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Dienstag, 13. Juni 2006
Strukturelle Diskriminierung
urmila, 16:56h
Auch während der WM wird weiter abgeschoben. Heute schafft es die Geschichte von Hee-Seo Jin in die taz. Sie illustriert sehr gut, wie die strukturelle und systematische Diskriminierung von nicht-deutschen StaatsbürgerInnen im deutschen Gesetz verankert ist. Die Forderungen, die das 'Ausländergesetz' an Hee-Seo Jin stellt, kann sie gar nicht erfüllen.
Dass MusikerInnen, KünstlerInnen, etc. in der Regel keine festen Anstellungen bekommen und tendentiell in prekären Verhältnissen leben, ist sicher ein Problem. Es lässt sich aber nur sehr unzureichend dadurch beheben, dass 'ausländische' Freischaffende abgeschoben werden.
Nachtrag 24.07.06: Mehr über die gut-integrierte, deutsch-kultivierte Dirigentin in der taz, die eine Reihe von UnterstützerInnen hat:
"Neuerdings steht Michael Gahler, ein EU-Abgeordneter der CDU, auf ihrer Unterstützerliste. Jins Fall nennt er einzigartig. Das stimmt, weil jedes Schicksal einzigartig ist. Er hat einen Brief an den Innenminister Wolfgang Schäuble geschrieben. Darin beklagt er, dass gegen Islamisten keine Handhabe gefunden werde, sie auszuweisen, wohl aber gegen eine, die die deutsche Kultur liebt. "Manchmal hilft es, wenn eine so hartnäckig ist wie sie", meint er."
Dieses islamophobe, menschenfeindliche Argument zeigt, wie unmöglich 'Integration' in Deutschland ist. Selbst die, die sich 'integrieren', sollen abgeschoben werden. Auch wenn das dann dem einen oder anderen leid tut.
Dass MusikerInnen, KünstlerInnen, etc. in der Regel keine festen Anstellungen bekommen und tendentiell in prekären Verhältnissen leben, ist sicher ein Problem. Es lässt sich aber nur sehr unzureichend dadurch beheben, dass 'ausländische' Freischaffende abgeschoben werden.
Nachtrag 24.07.06: Mehr über die gut-integrierte, deutsch-kultivierte Dirigentin in der taz, die eine Reihe von UnterstützerInnen hat:
"Neuerdings steht Michael Gahler, ein EU-Abgeordneter der CDU, auf ihrer Unterstützerliste. Jins Fall nennt er einzigartig. Das stimmt, weil jedes Schicksal einzigartig ist. Er hat einen Brief an den Innenminister Wolfgang Schäuble geschrieben. Darin beklagt er, dass gegen Islamisten keine Handhabe gefunden werde, sie auszuweisen, wohl aber gegen eine, die die deutsche Kultur liebt. "Manchmal hilft es, wenn eine so hartnäckig ist wie sie", meint er."
Dieses islamophobe, menschenfeindliche Argument zeigt, wie unmöglich 'Integration' in Deutschland ist. Selbst die, die sich 'integrieren', sollen abgeschoben werden. Auch wenn das dann dem einen oder anderen leid tut.
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Fahnen schwenken
urmila, 13:21h
Fahnen, überall Fahnen. Egal wohin ich schaue. Auf Autos, an Fahrrädern, in Schaufenstern, an Balkonen, in Händen, Fenstern, in der Krankengymnastikpraxis, auf Köpfen, in Gesichtern. Überall Fahnen.
Ausserdem: "Deutschland, Deutschlaaand"-Rufe, gelegentlich auch "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus", gerne auch mal der Hiltergruß, oder aber als Kommentar zum Sieg der deutschen Männermannschaft vom Freitag "Die Wehrmacht hat gesiegt".
Überall auch Fernseher, auf Bürgersteigen, in (fast) jedem Cafe, Restaurant. Davor Menschen, die darauf starren. Kollektiver WM-Taumel.
Gestern vor einem WM-freien Cafe: Eine Gruppe will WM schauen, eine Cafebesucherin weisst sie darauf hin, dass sie da woanders hin müssen. Einer aus der Gruppe zu ihr: "Wohl WM-geschädigt?" Sie zu ihm: "Wir nicht, aber ihr!"
