Sonntag, 15. November 2015
Kategorisierungen
Die letzten Tage war ich auf der Tagung "Postmigrantische Gesellschaft?!" des Rats für Migration. Da ging es unter anderem auch um Kategorisierungen und Datenerhebung. Ich verstehe schon, warum bestimmte Daten erhoben werden sollen, insbesondere dann, wenn es darum geht Diskriminierungen nachzuweisen. Aber gleichzeitig fühle ich mich auch immer unwohl damit, wenn ich in eine Schublade gesteckt werden soll.

Als ich 1997 mein Studium an der SOAS in London begann, musste ich ein ethnic monitoring Formular ausfüllen und kreuzte "Other Other" an. Eine ziemliche Othering-Erfahrung. Denn das Ankreuzen machte mir klarer als vorher, zu welchen Kategorien ich nicht gehöre bzw. gehören kann und dass es für mich keine eigene Kategorie gibt.

In Deutschland habe ich mittlerweile einen Migrationshintergrund. Ab und zu wird der abgefragt (z.B. Anfang letzten Jahres). Zum Beispiel wenn mensch sich arbeitslos meldet. Das habe ich kürzlich gemacht. Für mich überraschend wurde ich nach meiner Staatsangehörigkeit gefragt, nach meinem Geburtsort und dem meiner Eltern. Bei letzterer Frage wurde mir klar, wohin die Fragerei führen sollte und ich antwortete, dass ich einen Migrationshintergrund hätte. Was die Arbeitsagentur nun mit der Information machen will, ist mir aber völlig unklar. Was sagt der Migrationshintergrund über meine Arbeitslosigkeit aus?

Und damit zurück zur Konferenz. Ein Vorschlag (aus rassismuskritischer Perspektive) war ethnische Zugehörigkeit abzufragen. Aber was kommt dabei raus? Ich habe keine. Also könnte ich wieder so was wie "Other Other" ankreuzen. Oder ich könnte mir eine angebotene aussuchen. So z.B. "Deutsch". Aber was soll das sein? Und was hilft das irgendwem, wenn ich das angebe. Meine Erfahrungen von Zugehörigkeit gibt das nicht wieder. Genauso wenig würde "Indisch" passen. Selbst InderKinder würde nicht viel aussagen.

Diese Kategorisierungen sind Krückstöcke, die einigermassen für die funktionieren, die sich einer Schublade zugehörig fühlen wollen/können. Aber auch dann sagen sie wenig aus.

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Donnerstag, 15. Januar 2015
Pegida Statistiken
Seit gestern schwirren Daten zu Pegida-Demonstrant_innen der TU-Dresden durch die Medien. Auch die taz macht mit. Da lese ich:

"Laut der Studie sind Pegida-Teilnehmer zu drei Vierteln männlich und im Schnitt 48 Jahre alt. "

und wundere mich. Denn alle qualitativen Berichte, die ich bisher zu den Demonstrationen gelesen und gehört haben, berichten, dass vor allem junge Männer und alte Männer an den Demonstrationen teilnehmen. Ein Durchschnittsalter von 48 Jahren wäre dann ein blödsinniger Mittelwert, da er genau zwischen die beiden Gruppen fallen würde und einen ganz falschen Eindruck vermitteln würde. Ich ärgere mich also mal wieder über den stümperhaften Umgang mit Statistiken und mache mich auf die Suche nach den Original-Statistiken, um mir die Altersverteilung anzuschauen. Über die Pressemitteilung der TU Dresden, wo nichts differenziertes drin steht, komme ich zu einer Präsentation des Studienleiters Vorländer und da zu einer Altersverteilung. Zu meiner großen Überraschung zeigt diese, dass 37% der Befragten tatsächlich zwischen 40 und 60 Jahre alt war und die Streuung unauffällig ist.

Das passt überhaupt nicht zu den Eindrücken, die sonst geschildert werden und deutet auf ein noch größeres Problem der Studie hin, dass in der taz auch angesprochen wurde, ich aber überlesen habe:

"Nur ein gutes Drittel der Angesprochenen war auskunftsbereit. Das relativiert die statistische Relevanz der 400 verwertbaren Antworten. "

Relativiert ist wohl leicht untertrieben. Stefan Niggemeier führt sehr schön aus (und verlinkt noch andere Blogger_innen, die das tun), dass davon auszugehen ist, dass diese Studie eher nichts über die Gesamtheit der Demonstrant_innen aussagt (sondern nur über jene, die bereit sind mit Wissenschaftler_innen zu sprechen, was ein nicht zufälliger Teil ist). Niggemeier kommt zu dem treffenden Schluss:

"Zutreffender ist vermutlich eine andere Aussage: Der typische Pegida-Demonstrant nimmt ungern an Umfragen teil. Zwei Drittel derjenigen, die dafür angesprochen wurden, lehnten hier ab. "

Warum werden solche nichtssagenden Statistiken so gerne von der Öffentlichkeit aufgegriffen? Wieso strahlen Prozentzahlen solche Faszination aus, dass sie auch genutzt werden, wenn ihre Aussagekraft in Frage gezogen werden?

