Donnerstag, 26. November 2015
Obergrenzen
Angesichts der vielen Menschen, die hoffen, in Europa ein besseres/sichereres Leben führen zu können, wird in Deutschland vermehrt über Obergrenzen (mit diesem oder anderem Begriff) diskutiert. Die Diskussion begrenzt sich dabei nicht nur auf rechte Parteien, sondern wird auch von jenen, die sich als links und/oder Vertreter_innen von Mindherheiten bezeichnen, geführt. Dabei ist mir klar, dass viele Behörden, Institutionen und Freiwillige vor Ort schon längst die Grenzen dessen, was sie meinen leisten zu können, überschritten haben (und sich trotzdem weiter einsetzen). Es geht mir nicht darum, das zu ignorieren. Mir geht es eher darum, die nationalstaatliche (oder EU-) Perspektive für einen Moment zu verlassen und einen globaleren Blick einzunehmen.

Dies möchte ich anhand eines taz-Kommentars von Christian Rath machen. Rath argumentiert, dass wir Obergrenzen brauchen, um langfristig Menschen unterstützen zu können. Vieles davon ist vernünftig, pragmatisch. Aber sein Ausgangspunkt zeigt den argumentativen Nationalismus:

“Zwar könnte man schon irgendwie die Lüneburger Heide, das Emsland und die Uckermark mit Zeltstädten und Containern füllen. Deutschland will schutzberechtigte Flüchtlinge aber nicht nur irgendwie verwalten und durchfüttern (wie dies global eher üblich ist), sondern integrieren, das heißt sprachlich, beruflich und sozial zum Bestandteil der Gesellschaft werden lassen. Und eine so verstandene Aufnahmefähigkeit ist natürlich niedriger als die rein organisatorische.“

In der Printversion lautete der letzte Satz: “Und die so verstandene Aufnahmefähigkeit des Einwanderungslandes Deutschland ist natürlich niedriger als die rein organisatorische Nothilfe eines syrischen Nachbarlandes.“ und stellt damit noch eindeutiger einen Vergleich mit anderen Ländern her.

Rath argumentiert also, dass wir menschenwürdige Standards für hierher flüchtende Menschen gewähren wollen. Das ist eine unterstützenswerte Forderung. Um diesen Standard einhalten zu können, will er aber die Anzahl jener, die nach der Deutschland kommen können, begrenzen. Es kann durchaus sein, dass er recht damit hat, dass der Standard bei höheren Zahlen nicht mehr zu halten ist. Aber wieso soll der Standard nur für jene gelten, die es nach Deutschland schaffen. Ist es ok, den hohen Standard in Deutschland damit zu erkaufen, dass andere woanders mit niedrigerem Standard leben müssen? Wollen wir der Welt zeigen, wie toll sich Deutschland um Flüchtlinge kümmert? Und dabei den Großteil der Flüchtlinge in den Ländern lassen, die über sehr viel weniger Ressourcen verfügen als Deutschland, dafür aber sehr viel mehr Menschen aufnehmen und diese “ nur irgendwie verwalten und durchfüttern“? Geht es um moralische Überlegenheit oder um die Hilfe für Menschen?

Mir ist klar, dass Rath in seinem Kommentar argumentiert, dass andere EU-Länder mehr flüchtende Menschen aufnehmen sollen. Auch dagegen habe ich nichts einzuwenden. Trotzdem finde ich die Argumentation höchst problematisch. Angesichts von globalen Ungleichheiten und Konflikten können wir nicht einfach davon ausgehen, dass wir unseren hohen Lebensstandard (und moralische Überlegenheit) bewahren können. Ich würde ihn auch gerne bewahren (und sogar noch erhöhen). Noch lieber will ich allerdings, dass ich, falls ich einmal fliehen muss, Zuflucht finde. Und ich vermute dabei wäre mir erst einmal wichtig, dass ich überhaupt irgendwohin kann, wo ich sicher bin und zu Essen habe. Denn wenn ich das nicht habe, dann helfen mir hohe Standards an Orten, zu denen ich keinen Zugang habe, auch nicht weiter.

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Dienstag, 24. November 2015
Kindeswohl wird abgeschoben
Die Aufgabe der Mitarbeitenden von Jugendämtern ist es, das Kindeswohl zu schützen. Die deutsche Abschiebepraxis macht dies aber unmöglich – und verstößt so gegen grundlegende Menschenrechte.

Mehr dazu im Zwischenruf für das Gunda-Werner-Institut.

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Sonntag, 18. Oktober 2015
Zur Ausgrenzung von Roma
in Osteuropa schreibt Stephan Müller in der taz.

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Samstag, 3. Oktober 2015
St. Florians Prinzip
'Deutschland kann nicht alle aufnehmen.' 'Die Grenzen der Aufnahmefähigkeit sind erreicht.' So heisst es immer öfter. Und so wird legitimiert, die Grenzen vor jenen zu verschliessen, die vor Krieg, Konflikt, Armut und oder sonst widrigen Lebensverhältnissen fliehen.

