Montag, 12. April 2010
Diskriminierung von Ossis
Die taz berichtet heute in einer Kurzmeldung, dass eine Frau klagt, weil sie aufgrund ihrer ostdeutschen Herkunft abgelehnt wurde. Die taz hat auch einen längerern Hintergrundbericht online. In einem Kommentar argumentiert Daniel Bax, dass es sich um eine rassistische Ausgrenzung handelt.

Rassismus würde ich es nicht nennen (und auch den Begriff Ethnie [Nachtrag 21.06.10: nicht] nutzen). Denn das macht zum einen den Begriff Rassismus beliebig und zum anderen verdeckt es die Spezifik des Machtverhältnisses West-Ost. Meine Gedanken dazu in diesem Artikel.

Nachtrag 15.04.10: Da heute der Prozess beginnt hat auch der swr einen Artikel. Spannend wie um eine reale Diskriminierung anzuklagen, jetzt eine Ethnie konstruiert wird. Das erinnert mich an einen Fall in den 1990er in Britannien. Da war Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft verboten nicht aber aufgrund von Religion und so haben Sikhs argumentiert eine ethnische Gruppe (und nicht eine Religionsgemeinschaft) zu sein.

Diese Konstruktionen von kollektiven Identitäten sind nötig, da die Ausgrenzungen aufgrund von zugeschriebenen kollektiven Identitäten in unserem Rechtssystem nur so verfolgt werden können. [Nachtrag 21.06.10: Hier ist das Rechtssystem problematisch. Anstatt diskriminierende Zuschreibungen zu verfolgen, argumentiert es selbst auf Basis von essentialisierenden Zuschreibungen.]

Nachtrag 16.04.10: Der essentialisierenden Logik des AGG folgend kann die Diskriminierte sich nicht auf das AGG berufen, da sie nicht unter eine der angegebenen Kategorien fällt (siehe swr).

Ich kann es durchaus nachvollziehen, dass Ost-Sozialisierte nicht als Ethnie definiert werden (wobei Ethnie auch bei anderen Gruppen eine Konstruktion ist). Diskriminierung liegt aber (zumindest soweit ich den Fall aufgrund von Presseberichten beurteilen) kann durchaus vor. Das AGG kann mit seiner festschreibenden Logik damit allerdings nicht umgehen. Aber das soll das AGG wahrscheinlich auch gar nicht.

Nachtrag am Abend: antropologi.info hat noch weitere Informationen zusammengetragen. Unter anderem verlinkt antropologi.info zu einem Artikel in dem ein Berliner Wissenschaftler festlegt, wie lange es braucht, um eine Ethnie zu bilden. Er scheint zu argumentieren, dass es Ethnien aus sich heraus gibt.

Nachtrag 18.04.10: Hier noch der taz-Artikel zum Urteilsspruch.

Nachtrag 27.04.10: Ein weiterer Ethnologe hat sich auf stern.de zum Thema Ethnien und Ossis geäußert (via antropologi.info). Bierschenk weist auf den Konstruktionscharakter von Ethnien hin und weist die eindeutige Zugehörigkeit zu nur einer Ethnie zurück. Damit ist er sehr viel differenzierender und hinterfragender als Kaschuba. Aber auch er legt den Fokus auf Zusammengehörigkeit und nicht auf Ethnifizierung. Ich glaube nicht, dass 'Ossis' eine 'Wir'-Gruppe bilden. Ich beobachte aber sehr wohl, dass es eine Zuschreibung 'Ossi' gibt, die die so Bezeichneten zu einer homogenisierten Gruppe macht. Daher würde ich nicht sagen, dass 'Ossis' eine Ethnie sind (oder sonst irgendwer), sondern dass 'Ossis' als Gruppe konstruiert werden (unabhängig davon, wie sie sich fühlen oder bezeichnen).

Nachtrag 22.04.10: Die taz berichtet, dass in einem alternativen Cafe in Göttingen eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde nicht bedient wurde:

"Die Stadt prüfe, ob ein Verstoß gegen das Antidiskriminierungsgesetz oder Gaststättenrecht vorliege, und schließe rechtliche Schritte nicht aus, erklärte Detlef Johannson, Sprecher der Stadtverwaltung, der taz."

