Sonntag, 11. Dezember 2022
Virtuelle Konferenzteilnahme
Screenshot Zoom-Konferenz


Vor gut einer Woche habe ich an einem Workshop in Italien teilgenommen. Und da ich da nicht hinfliegen konnte, habe ich virtuell teilgenommen. Ich habe hier in Delhi eine ziemlich gute Internetverbindung. Das ging also. Als ich gemerkt habe, dass das Mikro im Workshopraum nichts taugt, habe ich darum gebeten, es auszutauschen und das haben sie auch schnell gemacht. Dann war es ganz gut zu verstehen. Ausser wenn sie durcheinander geredet haben. Online dabei sein, ist nicht das gleiche wie offline. Vorallem weil die ganzen Pausen- und Essensgespräche fehlen, also die ganze soziale Interaktion und das Netzwerken.

Hybride Teilnahme ist gut, wenn sonst keine Teilnahme möglich ist. Sie verstärkt aber auch Ungleichheiten. Am Anfang des Workshops wurde kurz gesagt, dass einige Teilnehmende kein Visum bekommen haben und daher virtuell teilnehmen. Unter den virtuellen Teilnehmenden war das wohl die Mehrheit. Und viele von ihnen hatten auch keine stabile Internetverbindung. Sie konnten teilnehmen, aber nur eingeschränkt. V

or Ort war das vermutlich nur beschränkt bewusst. Damit unsere Bedürfnisse wahrgenommen wurden, mussten wir das Mikro anmachen und reinreden. In den Chat schreiben reichte nicht. Und das so Reinreden muss mensch sich auch erstmal trauen.

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Mittwoch, 7. Dezember 2022
Kartoffeln
Scheiben sourdough country bread


Heute mittag hallte ein entsetzes vierstimmiges "No" durch den Besprechungsraum. Eine indische Kollegin hatte irgendwas zu Brot gefragt, was zu diesem entsetzen, überzeugten, gemeinsamen Ausruf von uns deutschen Kolleg_innen geführt hat. Ich weiss gar nicht mehr, was genau sie gesagt hatte.

Vorher hatte eine in Deutschland wohnende indische Kollegin uns Deutsche gefragt, ob wir was Deutsches mitgebracht hätten. Gegen das Heimweh. Ich hatte großspurig behauptet: Nein, brauche ich nicht. Aber dann ist da die Brot-Whatsapp-Gruppe. Es gibt hier einen Bäcker, der macht Sauerteigbrot (wenn auch weißes) mit echter Kruste. (Irgendwas mit der Kruste hatte zu dem vierstimmigen "No" geführt.) Und eine deutsche Kollegin hatte mir eine Scheibe des Brotes zum Probieren gegeben. Seitdem bin ich Mitglied der Brot-Gruppe und bestelle jede Woche einen Laib.

Dabei wollte ich dieses Mal nicht nach "deutschem" Brot suchen, wie das Deutsche im Ausland (und auch ich) immer wieder tun. Wo sich alle in der German Backery treffen. Ich dachte, diesmal komme ich auch ohne aus. Toastbrot lässt sich auch mal essen. Aber die deutschen Netzwerke haben das verhindert.

Pellkartoffeln mit Olivenöl


Mittags haben wir immer gemeinsames Lunch mit vielen verschiedenen indischen Gerichten. Lecker. Und abends wenn ich mir selbst was koche, freue ich mich auf wenig gewürztes Essen, zum Beispiel Pellkartoffeln mit Bohnen. Ich bin eben eine echte Kartoffel.

In Deutschland werde ich mir dann wieder indisches Essen kochen...

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Dienstag, 6. Dezember 2022
Punjabi Girl
Mit Salwar Kamiz im Büro


Ich habe zwei meiner Salwar-Kamiz (Hose-Hemd) mit nach Indien genommen. Bisher hatte ich sie noch nie an. Vor allem weil mir Taschen fehlen. Eines hat gar keine, das andere nur eine, wo ein Taschentuch reinpasst. Aber kein Geldbeutel, Taschenmesser, Schlüssel, Smartphone, Kamera - was ich sonst so in meinen Taschen habe.

Zur gegenderten Taschengröße hat mich die Kollegin Anne-Kathrin Will auf einen Artikel von Data Feminismus hingewiesen. K(l)eine Taschen beeinträchtigen die Handlungsfähigkeit von Frauen*.