Zu erklären ist dieser Tage aber nicht der WM-Taumel, sondern die Opposition dazu. Täglich mehrere Diskussionen: in meinem Seminar, mit meiner Krankengymnastin, mit FreundInnen, MitbewohnerInnen, Nachbarn. Und immer wieder: das ist doch nicht schlimm. Die Fahnen sind doch unschuldig. Sogar in der taz berlin gestern hält Uwe Rada, das Verbot von Deutschlandfahnen an Polizeifahrzeugen für die "erste WM-Posse" und führt aus:
"Aber glaubt im Ernst einer, sie würden einen randalierenden Fan anders behandeln, nur weil eine Deutschlandfahne an der Wanne wedelt."
Nein, das glaubt eine nicht. Die Gefahr schlechter behandelt zu werden, hat ein Schwarzer auch dann wenn keine Deutschlandfahne da wedelt. Aber eine glaubt im Ernst, dass einer noch mulmiger wird, wenn sie Deutschlandfahnen an den Wannen sieht. Was macht eine denn, wenn sie eine rassitischen Überfall oder eine Diskriminierungserfahrung anzeigen will und sieht bei der Polizei die gleichen Symbole?
Rada scheint auch zu glauben, dass das Ignorieren von Hitlergrüßen ein gutes Zeichen ist:
"So wagte am Freitagabend auf der Fanmeile eine kleine Gruppe offensichtlich rechtsextremer Jugendlicher ab und zu den Hitlergruß. Gleichwohl gingen Gesten wie diese fast unter. Die Fans ignorierten die Rechten ..."
Verfassungsfeindliche Symbole zu ignorieren, zeugt nicht von etwas Positiven. Sie müssen verfolgt werden. Nicht toleriert. Denn auch wenn viele sie vielleicht ignorieren können, fühlen sich andere durch sie massiv bedroht. Die letzteren brauchen Unterstützung, sie brauchen die Gegenwehr.
Eine meiner Studentinnen rief bei einem solchen Erlebnis letzten Freitag spontan: "Arschloch". Ihre Freundin war besorgt um sie, leicht hätte die Situation eskalieren können. Den Hitlgergrußzeigenden wird sie damit nicht geläutert haben, aber sie hat den allgemeinen Konsens gebrochen. Das ist wichtig.
Bei der Männer-WM geht es nicht um Fussball (zumindest nicht für die meisten). Es geht um Zugehörigkeit zu einer Nation (und damit die Abgrenzung zu anderen). Nationen sind die Grundlage für gewaltsames Vorgehen gegen andere Nationen und gegen Individuen, die aus der Nation ausgesondert werden.
Nationalfahnen sind nicht unschuldig. Sie stehen für die Ideologie der Nation. Egal welcher. Ich mag keine Fahnen, keine deutsche, keine indische, keine brasilianische. (Wobei natürlich im Namen der deutschen mehr Unheil angerichtet wurde als im Namen von ehemals Kolonialisierten.) Fahnen, in den Massen wie sie gerade geschwenkt werden ekeln mich nicht nur, sie bereiten mir ein ganz mulmiges Gefühl. Und nicht nur mir, auch annabexis und yeahpope haben schon zum Nationaltaumel anlässlich der Männer-WM geschrieben.
Nachtrag 18.06.06: Die Medien überschlagen sich ja geradezu, ob der friedlichen WM und dem positiven Fahnenschwenken. Der Tagesspiegel, die taz, die Junge Freiheit. Nur seltsam die so in einer Reihe zu lesen. Sollte es nicht ein bisschen zum Nachdenken anregen, wenn die Junge Freiheit das Fahnenschwenken als ein gutes Zeichen sieht?
Und es gibt übrigens auch noch Teile Deutschlands, die nicht ganz in schwarzrotgold getaucht sind. In Dresden habe ich in den letzten Tagen erfreulich wenige Fahnen gesehen.
Nachtrag 20.06.06: Zum schwarzrotgoldenen Patriotismus lohnt sich auch ein Besuch beim bildblog.
Nachtrag 22.06.06: Während sich alle nach wie vor in Freudentaumel über die ach so patriotisch-friedliche WM ergehen, werden nach wie vor der Hitlergruß von Fans gezeigt.
