Donnerstag, 7. Januar 2016
Gegen sexualisierte Gewalt (ohne Rassismus)
Die meisten Frauen kennen das. Fremde Hände am eigenen Körper, ohne Zustimmung, übergriffig, eklig. In den meisten Fällen passiert nichts weiter. Der/die Täter sind nicht zu identifizieren, der Übergriff wird nicht als schlimm genug angesehen, etc. Diejenigen, die die Übergriffe thematisieren, erfahren, dass sie nicht auf Unterstützung zählen können (so auch meine Erfahrung sowie hier). Sie sollen sich nicht so haben, nicht so übertreiben, war doch nichts. Sexualisierte Gewalt ist auch in unserer Gesellschaft alltäglich und normal.

Dass es nun viel öffentliche Aufmerksamkeit für sexualisierte Gewalt gibt, ist erst mal zu begrüßen. Endlich wird sie thematisiert. Aber leider dann doch nicht wirklich. Interessant wird das Ganze für die Öffentlichkeit nur, weil die Täter „nordafrikanisch“ aussahen (was immer das bedeuten mag). Gewalterfahrungen von Frauen werden instrumentalisiert für rassistische Argumentationen. Ein immer wiederkehrendes Vorgehen in den letzten Jahrhunderten. Mal müssen angeblich die „braunen Frauen vor den braunen Männern“ gerettet werden, was nur durch Kolonialisierung/ Abschiebung/ etc. geht. Mal muss die „weiße Frau vor dem schwarzen Mann“ gerettet werden. (Woher wissen die Vertreter_innen dieses Topos eigentlich, dass in Köln/ Hamburg/ etc. nur weiße Frauen Opfer sexualisierter Gewalt wurden?)

Besonders hervor tun sich dabei jene, denen Frauenrechte sonst völlig egal sind. Aktuell, zum Beispiel, die dezidiert antifeministische Politik machen und/oder den #aufschrei für völlig übertrieben hielten. Auf einmal treten sie (angeblich) für Frauen ein, in einer höchst patriarchalen Geste. Sie schreien laut auf, während jene, die schon seit Jahrzehnten gegen sexualisierte Gewalt arbeiten viel weniger Öffentlichkeit bekommen. Letztere haben auch nicht so schön einfache Lösungen wie die nun Empörten.

Das ist ähnlich wie in Indien nach der ersten Massenvergewaltigung, die viel Öffentlichkeit bekommen hat. Auf einmal gab es einen großen Aufschrei. Viel Unterstützung. Grundsätzlich zu begrüßen. Aber auch da sind es nicht die feministischen Stimmen, die sich schon lange engagieren und differenzierte Lösungsstrategien haben, die am meisten Aufmerksamkeit bekommen, sondern die mit den einfachen Lösungsvorstellungen: Todesstrafe. Überzeugten Feminist_innen stellen sich dabei die Nackenhaare auf. Eine Menschenrechtsverletzung kann nicht durch eine andere gesühnt werden. Aber wer patriarchal denkt, dem/der fällt wahrscheinlich nichts anderes als die Forderung nach Gewalt ein.

In Deutschland wird jetzt wieder die Abschiebung von „ausländischen Kriminellen“ diskutiert (siehe tagesschau.de). Bevor überhaupt klar ist, wer die Täter waren, welchen Aufenthaltstitel sie hatten, etc. Abschieben scheint die Lösung für alles zu sein. Bloß weg von hier. Raus aus Deutschland. Deutschland reinigen. Wenn wir diese Täter rausschmeißen (und zur Sicherheit vielleicht noch ein paar mehr), dann ist wieder alles gut im Land. Dann können wir die alltägliche sexualisierte Gewalt wieder ignorieren und so tun als ob Frauen (ob Cis oder Trans) und andere von der Norm der Cis-Männlichkeit Abweichende, sich nicht fürchten müssten.

Die taz am 6.1.16 zitierte den Berliner Landesvorsitzenden der Linkspartei Klaus Lederer mit “Wenn man gegen das Patriarchat und sexuelle Belästigung vorgehen will, kann man das auch ohne Rassismus tun.“ Darauf sollten mehr Leute hören. Viele der Feminist_innen, die sich in den letzten Tagen zu Wort gemeldet haben, versuchen das (so z.B. Antje Schrupp (auch im DLF-Interview) und Hilal Sezgin), sowie auch einige bekannte Journalisten (z.B. Anja Reschke und Duja Hayali). Ich bin beeindruckt, wie schnell sie es geschafft haben, sich differenziert zu Wort zu melden. Ich war dazu nicht so schnell in der Lage.

Das Problem ist allerdings, dass viele es gar nicht wollen. Sie nehmen die differenzierten Analysen nicht wahr, suchen nur nach Futter für ihre rassistischen Argumentationen.

Mich stören aber nicht nur jene, die die sexualisierte Gewalt für Rassismus ausnutzen. Ich finde auch jene daneben, die sich jetzt nur über den Rassismus beschweren und denen die sexualisierte Gewalt mehr oder weniger egal ist. Diejenigen, dies sich vorher nicht darum gekümmert haben und sie jetzt auch nicht weiter wichtig finden. Das ist genauso eklig wie jene, die sich nicht um Rassismus kümmern. Die engagierten Feminist_innen gehören hierzu aber sicherlich nicht, egal was z.B. Jens Spahn von sich gibt.

Nachtrag: Margarete Stokowski hat auch eine pointierte Kolumne geschrieben.

Nachtrag 13.01.16: Und noch ein Beitrag von Mely Kiyak und noch ein zweiter.

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