Dienstag, 26. Juli 2011
Genderkonstruktionen zu Marokko
Martin Reichert scheint vor kurzen mit Kolleg_innen in Marokko gewesen zu sein und hat dieses wenig informative Interview mit zwei Sexarbeiterinnen mit formuliert. Auf die Inhalte will ich hier nicht eingehen, aber auf die Inszenierung drum rum. In der Print-Sonntagtaz werden die Journalist_innen wie folgt beschrieben:

"Jana Petersen, 33, war in Marokko eine gefügige Ehefrau
Martin Reichert, 38, machte Zwangsurlaub vom Schwulsein
Khalid El Kaoutit, 35, reiste in ein fremd gewordenes Früher"


Das Interview beginnen sie mit:

"Wir müssen Ihnen erst mal gestehen, dass wir in Marokko der Familie von Khalid El Kaoutit zuliebe ein Doppelleben führen. Jana Petersen tritt als Ehefrau von Martin Reichert auf, obwohl er in Deutschland mit einem Mann verheiratet ist."

Das verstehe ich nicht.

Ich kenne es ja durchaus, dass ich meiner Familie (in Indien und Deutschland) nicht unbedingt mein nicht-heteronormatives Begehren auf die Nase binden muss. Aber wenn ich irgenwohin eine weibliche und einen männlichen Freund_in/ Bekannte mitbringe und diese nicht zusammen in einem Bett schlafen wollen, wüsste ich nicht, warum ich sie als verheiratet ausgeben sollte. In manchen Kontexten kann es für Frauen vielleicht strategisch klug sein, sich als verheiratet auszugeben. Aber der Ehemann muss ja nicht dabei sein.

Und wenn es für die Familie tatsächlich ein Problem sein sollte, wenn zwei nicht miteinander verheiratete Personen zu ihnen kommen, dann hätten Reichert und Petersen ja nicht zu dieser Familie gehen müssen (und ihre Gastfreundschaft ausnutzen müssen?).

Ich verstehe auch nicht, was Reichert meint, wenn er Zwangsurlaub vom Schwulsein machen muss. Meint er, dass er es nicht sagt? Dann würde ich ihn ja immer noch für schwul halten, halt nur vorübergehend im Schrank? Oder musste er seine Sexualität in irgendeiner Form vorübergehend aufgeben?

Und warum muss seine angebliche Ehefrau gefügig sein? Wünscht er sich das?

Seltsame Konstruktionen.

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Sonntag, 24. April 2011
Sünde
"dass er Schwule und Lesben nicht hasse, aber das Ausleben von Homosexualität, das sei eben Sünde"

Eine solche Aussage habe ich schon von Christ_innen gehört. Ist das nicht auch die offizielle Haltung der katholischen Kirche? Begehren fühlen darf mensch, aber nicht ausleben? Diese Aussage ist also Teil des deutschen Diskurses, die Heteronormativität erhalten will. Das Zitat stammt aber von einem muslimischen Prediger oder "islamistisch" wie die taz schreibt. Die schreibt auch:

"Der islamistische Prediger mit jamaikanischen Wurzeln wird ausgewiesen - weil er "geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören"."

Könnte das auch einem christlichen (fundamentalistischen) Prediger passieren? Bestünde die Gefahr, dass der Papst ausgewiesen würde, wenn er ähnliches sagte? (Zu Protesten gegen den Papstbesuch in Berlin siehe sonntaz-Gespräch.)

Ausweisung scheint mir kein sinnvoller Umgang mit der heteronormativen Homophobie.

Nachtrag 09.05.11: Laut dem schwulen Theologen David Berger, der nicht mehr lehren darf, im taz-Interview krtitisiert die katholische Kirche nicht nur gleichgeschlechtliche Sexualität:

"was sich in der katholischen Kirche spätestens seit dem Pontifikatswechsel 2005 abzeichnet: eine Radikalisierung der Positionen im Hinblick auf Homosexualität. Viele sind aus Karrieregründen konservativer geworden. Nicht mehr "nur" die ausgeübte Sexualität wird als Sünde betrachtet, sondern schon die Veranlagung an sich wird verurteilt."

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Samstag, 3. Juli 2010
Hintergründe für Butlers Ablehnung des Preises
Nachdem die taz bisher ausschliesslich den homonationalistischen Reaktionen auf Butlers Ablehnung des Zivilcourage-Preises Platz geben hat, lässt sie nun auch zehn Tage nach dem Ereignis andere Stimmen zu Wort kommen.

Am Donnerstag druckte sie ein Interview mit Judith Butler. Die taz-Fragen sind durch Abwehr gekennzeichnet. Der Veweis auf die Simon-Studie ist fraglich - es sei den Butler wurde die Studie vorher zur Verfügung gestellt. Der Die Übersetzung erscheint fragwürdig. Butler hat sicher nicht von farbigen Queers gesprochen - Queers of Colour lässt sich so nicht übersetzen, den das ist ein politischer Begriff, der sich im Deutschen auch klar von dem Begriff 'farbig' abgrenzt. Mich würde auch interessieren, ob Butler wirklich von "rechtsextrem" gesprochen hat.

