Montag, 28. März 2016
Berlinale: Authentizität und Repräsentation
Mit meiner Berlinale-Berichterstattung bin ich hoffnungslos im Rückstand. Es war zu viel los. Auf meinem Schreibtisch und in der Welt. Aber zumindest zu einem Thema, das mir bei der Berlinale immer wieder begegnet ist, will ich bloggen: zur Frage von Authentizität und Repräsentation.

Beim Filmgespräch nach dem rumänischen Spielfilm Ilegitim erklärte der Regisseur, dass es sein Ziel gewesen sei, dass die Schauspieler_innen möglichst authentisch spielen (und was er dafür gemacht hat). Den Film fand ich durchaus sehenswert, den Anspruch an Authentizität (bei einem fiktiven Stoff) allerdings verwirrend. Das lag sicher auch daran, dass ich vorher zwei Filme meiner Lieblings-Dokumentarfilmenden von Pong gesehen hatte und diese genau das Gegenteil anstreben. Ihnen ist es in ihren Filmen immer wieder wichtig, den Konstruktionscharakter von Filmen (auch Dokumentarfilmen) offenzulegen und die Frage der Repräsentation zu thematisieren.



Im Film Havarie haben sie sich entschieden auf ihr gesamtes gefilmtes Material zu verzichten. Angesichts der in den letzten Jahren entstandenen Masse von personalisierten Geschichten über Flucht (über das Mittelmeer) wollten sie keine weitere hinzufügen. Sie wollten nicht so tun, als ob sich die Filmschauenden in die Flüchtenden hineinversetzen könnten, mit ihnen auf Augenhöhe seien. Stattdessen wollten sie die bestehende Asymmetrie darstellen (siehe z.B. dieses Interview). Und so entschiedenen sie sich einen dreieinhalb minütiges Video, das der Ausgangspunkt ihrer Recherche war, auf 90 Minuten zu verlängern. Die Filmschauende blickt mit dem Drehenden von einem Kreuzfahrtschiff auf ein havariertes Schlauchboot, hört den Funkverkehr des Kreuzfahrtschiffes mit der Seenotrettung und Erzählungen von Menschen, die rund um das Mittelmeer auf die ein oder andere Weise mit der Flucht über das Meer zu tun haben. Kein Film zum Wohlfühlen. Ein Film zum Nachdenken, sich mit sich auseinandersetzen. (Und wer wie ich den Krimi Havarie gelesen hat, kann dessen Inhalte in den Film projizieren. Was wiederum andere Fragen aufwirft, insbesondere ob ich damit doch wieder eine Augenhöhe herstellen will.)



Der andere Film von Pong war ganz anders und doch ähnlich. Die Entstehungsgeschichte von And-ek ghes geht auf den Film Revision zurück. Bei diesem lernte das Pong-Team Colorado Velcu kennen. Bei Revision war er einer der Protagonist_innen, bei And-ek ghes einer von zwei Regisseuren. Pong überließ Velcu und seiner Familie nicht nur Kameras, um von ihrem Leben zu erzählen, sie entwickelten den Film auch zusammen mit ihm und ihnen und traten gleichberechtigt mit ihnen bei der Berlinale und bei Pressegesprächen auf. Es war kein Film aus der dominanzdeutschen Perspektive über die Familie sondern ein Film der Familie über sich und über das Drehen eines Filmes. Und mit einem wunderbaren Film-Song im Bollywood-Stil (das gab Szenenapplaus bei der Premiere).

Der Dokumentarfilm Les Sauteurs hat Ähnlichkeiten mit Havarie und And-ek ghes. Es geht um den Versuch der Migration nach Europa (über Melilla) und die Filmemacher haben ihrem Protagonisten eine Kamera gegeben. Eindrücklich filmt der sein Leben in einem Camp in der Nähe von Melilla. Anders als bei Pong Colorado Velcu wird bei Les Sauteurs Abou Bakar Sidibé allerdings nicht gleichberechtigt als Regisseur eingebunden. Er ist Protagonist und Kameramann, aber die europäischen Filmemacher entscheiden alleine, was aus dem Material wird. Schade, dass sie da nicht weiter gegangen sind.

Im völligen Kontrast zu And-ek Ghes steht der Dokumentarfilm Valentina. Nicht mit einer wackligen Handkamera gedreht. Perfekt ausgeleuchtete, ausgewählte, wunderschöne Bilder in schwarz-weiß. Und keinerlei Autor_innenschaft der Protagonist_innen. Außer der Tochter der Familie darf keine_r reden. Dafür wird immer wieder auf ihre elenden Wohn- und Lebensverhältnisse fokussiert. Während die Familie von Colorado Velcu ihre Geschichte erzählt, wird die Familie von Valentina vorgeführt. Und am Ende der Veranstaltung dann Geld für den Vater gesammelt.

Im Gegensatz zu den Filmemacher_innen von Valentina hat sich der von Makhdoumin viele Gedanken darüber gemacht, wer wen wie repräsentiert. Wie bei den Pong-Filmen war auch hier das Filmgespräch sehr spannend. Maher Abi Samra dokumentiert die Vermittlung von ausländischen Hausmädchen im Libanon. Dabei richtet er die Kamera bewusst auf die Agentur, die Arbeitgeber_innen und ihre Wohnungen. Die Hausmädchen bleiben wie in der libanesischen Gesellschaft im Hintergrund. Der Filmemacher belässt es aber nicht dabei, zu zeigen wie Andere über Hausmädchen reden, er thematisiert auch seine eigenen Verstrickungen.

Etwas ratlos ließen mich hingegen die Dokumentarfilme Mariupolis (ohne Filmgespräch) und Hotel Dallas zurück. Der erste, weil mir die Bilder zu unkommentiert waren. Der zweite, weil mich das fiktive/ künstlerische Element nicht angesprochen hat.

Verärgert hat mich der Film The Lovers and the Despot. Leider gab es kein Filmgespräch mehr (am Ende der Berlinale). Ich hätte gerne gewusst, was die Filmemacher_innen mit dem Film bezweckten. Es gab eine Geschichte (ein Film-Paar, das aus Südkorea nach Nordkorea entführt wird, um Filme zu machen), die mit ganz viel Filmmaterial unterlegt war, bei dem nie klar war, woher es kam (für den Film nachgestellt, aus einem Spielfilm, dokumentarisch?). Am Ende hatte ich das Gefühl zurück im Kalten Krieg zu sein (was Korea ja noch ist) und einen Propaganda-Film gesehen zu haben. Auch eine spannende Erfahrung.

Bei den sehenswerten Kinderfilm Rara (den fand ich aus vielerlei Hinsicht toll) und dem Jugendfilm Sairat bestand die Authentizität unter anderem darin, dass es kein Happy End gab. Die gesellschaftlichen Machtungleichheiten schlugen am Ende jeweils zu.

Die Berlinale war mal wieder sehr anregend. Auch mit den Filmen, die ich nicht mochte.

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