Mittwoch, 28. Mai 2014
Kategorisierungen
Ich stehe bei einem universitären Empfang rum und unterhalte mich. Mit einer ehemaligen Teilnehmerin eines rassismuskritischen Workshops. Über rassismuskritischen Aktivismus, Workshops, Erfahrungen, etc. Dabei spreche ich auch von zwei Kolleginnen, mit denen ich zusammen gearbeitet habe. Da schaltet sich eine dritte Person ins Gespräch ein. Will wissen, ob wir alle drei weiß gewesen wären. Wie das Team zusammengesetzt war. Ich verweigere mich der Antwort. Verstehe nicht, warum die Frage (in diesem Gespräch, an dieser Stelle, von dieser Fragenden) relevant sein sollte. Stelle mehrmals die Frage zurück, ob die Person mich jetzt als weiß kategorisiert hat. Die Person wird immer pampiger, empfindet sich offensichtlich im Recht von mir zu erfahren, wie unser Team in Kategorien weiß, PoC und schwarz zusammengesetzt war. Und wie ich mich identifiziere (und vermutlich: weshalb).

Später fragt mich der Mit-Zwanziger (ziemlich wahrscheinlich mit PoC-Identifikation, ich habe ihn nicht gefragt), ob ich an der Uni studiere. Ob er auch so pampig gewesen wäre, wenn er gemerkt hätte, dass ich zwanzig Jahre älter als er bin? Wenn er mich als männlich wahrgenommen hätte? Wenn er mir meinen ehemaligen Prof-Status angesehen hätte? Wenn er mich eindeutig als PoC oder schwarz einordnen hätte können?

Kategorisierungen sind relevant. Sie sortieren uns die Umwelt, helfen uns uns zu orientieren, bestimmen unser Verhalten. Und sie sind höchst problematisch. Sowohl die Kategorisierungen, die wir von anderen Menschen machen, ohne dass wir viel über sie wissen. Sowie die Kategorisierungen, die wir von anderen über sich selbst einfordern.

Politiken, die darauf bestehen, dass sich jede_r jederzeit bereit erklärt, sich in bestimmten Kategorien einfach einsortieren zu lassen, sind problematisch.

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Sonntag, 21. Oktober 2012
Kritisch-weiße Fallen
Eine Auseinandersetzung mit Privilegien in ungleichen Machtverhältnissen ist wichtig. Die kritische Weißseinsforschung hat mir hierbei einige Perspektiven eröffnet. In meine Forschung und Trainings fließen diese ein, wobei ich mich aber sowohl aufgrund meiner praktischen Bildungsarbeit als auch aufgrund theoretischer Überlegungen immer mehr von den theoretischen und politisch-aktivistischen Umsetzungen der kritischen Weißseinsforschung in Deutschland distanziere. Kurz zusammenfassen lässt sich meine Kritik mit den drei Kritikpunkten, die Paul Mecheril an antirassistischen Ansätzen (in Einführung in die Migrationspädagogik, Beltz-Verlag, 2004) formuliert: den Tendenzen zur Reduktion, Moralismus und Essentialismus.

Aus aktuellem Anlass will ich zwei kritisch-weiße Fallen beschreiben, in die insbesondere neu konvertierte Kritisch-Weiße gerne fallen:

Das erste ist die Forderung nach (ritualisierter) Positionierung. Dabei geht es darum, dass jede_r Mensch aus einer bestimmten sozialen Positionierung spricht und dies reflektieren sollte – soweit kann ich durchaus mitgehen. Darin enthalten ist aber auch, dass diese Positionierung einfach formulierbar ist und dass es produktiv ist, wenn man dies öffentlich macht. Daran habe ich erhebliche Zweifel, zum einen da soziale Positionierungen in der Regel komplex und ambivalent sind und zum anderen die öffentliche Beichte (daran erinnert mich dieser Zwang zur Positionierung) von Privilegien an sich gar nichts bringt.

Wenn nun Kritisch-Weiße jemenschen zur Positionierung auffordern, geht das zudem mit einer (gewaltvollen) Zuschreibung und Eingriff in die Privatspähre einher. Denn soweit ich verstanden habe, sollen sich ja nur Weiße öffentlich positionieren. Wenn also jemensch zum Positionieren aufgefordert wird, wird der Status Weiße zugeschrieben. Aus welcher Position heraus aber nehmen sich die Kritisch-Weißen das Recht, jemenschen so zu kategorisieren und eine Stellungnahme dazu einzufordern? Aus meiner Bildungspraxis weiß ich, dass meine Kategorisierung von jemenschen als im Rassismus privilegiert immer mal wieder nicht stimmt. Und ich habe auch keine Lust, meine Biographie offenzulegen, um von einer Kritisch-Weißen eine Absolution für mein Forschungsthema zu bekommen.

Und damit zur zweiten Falle: Immer wieder erlebe ich es, dass (neu konvertierte) Kritisch-Weiße Schwierigkeiten haben, analytische Kritik zu verstehen, und nur in Kategorien von Betroffenheit denken und handeln können. So ist es mir schon verschiedentlich passiert, dass ich Aussagen kritisch analysiert und zum Beispiel auf darin enthaltene potentielle Gewalt kommentiert habe, bei den Kritisch-Weißen aber ankommt, dass sie mich verletzt hätten und deswegen ihr Handeln falsch gewesen sei. Das ist kritisch-weiße Allmachtsphantasie. Ich weiß, was ich tue, wenn ich Bildungsarbeit mache. Ich weiß, dass ich mit unreflektierten Aussagen und Handlungen umgehen muss. Das gehört zu meiner Tätigkeit dazu.

Nur in Kategorien von Verletzungen und Schuld zu denken, verhindert eine Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten machtkritischen Handelns. Sich ganz auf das Büßen für eigene Schuld zu konzentrieren, verhindert ein Weiterentwickeln. Den Workshop zu verlassen, weil mensch meint, mich so schützen zu müssen, ist der denkbar schlechteste Weg, um mit meiner analytischen Kritik umzugehen. Sich der Kritik weiter auszusetzen und mit ihr umzugehen wäre produktiver.

Beichten und Büßen ist keine produktive Rassismuskritik. Absolution gibt es nicht. Rassismuskritik heißt für mich, sich mit Komplexitäten und Ambivalenzen auseinanderzusetzen und sie auszuhalten, sich Kritik aussetzen und daraus zu lernen sowie mit sich und anderen fehlerfreundlich umzugehen – weg von Reduktion, Moralismus und Essentialismus.

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