Montag, 14. August 2006
"Die pakistanische Bombe"
überschrieb die taz am Wochenende einen Kommentar von Daniel Bax und reproduzierte damit die allgemeinen islamophoben Ressentiments gegenüber 'BritInnen', die als 'Pakistanis' bezeichnet werden. Wie auch in anderen Medien sind die 'Pakistanis' das Problem, müssen den Terrorismus bekämpfen, etc. Eine Analyse, warum junge 'BritInnen' zu potentiellen TerroristInnen werden, fehlt.

Daniel Bax schreibt u.a.: "Schon seit der Rushdie-Affäre von 1989 ist klar, dass Großbritannien ein ernsthaftes Problem mit radikalen Muslimen hat." Auch hier ganz klar: Die 'Muslime' sind das Problem.

Dazu ein Zitat aus Zadie Smiths (2000) "White Teeth":

"To be more precise, Millat hadn't read it. Millat knew nothing about the writer, nothing about the book; could not identify the book if it lay in a pile of other books; could not pick out the writer in a line-up of other writers ... But he knew other things. He knew that he, Millat, was a Paki no matter where he came from, that he smelt of curry; had no sexual identity; took other people's jobs; or had no job and bummed off the state; or gave all the jobs to his relatives; that he could be a dentist or a shop-owner or a curry-shifter, but no footballer or a film-maker; that he should go back to his own country; or stay here and earn his bloody keep; that he worshipped elephants and wore turbans; that no one who looked like Millat, or felt like Millat, was ever on the news unless they had recently been murdered. In short, he knew he had no face in this country, no voice in the country, until the week before last when suddenly people like Millat were on every channel and every radio and every newspaper and they were angry, and Millat recognized the anger, thought it recognized him, and grabbed it with both hands."

Millat ist kein 'radikaler Muslim', zumindest ist das nicht der Grund, warum er nach Bradford fährt und an der Buchverbrennung teilnimmt. Das hat nichts mit seiner sogenannten 'Kultur' oder zugeschriebenen Religion zu tun. Millat macht zu viele Diskriminierungserfahrungen, hat kaum eine Chance und reagiert damit mit Aggressivität. Das ist ein Problem Großbritanniens - aber keines mit 'radikalen Muslimen'.

... comment

 
Bisschen einfach?
Ich glaube, Du machst es Dir in diesem Fall zu einfach. Ohne dass ich jetzt viel über die Situation von Migranten in Großbritannien wüsste: es kann doch nicht ausschließlich die Erfahrung von Diskriminierung sein, die einen dazu bringt, Anschläge zu planen, die eine ganze Reihe von Flugzeugen in die Luft gesprengt hätten. Glaubst Du wirklich, das Zadie Smith-Zitat kann man darauf anwenden?
Ich weiß, dass gerade in den Medien, die Diskriminierungserfahrung leicht ausgestrichen wird, wenn es um die lebensweltlichen Hintergründe von Migranten geht, insbesondere, wenn sie muslimischen Glaubens sind. Das ist natürlich falsch und gefährlich. Aber ich glaube, dass es genauso falsch ist, Leute pauschal aus jeder Verantwortung für ihr Tun heraus zu nehmen, indem man sagt - hey, es gibt nur ein Problem der Mehrheitsgesellschaft.

... link  


... comment
 
Wirklich
Wirklich. So wie ich das Zadie Smith-Zitat hier verstehe, geht es um eine Affekt-Handlung. So einen Anschlag zu planen, dafür braucht man ewig, das will geplant und durchdacht sein. Dafür baut man ein Netzwerk auf, dafür hat man auch Kontakte nach Pakistan. Das ist doch etwas komplett anderes.

... link  


... comment
 
Pauschalisierungen
sind immer problematisch. Ich will auch keine einfachen Erklärungsmuster für die Entstehung von terroristischen Taten anbieten. Ich halte es allerdings für ganz gefährlich, wenn man von jungen 'BritInnen' spricht diese pauschal als 'Muslime' oder aber 'Pakistanis' zu bezeichnen und dann in der so zugeschriebenen Religion oder 'Kultur' die Erklärungen für kriminelles Verhalten zu suchen. Nicht nur ist dies eine Diskriminierung und ein Ausgrenzen der Mehrheit aller 'Muslime' und 'Pakistanis', es ist auch eine zu einfache Erklärung für jene, die tatsächlich zu TerroristInnen werden.

Das Zitat von Zadie Smith bezieht sich auf die 'Rushdie-Affäre'. In ihm beschreibt Smith, wie ein Jugendlicher sich einer 'islamistischen' Aktion anschliesst, weil sie ihm eine positive Identifikationsmöglichkeit anbietet. Später im Buch versucht ein junger 'Islamist' Millat für seine Organisation zu gewinnen. Weiter habe ich noch nicht gelesen. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass Millat darauf eingeht und sich zum gewalttätigen 'Islamisten' entwickelt, der dann auch an einem lange geplanten terroristischen Anschlag teilnimmt (oder auch nicht). Dann würde er im Namen des 'Islams' handeln, aber nicht weil der 'Islam' oder sein 'Herkunft' ihm das nahelegt, sondern weil er durch die permanenten Diskriminierungserfahrungen offen für das Werben von 'Islamisten' war.

Meine Kritik richtet sich also dagegen von 'pakistanischen' Bomben zu sprechen, die 'Muslime' pauschal als terrorgefährlich darzustellen, gegen all diese diskriminierenden und ausgrenzenden Pauschalisierungen. Diese fördern die Terrorgefahr eher als dass sie sie abbauen.