Eigentlich trage ich die Salwar-Kamiz aber ganz gerne. Und so habe ich das heutige Weihnachtslunch, zu dem wir grün und rot tragen sollten, als Anlass genommen, eines anzuziehen. Das Taschenmesser ist zu hause geblieben, die Kamera auch, sowie mein Fernglas, das ich immer in der großen Hüfttasche durch die Gegend trage, um Vögel zu beobachten.

Als ich in das Büro trat, hatte ich auf einmal eine Traube von Kolleg_innen um mich, die meine Kleidung bewunderten. Beim Lunch wurde mir gesagt, dass ich aussehe wie ein Punjabi Girl. Fast richtig, wenn mensch mich ethnisch zuordnen will. Richtig wäre Haryani Girl. Aber das werde ich offensichtlich erst durch die richtige Kleidung.

Morgen bin ich vermutlich wieder die German Butch, denn auf meine Taschen mag ich nicht zu lange verzichten.

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Montag, 5. Dezember 2022
Umgang mit dem Hindu-Nationalismus
Fahne der BJP am Straßenrand


Seit dem ich in den 1990er bei Hermann Kulke in Kiel Vorlesungen zu indischer Geschichte gehört habe, beschäftige ich mit dem Hindu-Nationalismus (zum Wikipedia-Artikel und hier das Buch von Christophe Jaffrelot mit dem ich mehr darüber gelernt habe). Abgesehen davon, dass mich rechte, gewalttätige Politiken sowieso abstossen, hat mich der Hindu-Nationalismus besonders betroffen, da ich 1992 in Indien war, als die Babri-Moschee in Ayodhya von Hindu-Nationalist_innen abgerissen wurde und es im ganzen Land zu Pogromen gegen Muslim_innen kam (hier die Wikipedia-Version).

Nun ist seit 2014 Narendra Modi, der 2002 [Korrektur: Hier stand ein falsches Jahr.] bei den Pogromen gegen Muslim_innen in Gujarat eine wichtige Rolle spielte, für die BJP Premierminister Indiens. Die Macht nutzt die BJP, um Schulcurricula zu hinduisieren, die Presse zu zensieren, die Universitäten zu hinduisieren, etc. Freund_innen, die in den letzten Jahren nach Indien gereist sind, haben mir erzählt, wie sie von der allgemeinen Begeisterung für die BJP schockiert waren.

Das war einer von diversen Gründen, warum ich mir nicht so sicher war, ob ich denn überhaupt ein halbes Jahr in Indien leben will. Inzwischen bin ich sehr froh, hier zu sein. Aber nicht weil die BJP besser ist, als gedacht. In Gesprächen mit Kolleg_innen wird deutlich, wie schlimm es hier ist, wie der Hindu-Nationalismus alles durchdringt und wie sie Angst davor haben, dass bei den Wahlen 2024 die BJP wieder siegreich hervorgeht. Das, meinen sie, wäre das Ende des säkularen Staates Indien, dem es zur Zeit schon schlecht geht. Ich spüre da eine große Angst vor dem Ende dieser großen Demokratie und der Gewalt gegen Mindherheiten und Andersdenkende, die davon ausgeht.

Derweil grinst mich Modi ständig von irgendwelchen Plakaten an. Es ist Wahnsinn, wie präsent er im Alltag ist. Ein ziemlicher Personenkult scheint da zu erfolgen. Und bei einem akademischen Vortrag musste ich ein Grußwort, das zumindest gefühlt länger war als der Vortrag selbst, einer BJP-Ministerin anhören. Sie erzählte, wie toll sich Modiji (und sie) für Nachhaltigkeit einsetzt und wie überhaupt Indien da führend ist. Während die Luft draussen nicht zum Atmen geeignet war.

Der deutsche Botschafter, der danach sprach, übte kein Wort der Kritik, sondern sprach von den Gemeinsamkeiten zwischen Indien und Deutschland. Und die deutsche Bundesaussenministerin sprach heute von einer Wertepartnerschaft mit Indien. Ich hoffe doch sehr, dass nicht. Die Werte der indischen Regierung sollte unsere auf keinen Fall teilen. Und ich verstehe schon, dass Diplomatie bedeutet, dass eine Gesprächsebene aufrecht erhalten werden muss. Aber das darf nicht heissen, dass keine Kritik an der menschenverachtenden Politik dieser Regierung formuliert wird.

