Montag, 4. Oktober 2010
Debatte um sogenannte Deutschenfeindlichkeit
In der GEW-Zeitschrift blz Nr. 11/2009 wurde ein Artikel zu Deutschenfeindlichkeit in Schulen veröffentlicht. Der Artikel zeichnete sich durch antimuslimischen Rassismus und die Verharmlosung von rassistischen Strukturen aus, was zu kontroversen Debatten und einer Veranstaltung der GEW letzten Samstag unter dem Titel Der Streit um die sogenannte Deutschenfeindlichkeit führte. Hauptreferentin war Iman Attia, die eine Definition von Rassismus vorlegte und die Bedeutung von Machtasymmetrien dabei betonte. Danach hätte klar sein müssen, dass Diskriminierungserfahrungen, die dominanzdeutsche Schüler_innen in einigen Schulen erfahren, nicht rassistische Ausgrenzungen sind. Dass die Debatte um die sogenannte Deutschenfeindlichkeit Rassismen reproduziert, indem sie die angeblich Deutschenfeindlichen aus dem Zugehörigkeitskontext Deutschland verweisen und die von Rassismus negativ Betroffenen zu Täter_innen macht, wurde durch andere Redebeiträge von nicht-dominanzdeutschen Referent_innen und Teilnehmenden immer wieder argumentiert. Es schien aber nicht zu einem wirklich Austausch von Perspektiven zu kommen. Die dominanzdeutschen Lehrer_innen liessen sich auf keine rassismuskritische Diskussion ein, sie blieben bei ihrer Deutungshoheit, reflektierten ihre eigene Verstrickung nicht und reproduzierten immer wieder Rassisemen (und andere Dominanzen). Während bei der Veranstaltung rassismuskritische Perspektiven recht viel Raum hatten, repräsentierte die Medienberichterstattung die Perspektive der dominandeutschen Lehrer_innen (so bei der Ankündigung auf Radio 1, in der Bild und im Bericht des Tagesspiegels).

So werden die rassistischen Strukturen aufrecht gehalten und das Problem von Mobbing in Schulen nicht angegangen.

Nachtrag 06.10.10: In der taz berlin heute ein Artikel zu Deutschenfeindlichkeit, der den Rassismen der Lehrer_innen zu viel Raum gibt, und ein klar pointiertes Interview mit Iman Attia.

Nachtrag 08.10.10: Heute ein Kommentar von Yasemin Schooman, die die Veranstaltung maßgeblich mit organisiert hat, und Evelin Lubig-Fohsel in der taz.

Nachtrag 11.10.10: Yasemin Schooman hatte schon auf der Veranstaltung gesagt, dass Familien- und konservative Werte-Ministerin Schröder eine der Verfechter_innen des Begriffs Detuschenfeindlichkeit ist. Laut taz berlin hat sie das jetzt auch nochmal gemacht und diese mit Rassismus gleichgesetzt. Das passt in ihr generelles Handeln, in dem ungleiche Macht nicht anerkannt wird und die privilegierte Seite gestärkt wird.

Nachtrag 13.10.10: Auch Die Zeit beteiligt sich aktiv an der Opferumkehr. Wie schon in anderen Zeitungen berichtet Autor Jörg Lau nur von den Berichten der Lehrer_innen (ohne allerdings den von ihnen reproduzierten Rassismus zu erwähnen). Zum Vortrag von Prof. Dr. Iman Attia schreibt er nur

"Eine Professorin für Rassismusforschung versucht nachzuweisen, dass die »strukturell benachteiligten Schüler« türkischer oder arabischer Herkunft per definitionem nicht zum Rassismus fähig seien, weil sie ja eine machtlose Minderheit darstellten. Nach dem Bericht von Mechthild Unverzagt wirkt das einigermaßen bizarr."

Die Rassismusforscherin hat keinen Namen, die Lehrer_innen schon. Interessant.

Den Bericht von Unverzagt, den Lau so eindrücklich fand, zitiert er auch:

"»Diese Kinder ´[die die deutschenfeindlich sein sollen, ug] waren noch nie in einer Minderheitensituation«, erwidert die Lehrerin."

