Sonntag, 17. September 2017
Choice oder Selektion
Auch in diesem September sind wieder christliche Fundamentalist/innen und Rechte beim "Marsch für das Leben" durch Berlin gezogen. Wie die letzten Jahre auch, haben wir lautstark gegen sie protestiert (siehe hier).

Dabei sind die Abtreibungsgegner/innen cleverer in ihrer Argumentation geworden. Sie stellen das Thema Inklusion zentral heraus, mit Slogans und Bildern von Kindern mit Downsyndrom.

Inklusion gegen Abtreibung


Damit sprechen sie ein großes Problem an. Pränatale Diagnostik wird tatsächlich dazu genutzt, um zu verhindern, dass behinderte Kinder auf die Welt kommen. Das ist eine höhst problematische Entwicklung.

Allerdings bezweifle ich, dass es den Fundamentalist/innen und Rechten tatsächlich um Inklusion geht (einzelnen Demonstrierenden aber vermutlich schon). Denn dann müssten die Forderungen viel weiter gehen. Dann müsste es darum gehen, unsere Gesellschaft so umzugestalten, dass die unterschiedlichsten Menschen in ihr gut leben können und nicht mehr behindert werden. Dann müsste für eine vielfältige Gesellschaft mit unterschiedlichen Lebensentwürfen gekämpft werden. Dafür bin ich gestern auf die Straße gegangen.

Lesetipp: Kirsten Achtelik hat in der taz über die sogenannten Lebensschützer, pränatale Diagnostik und Behinderung geschrieben.

Nachtrag 18.09.17: Die taz berichtet von den Demonstrationen.

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Habe ich das richtig verstanden?
Gesunde Kinder abtreiben ist völlig okay, behinderte aber nicht? Dieser Logik vermag ich nicht so recht zu folgen.

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Es ist komplexer.
Primär geht es um die reproduktive Selbstbestimmung der Frauen.

Und es geht darum, dass durch Abtreibungsverbote Abtreibungen nicht verhindert sondern illegalisiert werden und viele Frauen aufgrund von Abtreibungsverboten sterben.

Es geht aber auch darum, dass die Entwicklung von pränataler Diagnostik darauf ausgerichet ist, zwischen lebenswerten und nicht lebenswerten Leben zu entscheiden. Das führt zu selektiven Abtreibungen und zwar in erheblichen Massen. Und da wird es dann komplexer.

Wir haben da gesellschaftlich viel zu diskutieren. Wir brauchen eine Gesellschaft, die kein lebensunwertes Leben kennt. Abtreibungsverbote sind allerdings kein hilfreiches Instrument dafür.

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Abtreibungsverbote sind allerdings kein hilfreiches Instrument dafür. Sehe ich auch so, und gegen eine Einschränkung der derzeitigen Möglichkeiten würde ich auch auf die Straße gehen.

Letztlich ist es aber nicht aber nicht die Diagnostik, die ein potenziell behindertes Kind als lebensunwert deklariert, es ist zunächst mal die Mutter, die - aus welchen nachvollziehbaren oder weit hergeholten Gründen auch immer - die Entscheidung trifft, dieses Kind nicht zu wollen. In Summe vieler solcher Einzelentscheidungen ist es dann ein gesellschaftliches Thema, da stimme ich Ihnen zu.

Nun ist aber jede erfolgte Abtreibung (jetzt mal losgelöst von der Frage, ob das Kind behindert ist oder nicht) ja auch eine Einzelentscheidung, dieses eine entstehende Leben als unwert zu betrachten. Wobei es aus meiner Sicht keine Rolle spielt, ob man da das Etikett "unwertes Leben" draufpappt oder nicht, das entsprechende Handeln sagt genug aus und ist unterm Strich das gleiche, auch wenn die Gründe dafür andere sein mögen. In der Summe sind diese hunderttausende von nichtbehinderten Kindern, die jedes Jahr abgetrieben werden, genauso unwertes Leben wie die behinderten Kinder, die abgetrieben werden, man nennt es nur nicht so.

Ich sehe, so leid es mir tut, einen schwer auflösbaren Widerspruch zwischen der Forderung nach einer Gesellschaft, die kein unwertes Leben kennt und gleichzeitig liberalstmögliche Regelungen für den Schwangerschaftsabbruch aufstellt, wenn wie gesagt einem Schwangerschaftsbbruch ja auch eine individuelle Entscheidung über wertes oder unwertes Leben zugrundeliegt.

So gesehen scheint mir die Position der Lebensschützer nach einigem Nachdenken dann doch stringenter, auch wenn ich sie (gefühlsmäßig) nicht teile. Auf alle Fälle kollidiert eine maximale reproduktive Selbstbetimmung der Frau mit dem Ziel einer Gesellchaft, die kein unwertes Leben kennt. Man kann vielleicht höchstens daran arbeiten, die Kriterien im Sinne von mehr diversity zu verändern, aber solange wir Abtreibung erlauben, solange werden wir Entscheidungen über unwertes Leben haben, ganz egal, ob man das so nennt oder nicht.

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Für mich ist das schon ein Unterschied. Die eine Entscheidung ist, kein Kind zu bekommen. Die andere Entscheidung ist, ein bestimmtes Kind nicht zu bekommen.

Zudem bezweifle ich, dass die Abtreibung von Kindern, die nicht der Gesundheitsnorm entsprechen, nur eine Entscheidung der Frauen ist. Was ich bisher gehört habe, sind da auch Ärzt_innen und andere Ratgeber_innen beteiligt.

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Naja, es werden bisweilen auch nicht behinderte Kinder abgetrieben, etwa, wenn der Partner entsprechend Druck macht.

Ihre Unterscheidung zwischen der Entscheidung, kein Kind zu bekommen oder ein bestimmtes Kind nicht zu bekommen, ist nachvollziehbar. Trotzdem halte ich es für ziemlich unausweichlich, dass solange wir die eine Wahlfreiheit pro oder contra Kind haben, die andere Wahlfreiheit für oder gegen ein bestimmtes Kind mehr oder weniger eingepreist ist. Die eine Freiheit ist ohne die andere wohl nicht zu haben. Oder allenfalls um den Preis, auf jedweden genaueren Blick in den Uterus weiträumig zu verzichten. Und das erscheint mir ziemlich utopisch, dass darauf flächendeckend verzichtet wird, wenn diese Möglichkeiten nun mal da sind.

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Gegen Ableismus, nicht gegen Abtreibungen
Der Weg gegen das Verunmöglichen von sogenannten behinderten Leben führt auch nicht über Abtreibungsverbote sondern darüber gegen Ableismus - also die Ausgrenzung von jenen, die Körper- und Gesundheitsnormen verletzen - vorzugehen. Wir müssen eine weniger behindernde Gesellschaft schaffen. Dann ist es auch weniger naheliegend Kinder mit Beeinträchtigungen als Belastung wahrzunehmen.

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