Aus nationalstaatlicher Logik mag das Sinn machen. Türen und Augen zu und hoffen, dass keiner mehr kommt. Gemäß dem Sankt-Florian-Prinzips: "Heiliger Sankt Florian / Verschon' mein Haus / Zünd' and're an!"

Für alle, die ein Perspektive haben, die über die nationalen Grenzen hinaus geht, ist es Blödsinn, so zu argumentieren. Die Menschen fliehen unabhängig von dem, was in Deutschland passiert. Sie brauchen Unterstützung. Und ja, es kann sein, dass diese Unterstützung dazu führt, dass jene, die sie gewähren, dadurch einen niedrigeren materiellen Lebensstandard haben werden. Aber ist das ein Grund, keine Hilfe zu leisten? Wer kann es mit seinen Grundwerten vereinbaren, nicht zu helfen, wenn es Menschen gibt, die die Hilfe brauchen?

Menschen in Not haben immer wieder erlebt und erleben noch heute, wie ihnen Türen vor der Nase zugeschlagen werden. Viele haben dafür mit dem Leben bezahlt, viele werden dafür noch mit dem Leben bezahlen. Und wir wollen unseren Wohlstand schützen, in dem wir die Türen fest verschliessen? Auf welche Werte berufen wir uns dabei?

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Freitag, 2. Oktober 2015
Ende der Willkommenskultur
Die Willkommenskultur ist nun offiziell vorbei. De Maiziere hetzt im ZDF gegen die Flüchtenden (ich zitiere aus tagesschau.de):

"Sie gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren. Sie streiken, weil ihnen die Unterkunft nicht gefällt, sie machen Ärger, weil ihnen das Essen nicht gefällt, sie prügeln in Asylbewerbereinrichtungen."

Wer die Situation der Flüchtenden, die Unglaubliches hinter sich haben und in überfüllten Unterkünften unter menschenunwürdigen Bedingungen wohnen müssen, so beschreibt, giesst Öl ins rassistische Feuer. Kein Wunder, dass tagesschau.de die Kommentarfunktion schliessen muss:

"Anmerkung der Redaktion: Wir haben die Kommentierung dieses Artikels beendet, weil die überwiegende Anzahl der Kommentare nicht unserer Netiquette entsprochen hat."

Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Situation der Flüchtenden und auch den Konflikten, die daraus entstehen, geht anders.

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Donnerstag, 1. Oktober 2015
Kritik an Asyrechts-Reform
Der Rat für Migration schreibt:

Die Bundesregierung plant weitreichende Änderungen des Asylrechts: So soll die Liste der "sicheren Herkunftsstaaten" erweitert werden, Asylbewerber sollen künftig bis zu sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden und dort in der Regel Sachleistungen statt Geld erhalten. Das Bundeskabinett will das Gesetz noch heute beschließen. Die Debatten in Bundestag und Bundesrat sind für Mitte Oktober geplant. Der Rat für Migration bewertet die geplanten Reformen als höchst problematisch: "Mit ihrem aktuellen Plan setzt die Bundesregierung eine Politik fort, die in erster Linie auf Abschreckung und Abschottung basiert. Damit verschlechtert sie nicht nur die Situation der Flüchtlinge, sondern erstickt auch die Bereitschaft vieler Bürgerinnen und Bürger, sich aktiv für Schutzsuchende einzusetzen", so Prof. Dr. Werner Schiffauer, Kultur- und Sozialanthropologe an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Darüber hinaus wirken die geplanten Maßnahmen widersprüchlich, so Prof. Dr. Jochen Oltmer, Historiker an der Universität Osnabrück: "Einerseits soll die Aufnahme und Versorgung von Asylbewerbern entbürokratisiert werden, andererseits sind Maßnahmen zur Kontrolle von Flüchtlingen vorgesehen, die für die Behörden in den Ländern und Kommunen eine stärkere Belastung und mehr Kosten bedeuten.“

Der Rat für Migration sieht in den steigenden Flüchtlingszahlen nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance, die Flüchtlingspolitik grundsätzlich neu auszurichten. Der RfM stellt zehn Forderungen für eine zukunftsfähige Flüchtlingspolitik. Dazu gehört: Kriegsflüchtlingen aus Syrien und Irak Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewähren, ohne dass eine Einzelfallprüfung stattfinden muss; die Zahl der Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge deutlich zu erhöhen sowie es von unnötigen Aufgaben zu befreien; Initiativen aus der Zivilgesellschaft zu fördern; legale Einwanderungswege nach Europa zu schaffen.

Hierzu gibt es auch eine ausführliche Stellungnahme als pdf.