Wie auch immer: das Interview stellt viele Dinge klar:

"es kann nicht richtig sein, etwas Falsches zu korrigieren, indem man erneut etwas Falsches macht."

"Homophobie ernst zu nehmen, heißt zu akzeptieren, dass sie auf unterschiedlichen Ebenen existiert und in verschiedenen Schichten der Gesellschaft. Wir sollten uns für die Homophobie innerhalb der CDU oder innerhalb der katholischen Kirche interessieren, aber auch unter Liberalen der Mittelklasse und neuen rechtspopulären Organisationen. Wenn wir dann vielleicht Homophobie innerhalb von Migrantencommunitys in Betracht ziehen, würden wir eine Art und Weise des Nachdenkens über Homophobie haben, die Rassismus nicht wiederholt. Aber untersuchen wir das Problem? Oder versuchen wir, diese Homophobie zu bekämpfen? Wenn wir das versuchen, müssen wir es in einem Zusammenhang einer Allianz machen, für die der Kampf gegen Rassismus genauso wichtig ist wie der Kampf gegen Homophobie. "

Sie wird dann auch mal wieder auf ihre angebliche Unterstützung von Hamas und Hisbollah angesprochen und antwortet:

"Mir ist klar, dass einige Leute mich in der Weise zitiert haben, dass ich Hamas und Hisbollah als links verstehen würde. Bei dem Statement in seiner Gänze betrachtet, als Antwort auf eine Frage, die aus dem Publikum kam, ging es allerdings darum, dass diese Bewegungen zwar als links beschreibbar sind, aber dass man, wie mit jeder Bewegung auf Seiten der Linken, entscheiden muss, ob es eine Bewegung ist, die man unterstützt oder nicht. Ich habe niemals eine dieser Bewegungen unterstützt, und da ich mich selber zur Gewaltlosigkeit verpflichtet fühle, wäre es für mich auch unmöglich, eine von ihnen zu unterstützen. Es ließe sich viel dazu sagen, wie sie sich gebildet haben und was ihre Ziele sind und in welcher Weise sie einen Kampf gegen Kolonialismus und Imperialismus darstellen. Aber dabei geht es für mich um analytische und beschreibende Arbeit - nicht um Anhänglichkeit oder Unterstützung. "

Danach macht das Interview dann einen Sprung, was darauf hindeutet, dass die taz da nicht weiterdenken wollte. Ein Verweis auf den Business Class-Flug und das Adlon unterbleiben, wahrscheinlich weil Bulter den Flug inzwischen selber gezahlt hat.

Heute dann in er taz ein Beitrag von Tülin Duman von GLADT, in dem sie auf die homonationalistischen Reaktionenen eingeht:

"Während die Bürgerrechtsbewegung der Lesben und Schwulen noch an eindimensionalen Identitätsmodellen hängt, sind immer mehr Menschen nicht nur "gewöhnlich" homosexuell. Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, Religion, Alter, eine Behinderung und viele andere Merkmale prägen unsere Identität gleichermaßen. "Gewöhnliche" Hartz-IV-EmpfängerInnen können sich die Partyszene der Hauptstadt nicht leisten. Für "gewöhnliche" homosexuelle AsylbewerberInnen gelten nicht die Bürgerrechte, sondern gilt die Residenzpflicht. Wer die Zusammenhänge von Herkunft, Geschlecht und sexueller Orientierung nicht erkennt, wird weder der Berliner noch der deutschen Realität gerecht."

Nachtrag 12.07.10: Auf AVIVA Berlin ein ausführliches Interview mit Butler.

Nachtrag 01.08.10: In einem Interview mit der Jungle World muss sich Butler mal wieder mit dem Antisemitismusvorwurf auseinandersetzen und gibt spannende Antworten.

Nachtrag 05.12.10: In einem ziemlich stumpfen Artikel in der Welt Online, in dem primär gegen Jasbir Puar gehetzt wird, gibt es auch einen Verweis auf Butlers Ablehnung.

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Sonntag, 20. Juni 2010
Butler lehnt CSD-Preis ab
"Die Veranstaltung sei ihr zu kommerziell ausgerichtet und richte sich nicht genügend gegen Probleme wie Rassismus und doppelte Diskriminierung - etwa von Migranten, die homosexuell oder transsexuell empfinden." zitiert Spiegel Online Judith Butler. Sie hat gestern einen Preis auf dem Berliner CSD abgelehnt.

Und ich dachte, beim CSD passiert nichts interessantes. Wäre ich doch mal hingegangen.

Nachtrag: Mehr dazu auf dem neuen Blog No homonationalism.Von dort auch der link zum Youtube-Video:



Nachtrag 27.06.10: Nach seinem selbstherrlichen Rassimus verharmlosdenden und Frauen ausschliessenden Artikel vor dem CSD hat Martin Reichert in der taz nochmal nachgelegt. Nicht nur gegen Judith Bulter hetzt er, sondern auch gegen GLADT. Und obwohl immer wieder behauptet wird, dass sie gar nicht wissen, woher der Rassismusvorwurf käme, gehen sie darauf ein:

"Es geht bei diesem Rassismus-Vorwurf um das immer Gleiche: Maneo und den LSVD."