Nachtrag 28.06.06 Zur allgemeinen Verwunderung flaggen auch 'Andere Deutsche' schwarz-rot-gold und ziehen "Deutschland Deutschlaaand" rufend durch die Kieze. Viele interpretieren das nun als geglückte Identifikation mit Deutschland. Andere sind da skeptischer:
Muharrem Aras, Rechtsanwalt und Vorsitzender eines Vereins türkischstämmiger Sozialdemokraten, ist skeptischer. Er habe das Gefühl, "eine Entwicklung verpasst zu haben", wenn er seine Deutschlandfahnen schwenkenden türkischstämmigen Landsleute sehe, sagt Aras. Der 34-Jährige, selbst aktiver Fußballer, drückt Argentinien die Daumen: "Ich war immer gegen die deutsche Nationalmannschaft", erzählt Aras. Denn der DFB sei für ihn "die letzte deutsche Hochburg": "Es hat unheimlich lange gedauert, bis auch mal ein paar Migranten in die deutsche Nationalelf gekommen sind." Insbesondere Türkischstämmige hätten bis heute kaum Chancen. Die neue nationale Begeisterung vieler türkischer Migranten für die deutsche Mannschaft sieht er eher mit Beunruhigung: Er findet "Fahnenschwenken generell nicht so doll". "
Nachtrag 30.06.06: Neues aus Berliner Abgeordnetenhaus:
"Als die CDU-Abgeordneten gestern zu ihren Plätzen im Parlamentsplenum gingen, standen auf den 35 Tischen kleine schwarz-rot-goldene Papierfähnchen, eingepflanzt in winzige Blumentöpfchen, die in den 80er-Jahren den Neid der Alternativen Liste erzeugt hätten. Doch wollte die Union laut einem Sprecher ein "Bekenntnis" zur deutschen Nationalmannschaft vor dem heutigen WM-Viertelfinalspiel ablegen und zeigen, dass sie "gute Patrioten" seien. Demokratie-Liebe offenbart sich bekanntlich am besten im kollektiven Präsentieren kleiner Winkelemente.
Nachtrag 21.07.06: Die Hitze macht auch Schönbohm zu schaffen.
Ausserdem: "Deutschland, Deutschlaaand"-Rufe, gelegentlich auch "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus", gerne auch mal der Hiltergruß, oder aber als Kommentar zum Sieg der deutschen Männermannschaft vom Freitag "Die Wehrmacht hat gesiegt".
Überall auch Fernseher, auf Bürgersteigen, in (fast) jedem Cafe, Restaurant. Davor Menschen, die darauf starren. Kollektiver WM-Taumel.
Gestern vor einem WM-freien Cafe: Eine Gruppe will WM schauen, eine Cafebesucherin weisst sie darauf hin, dass sie da woanders hin müssen. Einer aus der Gruppe zu ihr: "Wohl WM-geschädigt?" Sie zu ihm: "Wir nicht, aber ihr!"
Zu erklären ist dieser Tage aber nicht der WM-Taumel, sondern die Opposition dazu. Täglich mehrere Diskussionen: in meinem Seminar, mit meiner Krankengymnastin, mit FreundInnen, MitbewohnerInnen, Nachbarn. Und immer wieder: das ist doch nicht schlimm. Die Fahnen sind doch unschuldig. Sogar in der taz berlin gestern hält Uwe Rada, das Verbot von Deutschlandfahnen an Polizeifahrzeugen für die "erste WM-Posse" und führt aus:
"Aber glaubt im Ernst einer, sie würden einen randalierenden Fan anders behandeln, nur weil eine Deutschlandfahne an der Wanne wedelt."
Nein, das glaubt eine nicht. Die Gefahr schlechter behandelt zu werden, hat ein Schwarzer auch dann wenn keine Deutschlandfahne da wedelt. Aber eine glaubt im Ernst, dass einer noch mulmiger wird, wenn sie Deutschlandfahnen an den Wannen sieht. Was macht eine denn, wenn sie eine rassitischen Überfall oder eine Diskriminierungserfahrung anzeigen will und sieht bei der Polizei die gleichen Symbole?
Rada scheint auch zu glauben, dass das Ignorieren von Hitlergrüßen ein gutes Zeichen ist:
"So wagte am Freitagabend auf der Fanmeile eine kleine Gruppe offensichtlich rechtsextremer Jugendlicher ab und zu den Hitlergruß. Gleichwohl gingen Gesten wie diese fast unter. Die Fans ignorierten die Rechten ..."
Verfassungsfeindliche Symbole zu ignorieren, zeugt nicht von etwas Positiven. Sie müssen verfolgt werden. Nicht toleriert. Denn auch wenn viele sie vielleicht ignorieren können, fühlen sich andere durch sie massiv bedroht. Die letzteren brauchen Unterstützung, sie brauchen die Gegenwehr.