Ob das eine Diskriminierung aufgrund von ethnischer Herkunft oder 'Rasse' war?

Nachtrag 28.04.10: Laut taz hat das Cafe erklärt, dass es sich als ein antirassistisches Cafe versteht und die Frau (institutionell) für Abschiebungen verantwortlich ist. Die Mitarbeiterin der Ausländerbehörde wiederum behauptet, dass jemand rassistisches gar nicht in der Behörde arbeiten könne. In jedem Fall aber gilt:

"Rein rechtlich verfügt ein Wirt über das Hausrecht und kann jeden Gast hinauswerfen, sofern er diesen nicht wegen Ethnie, Rasse, Alter, Geschlecht, Weltanschauung, Religion oder sexueller Orientierung des Raumes verweist."

Nachtrag 29.04.10: Und wieder eine unsinnige Verwendung des Begriffs Rassismus in der taz:

"Rassismus von links

Entscheidung des Tages: Ein Göttinger Alternativcafé hat sich geweigert, einer Mitarbeiterin der Ausländerbehörde Frühstück zu servieren. Korrektes Verhalten?

...

40 Prozent Auf keinen Fall. Das ist Rassismus von links. "

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..ich glaube, in diesen Tagen bezeichnete jemand in der taz den Dietmar Dath'schen Vergleich zwischen Judensternen und Essengutscheinen fuer Asylbewerber als 'rassistisch'; man fragt sich hier, nach welcher 'theoretischen' Kategorie gewisse taz-Autoren agieren und vor allem: wie der Begriff Rassismus zugunsten der Anwendung auf verunglueckte Vergleiche und/oder altbekannte Ost-West-Befindlichkeiten in ein Diskursfeld gerueckt wird, das vor allem eines ist: weiss und deutsch. Hiermit verhoehnt man die wirklichen Opfer von alltaeglichem eklatanten Rassismus in Deutschland.

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..dass solche Konstruktionen zum Zwecke einer Anwendung des AGG in diesem Falle noetig sind, beleuchtet allerdings eher die zweifelhafte Formulierung des Gesetzes ('Rasse-Ethnie'), bei der es nicht einmal fuer den neurechten 'Kultur'begriff reichte. 'Ossis' sind aber weder eine 'Ethnie' noch eine vom Westen verschiedene Kultur, sie sind simplerweise eine durch die ueblichen deutsch-deutschen Regionalitaetsrivalitaeten, hier durch die juengere Geschichte vermittelt, 'benachteiligte' Gruppe. Solche Rivalitaeten haben in der 'deutschen' Geschichte offenbar eine lange Tradition und lassen sich bis ins Mittelalter zurueckverfolgen. Trotzdem waren etwa die 'Ostfriesen' niemals in vergleichbarerer Weise Verfolgungen ausgesetzt wie etwa die Juden und Roma und die Schwarzen in Deutschland. Dass du, liebe Urmila, diesen Momenten wissenschaftlich folgst, ist zu begruessen, gleichzeitig ist aber festzuhalten, dass der Diskurs hierueber offenbar ziemlich gut geeignet ist, von den grotesken wirklichen Diskriminierungen in Deutschland abzulenken, stattdessen weisse Deutsche als Opfer zu inszenieren, ich bezweifele dass jemals ein ostdeutscher Ingenieur 230 Bewerbungen ohne jede Resonanz verschickte, weil in seinem Briefkopf 'Chemnitz' stand. Diese Verschiebung von Nord-Sued-Diskurs zum Ost-West-Diskurs war seinerzeit von May Ayim als die ueberragende Veraenderung deutscher Diskurs-Polaritaeten nach dem Mauerfall angefuehrt worden.

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@andreas24:
gleichzeitig ist aber festzuhalten, dass der Diskurs hierueber offenbar ziemlich gut geeignet ist, von den grotesken wirklichen Diskriminierungen in Deutschland abzulenken, stattdessen weisse Deutsche als Opfer zu inszenieren,

Hm, dieser Logik vermag ich nicht so recht zu folgen. Demnach könnte man auch argumentieren, wenn irgendwo darüber berichtet wird, dass jemand angefahren und verletzt wurde, sei das geeignet, von den Tausenden Verkehrstoten (oder vom Klimawandel, Peak-Oil-Problem oder was auch immer) abzulenken.