... link  

 
Hm
Du weichst ein bisschen aus. Die entscheidende Frage ist doch, ob es zulässig ist (so wie Daniel das in seinem Text gemacht hat), davon zu sprechen, dass Großbritannien ein Problem mit "radikalen Muslims" hat, wenn es innerhalb kürzester Zeit eine große Anschlagserie gab und eine noch größere verhindert wurde. Oder ob das nicht zulässig ist. Du sagst, es ist nicht zulässig. Es gibt kein Problem bei den "radikalen Muslims". Es gibt nur eins bei der Mehrheitsgesellschaft und ihren diskriminierenden Ausschlussmechanismen. Aber das halte ich für Quatsch. Das ist strukturell das gleiche Argument, wie zu sagen dass es im Osten so viele Nazis gibt, weil so wenig Arbeitsplätze da sind.

... link  

 
Es wäre vieleicht zulässig
von 'radikalen Muslimen' zu sprechen, wenn die Terrorakte wirklich etwas mit Religion zu tun hätten. Das ist aber höchst unwahrscheinlich. Bei Terrorakten wird in der Regel Religion für andere Zwecke instrumentalisiert. Junge 'MigrantInnen der ersten, zweiten, dritten Generation', die von den Mehrheitsgesellschaften als 'Muslime' markiert werden, finden in 'muslimischen' und 'islamistischen' Vereinigungen positive Identifikationsangebote, die sie von der Mehrheitsgesellschaft in der Regel nicht bekommen.

Man könnte die Verhafteten auch als 'junge britische Männer' beschreiben. Terrorakte sind tendentiell eine Form der Auseinandersetzung, die eher 'Männer' als 'Frauen' wählen. Keiner würde aber auf die Idee kommen, pauschal von der Gefahr durch 'radikale junge Männer' zu sprechen.

Das interessante bei den Terrorakten ist doch, dass sie von 'Briten' und eben nicht 'Pakistanis' geplant und ausgeübt werden. Daniel Bax fragt das in seinem Kommentar ja auch. Nur sucht er nach den Gründen in Pakistan und nicht in Großbritannien. Meiner Meinung nach müssten sie aber zuerst in Großbritannien und erst in einem zweiten Schritt in Pakistan gesucht werden.

Die Überschrift des Kommentars "Die pakistanische Bombe" finde ich sehr problematisch. Sie macht ein Assoziationsfeld auf, in dem 'Pakistanis' und Waffen zusammengedacht werden und damit 'Pakistanis' generell als gefährlich dargestellt werden. Damit wird die Mehrheit der 'Pakistanis' sowie der 'BritInnen', 'Deutschen', 'AmerikanerInnen', etc., die als 'Pakistanis' bezeichnet werden, verunglimpft. Vor dem britischen Hintergrund, in dem der Begriff 'Paki' als Beleidung für all jene benutzt wird, denen man eine Herkunft aus Südasien unterstellt, ist eine solche Fokussierung auf 'pakistanisch' noch problematischer.

... link  

 
Ja
Ja klar. Da wurde ich Dir in fast allem zustimmen. Nur in einem nicht: dass die Terrorakte nichts mit Religion zu tun haben. Zuerst einmal markieren sich die Leute doch selbst als religiös. Oder nicht?

... link  

 
Ja, das tun sie
Aber warum tun sie es? Weil die Religion sie dazu motiviert? Oder weil Religion instrumentalisiert wird?

Wir haben gerade eine generell islamophobe Stimmung, in der der Islam für alles mögliche 'Böse' verantwortlich gemacht wird. In diesem Kontext halte ich es für nötig, genauer hinzuschauen, warum sich junge Menschen einer radikalen Strömung anschliessen und das ganz klar von der Religion als solchen trennen.

Siehe dazu auch die Dokumentation eines Workshops an der Viadrina.

... link  

 
Aber
Aber Religion an sich gibt es doch gar nicht. Die gibt es doch immer nur in den Köpfen. Ich kann den Unterschied nicht sehen zwischen "Religion, die zu diesem und jenem motivert" und "Religion, die zu diesem und jenem instrumentalisiert wird". Da ist es mir auch gleich, ob das Christen oder Juden oder Buddhisten oder Muslims sind. Es gibt liebe Kirchentagschristen und fiese Lebensschützer, das kann man wohl für alle Religionen durch deklinieren.
Aber dieses taktische Verhältnis zur Wahrheit halte ich für total falsch und politisch gefährlich. Nur weil es eine islamophobe Stimmung gibt, pauschal alle Leute, die sich auf den Islam berufen in Schutz zu nehmen. Da gibt es keinen Blumentopf zu gewinnen. Glaube ich.

... link  

 
Ich nehme sie nicht in Schutz
Die Taten und die TäterInnen sind zu verurteilen. Es geht mir um den öffentlichen Diskurs um die Taten und die TäterInnen und was dieser bewirkt. Mir geht es darum, zu ergründen wie es zu bestimmten Reaktionen kommt. Das heisst nicht, dass ich den Einzelnen aus der Verantwortung nehme. Aber da muss ich mich auch nicht drum kümmern, denn das macht die Justitz.

Mir geht es um Diskurse, die Konstruktion von öffentlichen Bildern und ihre Wirkung. 'Wahrheit' als solches gibt es nicht. Daher muss sich eine verantwortungsbewusste WissenschaftlerIn, JournalistIn, PolitkerIn, etc. auch immer damit befassen, in welcher Weise, das was sie tut produktiv ist (dazu auch die Dokumentation).

... link  

 
Okay
Danke für den Link. Ich les es mir durch.
Könntest Du mir eine Email-Adresse schicken, unter der ich Dich erreichen kann? rapp@taz.de
Danke.

... link  


... comment


To prevent spam abuse referrers and backlinks are displayed using client-side JavaScript code. Thus, you should enable the option to execute JavaScript code in your browser. Otherwise you will only see this information.