Diese vollkommen an den Realitäten vorbeigehende Behauptung wurde bei der Veranstaltung dekonstuiert. Aber Lau wie die anderen Journalist_innen hört nur, was ihm gefällt, und tut so, als ob die kritische Rassismusforschung nichts zu sagen hätte.

Nachtrag 17.10.10: Die FAZ steigt in die Hetze mit ein und sieht Rassismus gegen Dominanzdeutsche. In einem taz-Leser_innenbrief unterstützt hingegen eine Lehrerin aus Northeim den Kommentar von Schooman und Lubig-Fohsel mit Beispielen aus ihrer Praxis.

Nachtrag 20.10.10: Auch Cem Özdemir scheint keinen klaren Rassismusbegriff zu haben. Im taz-Interview antwortet er auf die Frage:

"Gilt das auch für Familienministerin Schröder, die über "Deutschenfeindlichkeit" unter Jugendlichen klagt?"

Özdemir: "Natürlich muss man diese Dinge ansprechen. Es gibt ja keinen Rassismus erster und zweiter Klasse."

Da steht meine Vorstellung von 'Natürlichkeit' dagegen: Rassismus ist immer kontext- und zeitabhängig. Insofern gibt es durchaus unterschiedliche Rassismen. Auch Rassismen die unterschiedlich existentiell ausgrenzen. Wenngleich ich Özdemir zustimme, dass eine Hierarchisierung nicht sinnvoll ist.

Das wesentliche ist aber, dass die sogenannte Deutschenfeindlichkeit kein Rassismus ist, weil dieser Ausgrenzungsmechanismus (soweit es ihn überhaupt gibt) keine Macht zur gesellschaftlichen Umsetzung hat.

Nachtrag 12.11.10: Die Süddeutsche Zeitung hat am Jahrestag der Reichsprogromnacht unter dem Titel "Die Schweinefresser" einen Artikel von Thorsten Schmitz zur Diskriminierung von Deutschen (sprich Bluts-/Volksdeutschen mit ordentlichen Genen) veröffentlicht, der von krudesten Rassismen strotzt. Ich bin entsetzt.

Nachtrag 18.11.10: Die taz hat sich auf die Suche nach Belegen für die sogenannte Deutschenfeindlichkeit gemacht und war nicht erfolgreich. In einem Kommentar kritisiert Daniel Bax:

"Besonders bigott ist Familienministerin Kristina Schröder, die sich neuerdings lautstark über eine angeblich "zunehmende Deutschenfeindlichkeit" unter Migranten empört. Mobbing scheint für sie offenbar so lange kein Problem zu sein, wie es Nichtdeutsche trifft. Und auch zu den rassistischen Sprüchen eines Thilo Sarrazin oder zu rechter Gewalt hat man von ihr auffällig wenig gehört."

Nachtrag 06.12.10: Kristina Schröder und Hilal Sezgin bei 2+Leif zu Deutschenfeindlichkeit: Der Anfang ist furchtbar, Schröder auch und Sezgin ist mal wieder sehr gut.

Nachtrag 08.12.10:Die taz spricht mit Schüler_innen unter anderem über die sogenannte 'Deutschenfeindlichkeit'.

Nachtrag 17.12.10: Die taz scheint fasziniert von dem Thema Deutschenfeindlichkeit. In der letzten Woche hatte sie gleich zwei ganzseitige Artikel dazu. Einmal hat sie ein Interview mit Ahmet Toprak geführt, der behaupten durfte, dass Minderheiten immer diskrimiert werden und damit auch bestätigt hat, dass sogenannte 'deutsche' Schüler_innen in der Minderheit seien. Dabei benutzt er folgende Formulierung: "Für uns Wissenschaftler ist das etwas ganz Triviales". Da distanziere ich als Wissenschaftlerin mich ganz klar von. Der naive Minderheitenbegriff ohne Bezug auf gesellschaftliche Machtverhältnisse, den Toprak benutzt, ist für mich alles andere als trivial.

Im anderen taz-Artikel über Hamburger Schüler_innen wird die Dichotomie von 'deutschen' und 'nicht-deutschen' Schüler_innen weiter reproduziert. So bleibt das Sprechen über die sogenannte Deutschenfeindlichkeit permanent in der rassistischen Logik verfangen.