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Dienstag, 15. September 2015
Grenzkontrollen
Nach der 'Willkommenskultur' nun die Grenzkontrollen. Dazu warum sie nötig sind, gibt es allerlei Begründungen. Die meisten davon verstehe ich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Registrierungen an den Grenzen einfacher sein sollen als in Großstädten. An der Schutzwürdigkeit der Migrierenden ändert sich durch die Grenzkontrollen auch nichts. Was allerdings wohl erreicht werden kann, ist, dass sich Deutschlands Image wieder ändert. Es wird signalisiert, wir wollen nicht willkommen heissen. Da die Menschen aber trotzdem weiter nach einem Ort für lebenswerten Leben suchen werden, ändert das wohl kaum etwas daran, dass viele nach Deutschland (als Wohnort oder Transitraum) kommen wollen. Sie werden wieder vermehrt auf Fluchthelfende (gemeinhin Schlepper genannt) zurückgreifen. Für deren Geschäft sind die Grenzkontrollen vermutlich hilfreich.

Die Grenzkontrollen fördern so das Geschäft (nicht nur) von kommerziellen Fluchthelfenden und gefährden damit die Migrierenden. Sie behindern grenzübergreifende Mobilität auch von Nicht-Migrierenden. Sie widersprechen der Idee der Europäischen Union. Sie versuchen Menschen davon abzuhalten, in Sicherheit zu kommen. Sie untergraben damit grundlegende Menschenrechte. Ohne aber Probleme zu lösen.

Und: Ja, wenn viele Menschen nach Deutschland flüchten, ist das eine Herausforderung für Organisation, Finanzen und Miteinander. Aber: Die Zahl der in Deutschland Schutz Suchenden ist sehr klein im Vergleich zu jenen in Ländern, die direkt an Konfliktgebiete grenzen. Dort müssen ganz andere Dimensionen organsiert werden. Konflikt und Krieg produzieren Probleme, die nicht einfach zu lösen sind. Am meisten leidet aber nicht Deutschland, sondern die Vertriebenen.

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Dienstag, 8. September 2015
Bewegend
Es bewegt mich, wenn ich die Berichte lese, sehe, höre. Lese, welche Wege Menschen auf sich nehmen, um ein besseres Leben erhoffen zu können, um überhaupt leben zu können. Höre, was Menschen auf diesen Wegen alles erleiden müssen, wie viele sie nicht überleben. Sehe, wie sich andere Menschen dafür engagieren, dass die Menschen willkommen geheißen werden, etwas zu trinken und essen bekommen. Es ist toll, dass sich so viele engagieren, sich einsetzen. Toll, dass Menschen wieder mehr Hoffnung bekommen können.

Es ist erschreckend, dass derweil weiter fast täglich (oder doch eher täglich)? Unterkünfte angegriffen werden, dass Menschen auch hier wieder in Gefahr geraten. Erschreckend, dass das Willkommen durchsetzt ist von der Forderung, dass nicht alle willkommen geheißen werden können. Dass die politischen Diskussionen sich weiter darum drehen, wie die Festung Europa gestärkt werden kann, wie verhindert werden soll, dass Menschen in Sicherheit kommen.

Emotional ein auf und ab. Ganz sicher zu hause. Mit anderen Dingen, die wichtig sind, beschäftigt. Überwältigt und überfordert. Und dankbar all denen, die sich engagieren. Voller Hoffnung, dass sich doch etwas positiv verändern kann. Und natürlich auch skeptisch, denn das habe ich gelernt.

Und hier noch was Analytischeres:

Auf dem Blog der feministischen Studien schreibt Gaby Dietze über die derzeitige Willkommenskultur und deutsche Exzeptionalismen. Sowohl positiv überrascht als auch skeptisch.

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Freitag, 28. August 2015
Ein Werk der Politik
Johannes Voggenhuber kommentiert auf derstandard.at, dass die Toten im Lastwagen nicht ein Werk der Schlepper sondern der Politik sind:

"Dieses Grauen ist das Werk einer Politik, die das Schlepperwesen erst hervorgebracht hat. Diese rechtlose Politik, die in ihrer Abschreckungswut jeden Fluchthelfer und jegliche Fluchthilfe kriminalisiert, ohne die doch Flucht niemals in der Menschheitsgeschichte gelingen konnte, diese Politik und nichts anderes treibt die Verzweifelten in die Fänge der Schlepper."

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Montag, 2. März 2015
Teurer Abschiebegewahrsam
Die taz berlin berichtet mal wieder über die horrenden Kosten, die Berlin auf sich nimmt, um einen Abschiebegewahrsam zu betreiben. Die taz zitiert den Landesrechnungshof:

"Deshalb fielen für den Berliner Landeshaushalt 2012 umgerechnet auf jeden Insassen pro Tag Kosten von 1.821 Euro an."

In der Diskussion ist daher, den Abschiebegewahrsam in Grünau zu schliessen und dafür einen neuen in der Nähe des Flughafens BER zu bauen. Der soll dann auch (wie der in Grünau) Abzuschiebende aus anderen Bundesländern aufnehmen.

Das würde zwar Geld sparen, ist aber weiterhin menschenunwürdig. Für die Abzuschiebenden aus anderen Bundeländern würde weiterhin gelten, dass sie aus ihren Strukturen und Unterstützer_innenkreisen herausgenommen würden.

Grünau muss ersatzlos geschlossen werden. Abschiebehaft abschaffen! Das spart viel Geld und wahrt Menschenwürde.

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