Ich sehe diesen Fall als eine weitere Facette eines komplexen Themas - aber nicht zwingend als ein Vehikel, das geeignet wäre, die "wirklichen Diskrimierungen in Deutschland" gegenstandslos zu machen. Was ist verkehrt daran, wenn über diesen Umweg womöglich mehr Bewusstsein für Diskriminierung und Ausgrenzungsmechanismen entsteht?

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May Ayim, und ich halte sie fuer eine Expertin in diesen Fragen, hat jene Bemerkung zur Verschiebung der Diskursachsen schon kurz nach dem Mauerfall gemacht, niemand behauptet, dass Ostdeutsche nicht aufgrund eines Machtgefaelles diskriminiert wurden und werden, aber der Diskurs darueber findet nicht im luftleeren Raum statt. Aehnlich wie die Berichterstatung ueber einen besonders heissen Sommertag das Bewusstsein fuer 'global warming' eher nicht schaerft, tut es die 'Ossi'-Diskriminierungs-Kategorie in Bezug auf Rassismus, auch wenn die 'weisse' taz das glaubt. Im Gegenteil, und jetzt kommt ein Klischee, wird und wurde die Ossi-Diskriminierung nicht selten zu Rechtfertigungen fuer etwaigen Rechtsradikalismus und Rassismus in gewissen 'benachteiligten' ostdeutschen Regionen genutzt, zumindest mir gegenueber aeusserte man sich schon so.

noch einmal: wurden jemals weisse Ostdeutsche in Deutschland von einer Horde Rassisten durch Ortschaften gejagt um sich bei ihrer Flucht toedliche Verletzungen zuzufuegen, werden sie wegen ihres Ossi-Seins zum Ziel von willkuerlichen Polizeikontrollen, wird ihnen nahegelegt, auszuziehen, weil die Mieterschaft nicht mit ihrer Herkunft einverstanden sei, werden sie willkuerlich mit angeblichen Drogenhaendlern gleichgesetzt oder verwechselt und deshalb von der Polizei zusammengeschlagen, werden Ossis in Parks Ziel von kollektiv 'rassifizierenden' Polizeieinsaetzen, bekommen sie niemals eine Wohnung, wenn ein Westdeutscher unter den Berwerbern ist, finden sie keine Nachmieter, wenn sie ausziehen, bekommen sie fuer IRGENDWELCHE Staaten keine Visa, wenn sie dort wissenschaftliche Tagungen besuchen wollen, verwehrt man ihnen die Einreise zu sportlichen Wettkaempfen weil sie Ossis sind, bezeichnet man ihre Einwanderung in Sueddeutschland in Tageszeitungen als 'ungebremst', wird ihre schiere Zahl in westdeutschen Wohnbezirken zum Risikofaktor ernannt?

Mal nachdenken, vielleicht.

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Ich wüßte nicht, wo ich dafür plädiert hätte, das was Ossis widerfährt mit dem gleichzusetzen, was Du "wirkliche Diskriminierung" nennst. Mit ging es nur um die Logik, über das eine dürfe man nicht sprechen, weil das womöglich den Blick auf das andere (in dem Fall: Schlimmere) verstelle.

Und was nun diese Verschiebung der Diskursachse angeht: Das war natürlich völlig richtig beobachtet, dass man nach dem Mauerfall hierzulande streckenweise den Eindruck bekommen musste, der Weltmittelpunkt habe sich in die Gebiete zwischen Suhl und Sassnitz verlagert. Und klar, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und den Transformationsprozessen in Osteuropa haben sich natürlich Perspektiven verschoben, da war auf der Ost-West-Achse (zumindest gefühlt) eben mehr Veränderung und Dynamik drin als auf der Nord-Süd-Achse.
Ja, und?

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es ging weniger darum, ob du fuer etwas plaedierst haettest, sondern ob ein gleichsetzender Diskurs darueber in Deutschland geeignet ist, das Thema Rassismus zu bagatellisieren oder hiervon abzulenken. Es ging auch nicht um voruebergehende und am Phaenomen orientierte Verschiebungen von Diskursachsen, sondern um grundlegende Veraenderungen gesellschaftlichen Selbstverstaendnisses.

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