnen' reproduziert und dienen als Grundlage für das Erlernen von 'richtigem' Verhalten:
In den Materialien für den Orientierungskurs "30 Stunden Deutschland" vom Klett Verlag etwa sollen die Migranten anhand von Zeichnungen vergleichen, welches Verhalten in ihrer Kultur und in Deutschland jeweils akzeptabel ist: sich unter Männern bei Begegnungen umarmen, unpünktlich sein, Kinder schlagen, auf die Straße spucken oder die eigene Ehefrau beim Einkaufen als Packesel missbrauchen? Nicht zu erkennen ist auf den Zeichnungen, ob es sich bei den dargestellten Personen um Migranten handeln soll oder um einheimische Mitteleuropäer - betrachtet man etwa den busenbetonten Pulli und die offenen Haare der Frau, die für ihren Mann die Einkaufstüten schleppt. Doch gerade diese pädagogische Tarnung wirkt befremdlicher als das unverhüllte Klischee. Was sollen die Migranten aus den scheinbar neutralen Darstellungen herauslesen? Dass mit den Bildern nicht sie, sondern Hinz und Kunz gemeint sind, dass es aber offenbar trotzdem nötig ist, gerade die Neubürger auf das rechte Benehmen hinzuweisen?
Wesentlich unverblümter kommt das in diesem Jahr neu erschienene Buch "Zur Orientierung. Deutschland in 30 Stunden" vom Hueber Verlag zur Sache. In einem Comic stellt es eine Figur namens "Jacek" vor. "Jacek" macht alles falsch: Er wirft die Bananenschale in den Papiermüll, missachtet das Abstellverbot für Fahrräder und erscheint (wegen der erkrankten Mutter) verspätet zu einem Termin beim Ausländeramt. Dann steckt er dem absolut unbestechlichen, im Übrigen jedoch wohlwollenden Beamten auch noch eine Pralinenschachtel zu.
Zwei Seiten weiter fragt das Quiz "Leben in Deutschland", ob es passend ist, im Restaurant behaglich-laut zu schmatzen, sich am Telefon mit "Hallo?" zu melden oder einen deutschen Freund ohne Vorankündigung zu besuchen. Wer hier mit "Nein" antwortet, ist zu beglückwünschen: Er weiß, was sich gehört - und kann stolz darauf sein, dass "sogar einige Deutsche von Ihnen lernen können, wie man sich in Deutschland verhalten soll".
(In der gedruckten taz wird der Artikel mit Illustrationen aus einem Lehrbuch sehr eindrücklich bebildert.)
2. Obwohl in letzter Zeit immer wieder gefordert wird, dass sich 'MigrantInnen' zur 'deutschen Schicksalsgemeinschaft' bekennen, kommen die Lehrbücher ohne eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus aus:
Erstaunliche Lücken finden sich dagegen in den Kapiteln zur deutschen Geschichte. Nur in zwei Lehrwerken werden Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust als eigenständige Themen präsentiert. In zwei weiteren Büchern gehören einige der relevantesten Fakten über das Dritte Reich immerhin zum "Basiswissen Geschichte". Kein Wort dagegen findet sich in dem neuesten Hueber-Buch "Zur Orientierung. Deutschland in 30 Stunden". Hier beginnt das Geschichtskapitel mit dem Jahr 1945. Es fehlt jeder Hinweis auf die Geschehnisse, die der Einführung der Demokratie in Deutschland vorausgingen. Als Opfer des Zweiten Weltkriegs werden außerdem ausschließlich Deutsche erwähnt: gefallene Soldaten, Kriegsgefangene und Trümmerfrauen.
... Dazu sagte Doris Dickel, Referentin der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer (CDU), in einem 30-stündigen Kurs sei "eine thematische Eingrenzung des Pflichtprogramms" nun mal "unumgänglich".
So, also sieht 'Integration' in 'Deutschland' aus.
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