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Samstag, 3. Dezember 2022
Un-informiert
Wahlkampf der Aam Aadmi Party


Als ich gestern zum Bioladen ging, begegnete mir eine Gruppe Menschen mit Fahnen und Mützen. Ich kramte meine rudimentären Hindi-Kenntnisse aus und las, dass es Anhänger_innen der Aam Aadmi Party waren. Und dann erinnerte ich mich, dass Wahlen in Delhi anstehen. Schon letzte Woche war hier die BJP unterwegs. Und dann fiel mir auf, dass ich nicht wirklich weiss, wann die Wahlen sind (Sie sind morgen!). Obwohl ich täglich verschiedene indische Medien durchscrolle (Indian Express, Scroll, Wire), bekomme ich zentrale Dinge des Lebens in Delhi nicht mit. Ganz offensichtlich bin ich noch nicht so richtig hier angekommen. Über die Wahlen in Berlin bin ich sehr viel besser informiert.

Die AAP-Anhänger_innen bogen dann ab. Während die BJP wartete bis der Weg für sie frei war. (So zumindest meine Interpretation dessen, was ich sah.)

Wahlkampf der BJP


Nachtrag: Der Indian Express berichtet, dass wegen der Wahl seit Freitagabend kein Alkohol in Delhi verkauft werden darf.

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Sonntag, 27. November 2022
OCI-Tickets
Eintrittsticket für die Sunder Nursery (Indian/SAARC)


Seit knapp 20 Jahren bin ich PIO (Person of Indian Origin), seit gut 10 Jahren OCI (Overseas Citizen of India). Am Anfang hat mir die PIO in Indien wenig gebracht. Selbst bei der Einreise schien das Dokument unbekannt. Und wenn ich ein Sehenswürdigkeit als Inderin betreten wollte (wozu mich PIO/OCI berechtigten), wurde mir das meist aufgrund meines Aussehens verweigert.

Daher bin ich jetzt ganz überrascht, wie problemlos meine OCI anerkannt wird. Im Taj Mahal hat unser Guide meine OCI-Karte zum Kauf mitgenommen. Am Eingang wurde noch nicht mal mit den Augebrauen gezuckt, als ich in der Inder_innenschlange stand. Im Red Fort und den Sunder Nurseries habe ich ohne meine OCI-Karte vorzulegen, anstandslos den Inder_innenpreis bekommen und wurde auch problemlos eingelassen. Darauf war ich gar nicht vorbereitet. Ich hatte erwartetet, dass ich mein Recht erstreiten musss. Und hatte überlegt, ob ich mich indisch kleiden sollte, um weniger in Frage gestellt zu werden.

Dabei geht es mir weniger darum, dass ich damit erheblich Geld spare (im Taj 50 Rs. statt 1100 Rs., ansonsten 50 Rs. statt 200 Rs.). Ich könnte auch den vollen Preis zahlen (wie etliche reichere Inder_innen auch). Aber wenn der indische Staat mich schon mit dem Dokument an das Land binden will, dann will ich auch die Rechte in Anspruch nehmen, die damit verbunden sind.

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Freitag, 25. November 2022
Fragmentierte Dekolonisierung
Virtuelle Teilnahme an einem Workshop zur Dekolonisierung von Wissen


Diese Woche fand ein Workshop zur Dekolonisierung von Wissen mit einer tunesischen Delegation statt. Die Arbeitssprachen waren die beiden Kolonialsprachen Englisch und Französisch. Etliche der Teilnehmenden beherrschten (so wie ich) nur eine der beiden Sprachen, daher gab es eine Simultan-Dolmetschung. Oder sollte es geben. Sie sollten über Zoom stattfinden, was grundsätzlich eine schlaue Idee ist. Allerdings nur, wenn verschiedene Vorraussetzungen erfüllt sind. Zum einen, müssen alle Teilnehmenden einen stabilen Internetzugang haben. Zum anderen, müssen alle so technisch versiert sein, dass sie sich einloggen können, sich stumm stellen bzw. laut stellen können, etc. Beides war nicht so ganz gegeben.

Und so habe ich die französischen Vorträge nur fragmentiert gehört. Mal bin ich aus dem Netz geflogen. Mal konnten die Dolmetscher_innen nichts hören, weil kein Mikro an war oder zu viele. Sinn machten die Fragmente für mich nur ganz eingeschränkt. Es fehlte der rote Faden. Gut folgen konnte ich nur den englischen Vorträge und mich daher auch nur auf diese beziehen.

Damit war der Workshop auch ein Lehrstück zu den Herausforderungen der Dekolonisierung. Wie gehen wir um mit Vielsprachigkeit? Wer kann Sprachen wie können? Wer kann Übersetzung bekommen? Wer hat ausreichende Infrastruktur fürs Übersetzen? Was machen wir mit fragmentierter Wissensvermittlung?

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