Nachtrag 19.01.15: Jetzt berichtet tagesschau.de über eine Studie mit 123 (nicht zufälligen) Antwortenden. Was soll das? Was für eine Aussagekraft soll das haben?

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Montag, 29. Juli 2013
Zahlenvergleiche
In einem taz-Artikel über einen Fischer steht folgender bedeutungsschwerer Satz:

"Und der Hering brachte eine Ostmark pro Kilo. Heute zahlt der Großhandel 40 bis 50 Cent."

Was will uns dieser Satz sagen?
Dass 1 Ostmark mehr ist als 40 bis 50 Cent?
Wenn ja, auf welcher Grundlage?
Umrechnungskurs 1 Ostmark = 1 DM, 2 DM = 1 €?
Und dann fehlt der Inflationsausgleich? Seit wann? War der Preis in der DDR 40 Jahr lang gleich und kann daher mit heute verglichen werden?

Warum Zahlen nennen, wenn ihr Aussagewert ohne zusätzliche Informationen gleich Nul ist?

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Dienstag, 21. Mai 2013
Umfragen
Die taz meldet:

"Zwei neue Umfragen zu Steuererhöhungen und der Vermögensverteilung in Deutschland kommen zu gegenteiligen Ergebnissen. TNS Infratest ermittelte im Auftrag des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes eine Dreiviertelmehrheit in der Bevölkerung, die sich für eine stärkere Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen ausspricht.

Eine Emnid-Umfrage im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) zu den Steuerplänen der Opposition kommt hingegen zu dem Ergebnis, dass eine Mehrheit von 63 Prozent die von den Grünen geplante Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent ablehnt."


Das zeigt, wie vorsichtig Umfragen zu interpretieren sind. Eigentlich müsste mensch sich immer erst genau ansehen, welche Fragen wem gestellt wurden und wie diese ausgewertet wurden, um überhaupt einen Anhaltspunkt dafür zu haben, worüber die Umfragen vielleicht was aussagen könnten.

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Samstag, 24. November 2012
Mehr Frauen?
Das DIW betitelt eine Pressemitteilung mit "Auto-Mobilität: Mehr Frauen und ältere Menschen am Steuer". In der taz ist dazu zu lesen:

"Frauen - über alle Altersgruppen gesehen - nennen häufiger ein privates Kraftfahrzeug ihr Eigen und nutzen es auch öfter als vor zehn Jahren, während Männer diesbezüglich bescheidener geworden sind."

Irgendwie bekomme ich beim Lesen das Gefühl, dass Frauen jetzt besonders häufig hinter dem Lenkrad sitzen. Dass sie im Gegensatz zu Männern nicht umweltbewusster werden und häufiger andere Verkehrsmittel wählen. Die Frauen als Umweltsäue.

Sowohl der taz-Artikel wie die DIW-Pressemitteilung zeigen aber mal wieder die Schwierigkeiten der Interpretation von statistischen Daten. In der Pressemitteilung steht:

"Frauen spielen eine immer wichtigere Rolle im Pkw-Verkehr: Auf 1 000 Frauen kommen heute 400 Autos, vor zehn Jahren waren es rund 280 Autos. 1 000 Männer teilen sich rechnerisch etwa 715 Fahrzeuge."

Die Überschrift dazu könnte auch lauten: "Fast doppelt so viele Männer haben Autos". Denn 715 von 1000 Männer haben ein Auto, aber nur 400 von 1000 Frauen. Wieviele Autos 1000 Männer vor zehn Jahren hatten, teilt die Pressemitteilung nicht mit. Auf dieser Grundlage kann ich also nicht feststellen, wie sich das Verhältnis von Frauen-Autos zu Männer-Autos verändert hat. Ist es gleich geblieben? Hat sich der Abstand verringert oder vergrößert? Wenn diese Information vorliegen würde, liesse sich etwas über die Veränderung des Gender-Unterschieds aussagen.

Auf Basis der vorliegenden Statistik liesse sich auch titeln: "Frauen weiterhin viel umweltbewusster als Männer - sie verweigern sich der Angleichung im Autobesitz" oder "Frauen scheinen weiterhin über weniger ökonomische Ressourcen zu verfügen" oder ....

Anhand der explizit angebenen Statistiken lässt sich schön sehen, wer als normal angesehen wird und deswegen nicht besonders betrachtet werden muss: der mittelalte Mann. Über den erfahren wir nur indirekt etwas, dadurch das die Jungen, die Alten und die Frauen in Bezug zu ihm gesetzt werden.

Dass Männer bescheidener geworden sind, kann ich aus den Daten hingegen nicht ersehen.

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Mittwoch, 2. Juli 2008
BerlinerInnen mit Migrationshintergrund
"Ein Viertel aller BerlinerInnen sind eingewandert oder Nachkommen von EinwanderInnen. Das geht aus einer Analyse melderechtlicher Daten hervor, die das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg am Dienstag gemeinsam mit dem Integrationsbeauftragten des Senats, Günter Piening, vorstellte." berichtet die taz.

Woher wissen die das? Welche Daten haben die über mich, dass sie meinen Migrationshintergrund feststellen können? Und wenn sie keine haben, wie können sie dann die Zahl derer mit Migrationshintergrund angeben?

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