Aber anstatt den Vorwurf ernst zu nehmen, wird nur dagegen polemisiert. Echt Schade. So kann ich mich nur weiter von LSVD und taz distanzieren.

Nachtrag 28.06.10: Die taz hat sich rund um den CSD wohl für eine durchgängig einseitige Berichterstattung entschlossen. Ist die taz sonst noch einigermassen lesbar für mich, weil offen rassistische Artikel sich mit klar rassismuskritischen Artikeln abwechseln, ist sie es gerade gar nicht. Warum hat Martin Reichert die alleinige Deutungshoheit? (Er gleicht es mehr als aus, dass Jan Feddersen gerade mit dem nationalen Taumel rund um die Männer-WM beschäftigt ist.) Reicherts Artikel über den transgenialen CSD fügt sich nahtlos an die vorigen beiden Artikel an. Polemisch, selbstherrlich, antimuslimischen Rassismus reproduzierend, alle die nicht weiße Schwule sind ausgrenzend. Zum Kotzen.

Meine Familie wohnt übrigens weder in Kreuzberg oder Neukölln. Aber selbst wenn sie da wohnen würde, hätte ich kein Problem damit in den Kiezen zu demonstrieren. Meine Verwandten 'mit Migrationshintergrund' sind allesamt viel offener und akzeptierender als Martin Reichert.

Und Opfer homophober Taten sind übrigens nicht alle weiß. Den Nicht-Weißen ist es sicher nicht egal, wenn zu der einen Diskriminierung noch eine andere dazu kommt.

Nachtrag 30.06.10: Nun durfte auch Jan Feddersen wieder einen seiner homonationalistischen Kommentare in der taz veröffentlichen. In einem hat er allerdings recht: der große CSD ist tatsächlich politisch. Denn er unterstützt Homonationalismus, das heisst er unterstützt dass weiße Schwule (und auch ein paar Lesben) als Teil der deutschen Nation anerkannt werden. Dafür gibt es die Reformprojekte wie Homo-Ehe, die Feddersen in seinem Text anführt. Diese Reformpolitik, die auf Eingliederung in die Nation ausgerichtet ist, geht aber notwendigerweise damit einher, dass andere ausgegrenzt werden. An solcher Politik können sich daher nur Menschen wie Feddersen oder Reichert freuen, die damit an mehr Privilegien kommen. Insbesondere Queers of Colour und alle, die in diesem Land für Muslime gehalten werden, können sich über die ausgrenzende Politik aber nicht freuen. Der transgeniale CSD setzt mit seiner politischen Argumentation hier an.

Nachtrag 03.08.10: Nachdem es in der Zwischenzeit auch mal Raum für kritische Töne in der taz gab. Durfte sich wieder einer der Vertreter des Homonationalismuses darstellen. Im taz-Interview wird Bastian Finke von Maneo keine wirklich kritische Frage gestellt und die Möglichkeit gegeben, seine Kritiker_innen zu diskreditieren.

Das Problem bei Maneo ist nicht primär, dass sie sich genauer ansehen wollen, wer genau die Täter homophober Angriffe sind. Das Problem ist, dass sie in ihren Darstellungen antimuslimischen Rassismus reproduzieren. Sie sind nicht in der Lage (oder nicht interessiert) sich gleichzeitig kritisch mit Homophobie und Rassismus auseinanderzusetzen.

Nachtrag 06.06.11: Ein knappes Jahr nach der Preisablehnung legt die taz in einer Veranstaltungsankündigung nochmal mit wenig fundiertem Butler-Bashing nach.

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Sonntag, 20. Juni 2010
Jetzt reicht's langsam
ist der Titel eines Artikel von Martin Reichert in der taz zur Gewalt gegen Schwule. Und ich finde auch, dass es langsam (oder auch schneller) reicht. Diese weiße schwule Selbstgeretigkeit. Die Ausblendung von Geschichte. Nicht weiße Mittelklasse-Schwule haben gegen die Polizei bei den Stonewall Riots gekämpft. Die Protagonist_innen waren viel eher in vielerlei Hinsicht marginalisierte Menschen. Die Stonewall Riots als Anlass zu nehmen, um mal wieder gegen "junge Männer mit Migrationshintergrund" und "mit Landhintergrund" ist so daneben. Wie auch das Zitat von Christopher Knoll geht gar nicht:

"Man kann Gewalt gegen uns ausüben und es interessiert niemanden. Das ist ein Skandal. Wenn es gleich viele Attacken gegen Juden oder Schwarze gäbe, dann wäre aber was los."

Was soll dieses Ausspielen von einem Ausgrenzungsverhältnis gegen andere? Was ist davon gewonnen? Ausser ein bedienen von rassistischen und antisemitischen Einstellungen?

Ach ja, Lesben kommen im eine Seite langen Artikel überhaupt erst in der viertletzten Zeile kurz vor. Aber das ist natürlich kein Wunder, wenn die Schwulen den Mittelpunkt des Interesses ausmachen.

Nachtrag 20.06.10: Weiter geht es hier.

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