Nachtrag 10.01.11: Lehrer_innen der Hecotr-Peterson-SChule waren auch an der Deutschenfeindlichkeitsdiskussion beteiligt. Nun berichtet die taz über ein Theaterprojekt der Schule, worin auch der Schulleiter zitiert wird:

"Im vergangenen Sommer haben sie eine Umfrage zur Schule unter den Schülern durchgeführt. Die meisten fanden die Hector-Peterson-Schule gut, sie mochten die Lehrer, fühlten sich aufgehoben. Ihre kleinen Geschwister aber würden sie, wenn sie darüber entscheiden könnten, trotzdem nicht hierher schicken. "Hier sind zu viele Ausländer", lautete die Begründung. "Das ist absurd", sagt Schulleiter Dietmar Pagel. "Die Kinder kommen meist aus türkischen oder arabischen Einwandererfamilien, aber sie sind doch keine Ausländer. Aber sie verstehen sich so, und sie empfinden das selbst als etwas Negatives.""

Absurd ist, dass der Schulleiter so tut, als ob sich die Schüler_innen das Etikett 'Ausländer_in' selber verpassen und es negativ belegen. Die ganze Deutschenfeindlichkeitsdebatte lebt davon, diese Schüler_innen als Nicht-Deutsche, als Ausländer_innen zu kategorisieren und das klar mit einer negativen Bewertung. Er sollte sich lieber fragen, warum die Schüler_innen diese Kategorisierungen übernehmen, welche Erfahrungen sie da verarbeiten und was die Schule vielleicht damit zu tun hat.

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Meine Frage zu Ihrem Text (ohne den Kontext jetzt zu kennen): Müssen denn Rassismen immer auch Dominanzen sein? Ist nicht der Rassismus des Unterlegenen genau so Rassismus wie der des Überlegenen? Und müsste man nicht, wenn man eine Welt mit weniger Rassismus will, weniger über das Symptom Rassismus reden als über die Machtstrukturen, die es hervorbringen?

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Macht ist zentraler Aspekt von Rassismus
wie auch in Mecherils Definition zu lesen ist. Diskriminierung ohne Macht ist kein Rassismus.

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Das würde ja bedeuten, dass sich ein und dieselben Diskriminierungen in dem Moment und in dem Maße in Rassismus verwandeln, in dem die diskriminierenden Subjekte Macht erlangen. Und das wiederum würde bedeuten, dass ein und dasselbe Individuum je nach Situation manchmal ein Rassist sein kann und manchmal nicht. In obigen Beispiel also wäre das Kind mit Migrantionshintergrund kein Rassist, wenn es den Lehrer "Schweinefleischfresser" nennt, da die Lehrerschaft mehrheitlich "dominanzdeutsch" ist und auch in Machtfragen das Sagen hat. Dieselbe Beleidigung gegenüber einem Mitschüler, der als deutscher Muttersprachler in der Minderheit und vielleicht auch als Unterschichtler stigmatisiert ist, wäre Rassismus. Das ist doch Quatsch.
... ich meine, das ganze Theoretisieren bringt nichts. Es ist wichtig, die Dinge anzusprechen, nicht den richtigen Begriff zu finden.

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Eindeutigkeit
ist auch so ein rassitisches Konzept. Entweder oder - bloss nicht ambivalent, widersprüchlich, komplex. Für mich lässt sich Realität mit Ambivalenz viel besser verstehen.

Und für die Analyse von Ausgrenzungserfahrungen sind Machtverhältnisse ganz entscheidend. Es ist ein existenzieller Unterschied, ob hinter einer erlebten Ausgrenzung die Macht der ganzen Gesellschaft steht oder es sich um die Diskriminierung durch eine Person handelt.

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... womit Sie völlig Recht haben. Die meisten Dinge sind komplizierter als gedacht, wenn man mal genauer hinguckt.
Genau darum gehts mir, wenn ich vielleicht manchmal etwas unwissenschaftlich und emotional auf Ihre Beiträge regiere:Ich mag die Genauigkeit Ihres Blicks (den Sie ja gern auf scheinbare Kleinigkeiten, die aber doch bedeutsam sind, lenken), und es ärgert mich, wenn er manchmal durch Begrifflichkeiten und Definitionen verstellt wird.

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