Eine meiner Studentinnen rief bei einem solchen Erlebnis letzten Freitag spontan: "Arschloch". Ihre Freundin war besorgt um sie, leicht hätte die Situation eskalieren können. Den Hitlgergrußzeigenden wird sie damit nicht geläutert haben, aber sie hat den allgemeinen Konsens gebrochen. Das ist wichtig.
Bei der Männer-WM geht es nicht um Fussball (zumindest nicht für die meisten). Es geht um Zugehörigkeit zu einer Nation (und damit die Abgrenzung zu anderen). Nationen sind die Grundlage für gewaltsames Vorgehen gegen andere Nationen und gegen Individuen, die aus der Nation ausgesondert werden.
Nationalfahnen sind nicht unschuldig. Sie stehen für die Ideologie der Nation. Egal welcher. Ich mag keine Fahnen, keine deutsche, keine indische, keine brasilianische. (Wobei natürlich im Namen der deutschen mehr Unheil angerichtet wurde als im Namen von ehemals Kolonialisierten.) Fahnen, in den Massen wie sie gerade geschwenkt werden ekeln mich nicht nur, sie bereiten mir ein ganz mulmiges Gefühl. Und nicht nur mir, auch annabexis und yeahpope haben schon zum Nationaltaumel anlässlich der Männer-WM geschrieben.
Nachtrag 18.06.06: Die Medien überschlagen sich ja geradezu, ob der friedlichen WM und dem positiven Fahnenschwenken. Der Tagesspiegel, die taz, die Junge Freiheit. Nur seltsam die so in einer Reihe zu lesen. Sollte es nicht ein bisschen zum Nachdenken anregen, wenn die Junge Freiheit das Fahnenschwenken als ein gutes Zeichen sieht?
Und es gibt übrigens auch noch Teile Deutschlands, die nicht ganz in schwarzrotgold getaucht sind. In Dresden habe ich in den letzten Tagen erfreulich wenige Fahnen gesehen.
Nachtrag 20.06.06: Zum schwarzrotgoldenen Patriotismus lohnt sich auch ein Besuch beim bildblog.
Nachtrag 22.06.06: Während sich alle nach wie vor in Freudentaumel über die ach so patriotisch-friedliche WM ergehen, werden nach wie vor der Hitlergruß von Fans gezeigt.
Nachtrag 28.06.06 Zur allgemeinen Verwunderung flaggen auch 'Andere Deutsche' schwarz-rot-gold und ziehen "Deutschland Deutschlaaand" rufend durch die Kieze. Viele interpretieren das nun als geglückte Identifikation mit Deutschland. Andere sind da skeptischer:
Muharrem Aras, Rechtsanwalt und Vorsitzender eines Vereins türkischstämmiger Sozialdemokraten, ist skeptischer. Er habe das Gefühl, "eine Entwicklung verpasst zu haben", wenn er seine Deutschlandfahnen schwenkenden türkischstämmigen Landsleute sehe, sagt Aras. Der 34-Jährige, selbst aktiver Fußballer, drückt Argentinien die Daumen: "Ich war immer gegen die deutsche Nationalmannschaft", erzählt Aras. Denn der DFB sei für ihn "die letzte deutsche Hochburg": "Es hat unheimlich lange gedauert, bis auch mal ein paar Migranten in die deutsche Nationalelf gekommen sind." Insbesondere Türkischstämmige hätten bis heute kaum Chancen. Die neue nationale Begeisterung vieler türkischer Migranten für die deutsche Mannschaft sieht er eher mit Beunruhigung: Er findet "Fahnenschwenken generell nicht so doll". "
Nachtrag 30.06.06: Neues aus Berliner Abgeordnetenhaus:
"Als die CDU-Abgeordneten gestern zu ihren Plätzen im Parlamentsplenum gingen, standen auf den 35 Tischen kleine schwarz-rot-goldene Papierfähnchen, eingepflanzt in winzige Blumentöpfchen, die in den 80er-Jahren den Neid der Alternativen Liste erzeugt hätten. Doch wollte die Union laut einem Sprecher ein "Bekenntnis" zur deutschen Nationalmannschaft vor dem heutigen WM-Viertelfinalspiel ablegen und zeigen, dass sie "gute Patrioten" seien. Demokratie-Liebe offenbart sich bekanntlich am besten im kollektiven Präsentieren kleiner Winkelemente.
Nachtrag 21.07.06: Die Hitze macht auch Schönbohm zu schaffen.
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