Mittwoch, 1. April 2020
Die Krise als Chance für Privilegierte
Vor einer guten Woche starteten Wissenschaftler_innen einen Offenen Brief Das Sommersemester 2020 muss ein „Nichtsemester“ werden.

Seitdem sind die Hochschulrektor_innen eifrig darum bemüht, gegen das Nichtsemester zu argumentieren (unter anderem an der HU, der Berliner Wissenschafts-Staatssekretär und der TU-Präsident und die German U15). Die HU-Präsidentin hat uns Mitarbeitende informiert:

"Diese Erfahrungen vor Augen fordert nun eine Gruppe von Lehrenden, dass das Sommersemester zwar stattfinden, aber nicht gewertet werden soll. Ich rate dringend davon ab. Eine solche Entscheidung würde nicht nur zur Unterbrechung der Bildungskette führen, sondern auch zu erheblichen organisatorischen und finanziellen Problemen, nicht zuletzt für die Studierenden. Ein volles Sommersemester ist eine Illusion, da sind wir sicher alle einig. Aber wie das Sommersemester zu einem „Flexi- und Experimentier-Semester“ umgebaut werden kann, das müssen wir miteinander abstimmen. Ich bin der Überzeugung: besser ein halbes Semester als gar keines. Wir sollten jetzt nicht die Segel streichen, sondern aus der Notsituation das Beste herausholen."

Dass es erhebliche organisatorische und finanzielle Herausforderungen produzieren würde, da hab ich keinen Zweifel. Dass ein abgespecktes Semester stattfinden soll, findet auch der Offene Brief. Dem Offenen Brief geht es aber darum, nicht zu ignorieren, dass manche (sowohl Mitarbeitende als auch Studierende) unter Corona mehr leiden als andere und dass wir nicht einfach so tun könnten, als ob alles so weiter gehen kann.

Der Offene Brief hat mittlerweile weiter konkretisiert:

"Nennen wir es NichtSemester, Fleximester, Optionalsemester, Kreativsemester …

Hauptsache, wir nehmen die aktuelle Lage an Hochschulen, Akademien und Universitäten nicht nur aus der Perspektive der Starken zur Kenntnis. Denn: Mindestens 85% der Lehrenden und Forschenden sind (sehr) prekär beschäftigt. Studierende, die erwerbstätig sind, Care-Verpflichtungen haben, über wackelige technische Infrastruktur und wenig Ressourcen verfügen, sind die Mehrheit, nicht die Ausnahme. Viele Studierende haben zudem Aufenthalts- und Visa-Probleme. Der akademische Normalbetrieb – das sind größtenteils keine privilegierten Professor_innen, sondern viele, die von der Covid-19-Krise direkt betroffen sind."


Deswegen fordert der Offene Brief:
  • Verlängerung der Verträge befristet beschäftigter Mitarbeiter*innen
  • Rücksicht auf Hochdeputatslehrende
  • Fristen verlängern oder aussetzen
  • Flexibilität für Studierende
Es geht darum Härten und Mehrbelastungen auszugleichen. Die Studierende mit drei Kindern, die sie zu hause betreuen muss, muss sich leisten können, das Semester ausfallen zu lassen. Die alleinerziehende wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Kita-Kind zu hause kann nicht voll arbeiten. Die Kollegin mit einem Deputat von 18 Semesterwochenstunden kann das unmöglich in digitaler Lehre leisten. (Alles Beispiele aus meinem Umfeld.) Darum geht es bei dem offenen Brief und nicht darum, dass wir nicht arbeiten wollen.

Das Kreativsemester ist nur eine Option für die Privilegierten unter uns, die sich ganz auf das Experiment digitale Lehre einlassen können und sich weiter keine Sorgen machen müssen. Wenn wir die Krise nur als Chance sehen, vergrößern wir die soziale Auslese an der Universität.

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